Die Lehre der Sainte-Victoire; Kindergeschichte; Die Geschichte des Bleistifts; Bleistiftgeschichte

Notizbuch, 384 Seiten [303 Seiten beschrieben], 02.03.1980 bis 22.01.1981

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Werkbezüge

Die Lehre der Sainte-Victoire

Notiz am 2. Juni 1980: »ich lese die Fahnen der "Sainte-Victoire"«

Kindergeschichte

Nachdem Handke in einer intensiven Arbeitsphase seine Erstfassung von Die Lehre der Sainte-Victoire beendet hatte, nahm er in diesem Notizbuch seine Vorarbeiten zu Kindergeschichte wieder auf. In einer längeren Pause, von Dezember 1979 – März 1980, hatte er das Projekt nicht erkennbar verfolgt. Umso mehr fällt die Notiz auf, mit der er am 19. April 1980 festhielt: »Ja, und jetzt die Kindergeschichte«. Doch dieser entschlossenen Ankündigung folgte nicht unmittelbar der Schreibbeginn an dem neuen Werk. Bis Juni 1980 war er noch mit der Überarbeitung und Korrektur von Die Lehre der Sainte-Victoire beschäftigt. Während dieser Zeit notierte Handke, wie bereits in seinen vorhergehenden Notizbüchern 1979, in loser Folge zum Projekt, schien aber zunehmend konkretere Überlegungen zur Konstruktion des Textes anzustellen. So notierte er am 13. Mai 1980 den späteren Schlusssatz von Kindergeschichte aus seiner begleitenden Lektüre von Goethes Maximen und Reflexionen und setzte dieses Zitat zugleich als Motto auf das Vorsatzblatt des Notizbuchs: »Cantilene: die Fülle der Liebe und jedes leidenschaftlichen Glücks verewigend«. Eine Verdichtung der Notizen zu Kindergeschichte lässt sich klar ab dem konkreten Schreibbeginn feststellen. Am 9. Juni 1980 – »(heute "Kindergeschichte" angefangen)« – begann Handke nach einer mehr als einjährigen Zeit des Notierens seine Arbeit an der Erstfassung von Kindergeschichte, die er eineinhalb Monate später, am 22. Juli, mit einem Notizbucheintrag beendete: »"Kindergeschichte" abgeschlossen (13h)«. (ck)

Die Geschichte des Bleistifts

Am 20. Juli notiert Handke: »reinen Tisch machen für mein nächstes Jahrzehnt ("Geschichte des Bleistifts")«, und am 26. Juli 1980: »23h, 26.7.1980 "Ende" der Geschichte des Bleistifts!«

Notiz am Vorsatz: »(die einzelnen Tage nicht gezählt, sondern durch Leerzeilen gezeichnet, was innerhalb eines Tages ist: jedes für sich ein Satz. Alles 1 Absatz, eine "Strophe")« [Bl. III] und dort probiert er auch den Titel von »Bleistiftgeschichte« bis zu »Die Geschichte des Bleistifts« und nur »Geschichte des Bleistifts«. Im Untertitel streicht er das »Journal« und fügt dafür die Monate zu den Jahren ein von »Mai 1977 bis Juli 1980«.

Über die Dörfer

Notizen von Handkes Reise zu Über die Dörfer.

»Nacht in der Arbeiterhütte« (S. 157)

»Pfüglhof, Schneetreiben, Stille, Granit, Schönheit, Brassen der Talgrundfischten« (S. 158)

»die heimatlosen Gummipflanzen (Gasthof, Malta)« (S. 158)

»Maltatal Empfindung eines alten Tals (: Liesertal)« (S. 158)

23. April 1980

»die Arbeiter gestern abend: sie waren nicht ausgelassen, sondern fröhlich (sogar der Fernseher, der noch eine Zeit mitlief, wurde ausgeschaltet, und es herrschte der Geist)« (S. 159)

»Ein schlechter Schriftsteller ist ein Tunichtgut (auf der Bank vor der Florianikapelle, Eisentratten)« (S. 159)

»Friedhof: Fremde werden hier kurz zu Angehörigen (im Glockenklang)«; »nicht. Schmerz-Versunkenheit; sondern zuerst Versunkenheit, dann Schmerz«; »die staubigen Schuhe der Begräbnisgäste (nachher stehen und gehen und warten sie, überall im Dorf verstreut; den Pfarrer fährt im Auto zum Gasthaus, in Zivil, sein Gewand über den Nebensitz; die Totengräber in Krawatte und Gilet, rote Wangen, fast schweigend; anhaltendes Schweigen)« (S. 160ff)

»die Arbeiterkantine: das leuchtende Blau dazwischen das Gelb der schnappenden Feuerzeuge (es gab nur diese Farben, und die Kinder mit den bunten Schultaschen in den einförmigen Häusern verschwindend« (S. 161)

»Anstieg am Hang zur Autobahn, dann auch am Betonpfeiler: das Blau der Anzüge, oben im Krankorb, und das Gelb aus dem Feuerzeug, die Fahnenfarben hier« (S. 162)

»die Frau in der Arbeiterbaracke: übers Wochenende ist sie da allein, als „Feuer- u. Einbruchswache“; im Wind über dem Tal („Da sind Sie aber allein: - und „Ich bin daran gewöhnt.“ Aber es klang, als sei sie gar nicht daran gewöhnt; oder niemand sein daran gewöhnbar)« (S. 162ff.)

24. April 1980

»Als gehörte zu einer Autobahnbaustelle auch „der Dichter“, der täglich da, im Lehm usw., seine Gänge macht (Zug Lienz) [/] der richtige Zug zum Jausnen (Speck und Brot) (Der Vormittagspersonenzug) (und es war eine meiner schönsten Mahlzeiten; der Kuchen wischte reinigte ideal das Speckmesser ab)« (S. 163)

»“Ich bin halt als Arbeiter geboren“ (H.)« (S. 163)

Die Aufzeichnungen zur Autobahnbaustelle mischen sich mit Notizen zur Erzählung Die Lehre der Sainte-Victoire, die Handke kurz zuvor fertig geschrieben hatte und nun noch einmal überarbeitete, sowie mit Notizen zur Kindergeschichte, seinem zu dieser Zeit aktuellen Schreibprojekt und verschiedenen Lektürenotizen, unter anderem zu Ludwig Hohl.

Am 22. Juli 1980, unmittelbar nach der Fertigstellung der Erstfassung von Kindergeschichte notiert Handke: »"Kindergeschichte" abgeschlossen (13h); und jetzt "Über die Dörfer" (ab Spätherbst?)«.

(kp)

Die Wiederholung

Zitate aus den Feldpostbriefen des Onkels Gregor sind im Notizbuch in einem Nachtrag vom 22. Jänner 1981 enthalten.

Das Ende des Flanierens (Sammelband)

ÖLA SPH/LW/W96Zu dem im Dezember 1980 erschienenen Sammelband Das Ende des Flanierens sind in diesem Notizbuch zwei Bezüge ermittelbar: Am hinteren Vorsatz (Bl. III*) notierte Handke den Entwurf für seine dem Band vorangestellte Bemerkung: »Das Ende des F. [/] Die Texte in [/] diesem Buch [/] kann man \sind wohl/ als [/] Gelegenheitsarbeiten [/] (aus den Jahren 1974-1980 [/] bezeichnen: Aber ich kann [/] für jedes Wort einstehen und verlange \darum/, [/] daß ein Text den anderen gibt. [/] P.H. \Mai 1980/«

ÖLA SPH/LW/W96Die Notizbucheinträge vom 9., 14., 15. und 17. März enthalten Entwürfe für das als Österreichisches Gedicht 1979/80 in der Presse vom 19./20. April 1980 erstabgedruckte und in Das Ende des Flanierens erstmals in Buchform veröffentlichte Gedicht. Handkes Spinoza-Lektüre, die er im Notizbuch dokumentiert, diente als Vorlage für die beiden vorletzten Strophen des Gedichts, die er als wörtliche Zitate übernahm. Am 15. März hielt er zwischen den Strophenentwürfen fest: »M.ger Wald, Spinoza, ich, und A.« Die Entstehung des Gedichts überschneidet sich mit Handkes Arbeit an Die Lehre der Sainte-Victoire. Eine Strophenergänzung, die erst in Das Ende des Flanierens berücksichtigt wurde, notierte er am 1. April 1980. In seinem Reisebericht vom 5./6. April erwähnt Siegfried Unseld »[...] das Gedicht, das er aus der Schublade zog, er nannte es das "Österreich-Gedicht"«. (Handke / Unseld 2012, S. 399) (ck)

Siglenverzeichnis

Tabellarische Daten

Titel, Datum und Ort

Eingetragene Werktitel (laut Vorsatzblatt): 

"Die Geschichte des Bleistifts" (Journal 1977 – ?); "Bleistiftgeschichte"; Die Lehre der Sainte-Victoire; Kindergeschichte ((Cantilene)) [Bl. I]; "Bleistiftgeschichte" "Die Geschichte des Bleistifts" (Journal Mai 1977 – Juli 1980?)" [Bl. III]

Entstehungsdatum (laut Vorlage):  2. März 1980 – [Eintrag am vorderen Vorsatz, Bl. I]; März – Juli 1980 [hs. Datierung auf Papierstreifen am Titelblatt], 2. März 1980 [bis] 27. Juli 1980, sowie ein Nachtrag vom 22.1.1981 [= Datierung der ersten und letzten Notizbucheinträge]
Datum normiert:  02.03.1980 bis 22.01.1981
Entstehungsorte (laut Vorsatzblatt): 

Salzburg Lieser-/Maltatal (Kärnten) Osttirol Brixen Genf Baden-Württemberg Salzburg Florenz Rom Salzburg

Materialart und Besitz

Besitz 1:  Deutsches Literaturarchiv Marbach
Art, Umfang, Anzahl: 

1 rotbraunes Notizbuch, 384 Seiten (303 Seiten beschrieben), I-IV, pag. 2-384, I*-III*

Format:  10,5 x 14,5 cm
Schreibstoff:  Bleistift, Kugelschreiber (rot, blau, schwarz), Fineliner (lila, schwarz, blau)
Weitere Beilagen: 

1 Taxirechnung von Spittal/Drau nach Eisentratten, 1 Blatt, 21.4.1980 [eingelegt zwischen Seite 382 und 383]

Nachweisbare Lektüren

  • Spinoza (Bl. II)
  • Johann Wolfgang Goethe: Maximen und Reflexionen (Bl. II; 8.5., 13.-14.5., S. 181, S. 183, S. 185)
  • Adalbert Stifter: Bunte Steine, Bergkristall (1.3., S. 1)
  • Johann Wolfgang Goethe: Farbenlehre (1.3., S. 1)
  • Adalbert Stifter: Turmalin (2.-3.3., S. 3)
  • Voltaire: Zadig (11.-12.3., 23.3., 3.4., S. 25, S. 29, S. 63-64, S. 115)
  • Marquis de Vauvenargues (16.3., S. 29)
  • Spinoza: Ethik (18.3., 22.3., 28.3., 14.-15.5., S. 50, S. 60-61, S. 175, S. 187, S. 201)
  • Dante: Commedia (20.3., S. 53-54)
  • Ludwig Hohl: Notizen (21., 23., 25.3., S. 115, 162, 167)
  • N. Poussin (12.5., S. 183)