Zur Erinnerung an schönere Zeiten
Bilder aus der versunkenen Welt des jüdischen Sammlers Raoul Korty
Restitution
Mit der Ausstellung eines repräsentativen Querschnittes der Fotosammlung Raoul Korty schließt die Österreichische Nationalbibliothek nach Restitution, Rückkauf und Aufarbeitung der umfangreichen Sammlung des jüdischen Journalisten ein weiteres bedeutendes Restitutionskapitel ab.
Die lückenlose Aufarbeitung ihrer beschämenden NS-Vergangenheit sieht die Österreichische Nationalbibliothek nicht nur als eine gesetzliche sondern auch und besonders als eine moralische Verpflichtung, definiert sie sich doch heute als „nationale Gedächtnisinstitution“ – einem Ort also, der symbolisch für die historisch gewachsene kulturelle Identität des Landes steht. Dunkle Schatten in ihrer Geschichte kann und will sie daher nicht dulden.
Seit Vorliegen des 2003 fertig gestellten Provenienzberichtes wurden 50 Restitutionsfälle mit der Rückgabe von 33.000 Einzelobjekten an die rechtmäßigen ErbInnen zu Ende gebracht. Damit sind im Wesentlichen die namentlich identifizierbaren Fälle abgeschlossen. Für etwa ein Drittel der im Provenienzbericht erfassten Bücher und Objekte sind trotz aller Bemühungen keine ErbInnen mehr zu ermitteln – über das weitere Schicksal dieser anonymen, erblosen Objekte steht eine politische Entscheidung noch aus.
Korty und seine Sammlung
Raoul Korty, 1889 geborener Sohn einer jüdischen Bankiersfamilie, war von frühester Jugend an durch seine Sammelleidenschaft geprägt. Korty diente im Ersten Weltkrieg als Offizier, nach Kriegsende widmete er sich vornehmlich dem Aufbau seiner Sammlung die einst bis zu 250.000 Stück umfasst haben soll. Seinen Lebensunterhalt finanzierte Korty durch die Illustration von Büchern, Zeitungen und Zeitschriften aus dem reichen Fundus seines privaten Bildarchivs.
Nach dem „Anschluss“ war Korty gezwungen, seine journalistische Tätigkeit aufzugeben. Der Verlust seines Lebensunterhalts und die Trennung von seiner nichtjüdischen Ehefrau führten wohl auch zum Scheitern seiner Emigrationspläne: Korty wurde 1944 in Wien verhaftet und Ende desselben Jahres im KZ Auschwitz ermordet.
In Vorbereitung seiner geplanten Emigration deponierte er einen Großteil seiner Sammlung bei einer Wiener Spedition. Unter tatkräftiger Mitwirkung der Nationalbibliothek wurde die Sammlung 1939 von der Gestapo beschlagnahmt und unentgeltlich in die Nationalbibliothek eingewiesen. Dort lagerte die Sammlung auf Grund des Personalmangels in der Kriegszeit unangetastet und original verpackt bis 1945.
Nach Kriegsende brachte Kortys überlebende Tochter einen Antrag auf Rückstellung der Fotosammlung ein. Die Nationalbibliothek war zwar grundsätzlich zur Rückgabe entsprechend den damaligen gesetzlichen Bestimmungen bereit, verweigerte jedoch der in beengten Wohnverhältnissen lebenden Tochter eine finanzielle Ablöse. Die 21.08.2013sfristen spekuliert wurde – bis die Korrespondenz schließlich 1980 aus ungeklärten Gründen endete.
Erst 2003, im Zuge der entsprechend den Bestimmungen des 1998 erlassenen Kunstrückgabegesetzes von der Österreichischen Nationalbibliothek angestrengten Provenienzforschung kam die mittlerweile fast in Vergessenheit geratene Sammlung wieder zum Vorschein. Auf Grund einer von der Österreichischen Nationalbibliothek vorgelegten umfassenden Sachverhaltsdarstellung stimmte das BM:BWK einer Restitution an die Erbin zu.
Auf Wunsch der hoch betagten Tochter des verfolgten Sammlers wurde das Konvolut von einem externen Sachverständigen bewertet und nach der Restitution im Jahr 2005 von der Österreichischen Nationalbibliothek angekauft.
Im Frühjahr 2007 entschloss sich die Österreichische Nationalbibliothek die nunmehr seit fast 70 Jahren in den Magazinen lagernde Sammlung wissenschaftlich zu bearbeiten. Bei der Bearbeitung der vorgefundenen rund 30.000 Objekte – ein großer Teil der Sammlung dürfte von Korty schon in den 1920er Jahren verkauft worden sein – wurde nach dem Provenienzprinzip vorgegangen, in dem die übernommene, weitgehend vom Sammler selbst geschaffene Ordnung beibehalten wurde. Die Ergebnisse der Aufarbeitung werden nun in der von Michaela Pfundner und Margot Werner kuratierten Ausstellung präsentiert.
Die Ausstellung
Korty, ein unerschütterlicher Monarchist und Bohèmien, sammelte vorzugsweise Porträtaufnahmen von prominenten Persönlichkeiten des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts: SchauspielerInnen, KünstlerInnen, österreichisches Kaiserhaus und europäischer Adel, Wiener Gesellschaft, Politiker und Wissenschaftler: ein Panoptikum der versunkenen Welt des Sammlers. Die Aufnahmen entstanden in einem Zeitraum von über 80 Jahren, beginnend bei den in den 1860er Jahren so populären „cartes de visite“ über Atelieraufnahmen um 1900 bis hin zu Presse- und Modefotografie um 1920.
Die Ausstellung spiegelt einerseits das Schicksal der Korty’schen Fotosammlung wider und zeigt andererseits die Vielfältigkeit dieser bedeutenden Sammlung. In neu interpretierten Zusammenstellungen werden Themen wie Adel, Gesellschaft oder Bühne in ihrem teils kuriosen Charakter aufgegriffen und präsentiert:
Adel
Das österreichische Kaiserhaus ist mit einem kunsthandwerklich besonders schönen Album und zahlreichen Fotografien von Kaiser Franz Joseph I. und seiner Familie vertreten. Auch das tragische Schicksal von Kronprinz Rudolph und Mary Vetsera sowie die Ermordung des Thronfolgerpaares in Sarajewo 1914 werden thematisiert. Die Zusammenstellung „Habsburger Lippe“ bietet einen amüsanten Einblick in die Entstehung eines Zeitschriftenartikels.
Bildmaterial von Kaiser Wilhelm II., der seine Hand wegen einer Behinderung auf den Fotografien immer verborgen hielt und von Mitgliedern bedeutender europäischer Herrscherhäuser runden den Themenbereich „Adel“ ab.
Gesellschaft
Das Mitteloval bietet einen thematischen Querschnitt durch die Atelier- und Privatfotografie der Sammlung Korty. Im Mittelpunkt dieses Themas stehen Modefotos und Kinderporträts im Wandel der Zeit sowie klischeebehaftete rollentypische Darstellungen von Damen und Herren in Form der sogenannten „Erinnerungsbilder“, auch der Typus des „süßen Mädels“ wie er in den Werken Arthur Schnitzlers und Peter Altenbergs beschrieben wird, scheint hier auf.
Aufgegriffen werden weiters die zeitgenössische „High Society“ und ihre Skandale. Nach dem 1. Weltkrieg entwickelte sich der Beruf des Bildjournalisten, der selbst fotografierte und nebenbei auch die journalistische Arbeit erledigte. Auch Raoul Korty war als Bildjournalist tätig, einige seiner Bildreportagen werden in der Ausstellung präsentiert.
Bühne
Kortys Interesse galt auch der Prominenz österreichischer Bühnen, wie den Schauspielerinnen Charlotte Wolter, Adele Sandrock und Katharina Schratt − die heute vor allem durch ihre Freundschaft mit Kaiser Franz Joseph bekannt ist − dem Burgschauspieler Joseph Lewinsky und dem Hofopernsänger Karl Streitmann. Die Volksbühne ist vertreten durch Johann Nestroy und die „Fiakermilli“, auch an eine – damals sehr bekannte – heute vergessene Soubrette wie Mizzi Palme wird erinnert. Von der großen Verehrung Raoul Kortys für die Opernsängerin Pauline Lucca zeugen neben zahlreichen Fotos auch textile Memorabilien, wie ein Kostümjäckchen, Handschuhe und eine Erinnerungsschleife.
Kurioses
Die Zusammenstellung „Kuriositätenkabinett“ greift die um die Jahrhundertwende weit verbreitete handwerkliche Kunst der Retusche auf. Kaum eine Aufnahme aus dieser Zeit blieb völlig unretuschiert. Besonders hervorzuheben sind die in der Sammlung Korty enthaltenen „Vorher/Nachher“ Bilder, die nicht nur Verschönerungsmaßnahmen umfassen sondern dokumentieren, dass ganze Hintergrundlandschaften nach Belieben entfernt oder hinzugefügt wurden. In einer speziell hinterleuchteten Vitrine werden wertvolle kolorierte Stereoskopien mit „Mondscheineffekt“ und kunstvoll händisch kolorierte Aufnahmen gezeigt.
Präsentiert werden außerdem Aufnahmen, die nach heutigen Maßstäben als skurril zu bezeichnen sind. Dazu zählen etwa Fotomontagen, Vexierbilder, Bilder von Schaustellern mit körperlichen Behinderungen oder ungewöhnlichem Äußeren und die heute pietätlos anmutenden Aufnahmen von Aufbahrungen prominenter Persönlichkeiten.
In Kooperation mit
Ort
Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek
Josefsplatz 1, 1010 Wien
Dauer
29. Februar bis 13. April 2008
Öffnungszeiten
Dienstag – Sonntag 10 – 18 Uhr
Donnerstag 10 – 21 Uhr
Eintritt
€ 5,– / ermäßigt € 3,–
Führungen
Zum Preis von € 2,50 jeden Donnerstag um 18 Uhr sowie
nach Vereinbarung unter
Tel.: (+43 1) 534 10-464, -261
Treffpunkt an der Prunksaalkasse
Begleitbuch zur Ausstellung
Zum Preis von € 16,90 erhältlich an der Prunksaalkasse