Stationen am Theater

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Am 21. Oktober 1965 schrieb der damals 22-jährige Peter Handke an den Verleger Siegfried Unseld: »Ich habe gerade mit Ach und Krach ein Stück geschrieben. Es heißt ›Publikumsbeschimpfung‹ und ist mein erstes und mein letztes. Ich möchte es nun [...] aufführen lassen und auch sonst dazu sehen, daß ich es vielleicht anbringe.« (Handke / Unseld 2012, S. 17)  Schon im Juni 1966, kurz nach seinem legendären Auftritt vor der Gruppe 47 in Princeton, wurde das Stück mit seiner radikalen Kritik am konventionellen Theater uraufgeführt.

Mit Publikumsbeschimpfung und seinen anderen frühen Stücken im Rhythmus des Beat wurde Handke rasch zum jungen Star eines neuen Theaters. »Provokation«, »Analyse«, »Aufbruch« und »Erneuerung« bestimmen diese Arbeiten. Es geht um eine fundamentale Kritik am Theaterbetrieb und an seinen erstarrten Kunstformen. Die Wirklichkeit verstellende Sprech- und Denkweisen sollten aufgebrochen werden. Das passte zur Revolte der jungen Generation, kritisierte sie aber zugleich in ihrem direkten politischen Engagement. Erst eine ästhetische Wahrnehmung zeige Alternativen auf und bewirke die eigentliche Emanzipation und politische Veränderung des Menschen.

Die Theorie seines frühen Theaters formulierte Handke in mehreren Aufsätzen, die gesammelt im Band Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms erschienen. Handkes frühe Stücke wurden vor allem an den progressiven Off-Bühnen Deutschlands uraufgeführt: dem Frankfurter Theater am Turm, der Schaubühne Oberhausen im Ruhrgebiet und der Schaubühne am Halleschen Ufer Berlin. Die Regisseure waren Claus Peymann und Günther Büch, der sich mit seinen Beatinszenierungen von Handkes Sprechstücken einen Namen machte.

Nach dem Stück Die Unvernünftigen sterben aus (1974) kam es zu einer acht Jahre dauernden Schreibpause fürs Theater. Peter Handke arbeitete an verschiedenen Prosawerken; vor allem recherchierte er für das Romanprojekt »Ins tiefe Österreich«, das eine Reise über Amerika zurück in seinen Kärntner Geburtsort Griffen erzählen sollte. Daraus wurde die Tetralogie Langsame Heimkehr, die mit dem dramatischen Gedicht Über die Dörfer (1982) schließt. Mit diesem Projekt erarbeitete sich Handke eine neue Poetik, die eine Wende zur Tradition mit sich brachte. In seiner Rede zur Verleihung des Franz-Kafka-Preises von 1979 erklärte er: »Ich bin, mich bemühend um die Formen für meine Wahrheit, auf Schönheit aus – auf die erschütternde Schönheit, auf Erschütterung durch Schönheit; ja, auf Klassisches, Universales«. (DEF 157) Sein in dieser Zeit begonnenes Journalschreiben ist Ausdruck seiner Bemühung und dokumentiert ein ganz auf die poetische Arbeit ausgerichtetes Leben.

Auch wenn sich die Formen geändert haben, bleibt die Grundhaltung der frühen Stücke weiter bestehen. Handkes Theater basiert auf einer unvoreingenommenen Wahrnehmung der Welt und wendet sich damit gegen Ideologien und auch im Sprachlichen fest geformte Weltbilder. Die späten Stücke des Autors wurden an den großen Theaterhäusern gespielt – in der Regie von Claus Peymann am Burgtheater Wien und dem Berliner Ensemble oder in der Regie von Wim Wenders und Dimiter Gotscheff bei den Salzburger Festspielen. (kp)

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