[3/ S. 201:] Seit 1984 werden an der Universitätsbibliothek Tübingen Nachlässe EDV-unterstützt erschlossen, von Anfang an mit TUSTEP, dem
Tübinger System von Textverarbeitungsprogrammen, einem Programmpaket, das hier auch zur Herstellung von Bibliographien, Bestandskatalogen
und für viele andere Zwecke eingesetzt wird.
Wie der Kenner weiß, sind Regelwerk, Datenformat und Programm immer aufeinander bezogen. Als Regelwerk und Datenformat liegt
der Tübinger Nachlaßerschließung die von einer Arbeitsgruppe der Deutschen Forschungsgemeinschaft erarbeitete Schrift »Der
Einsatz der Datenverarbeitung bei der Erschließung von Nachlässen und Autographen« zugrunde.[1] Ihr Regelteil beruht auf den »Regeln für die alphabetische Katalogisierung« (RAK-WB), das Datenformat baut auf dem »Maschinellen
Austauschformat für Bibliotheken« (MAB2) auf.
Das Tübinger Programm zur Nachlaßerschließung (TUNACH), eine TUSTEP-Anwendung, leistet von der Datenerfassung bis zur Herstellung
des Endprodukts - gedruckte Nachlaßverzeichnisse und ein Online-Katalog - alles, was man für die Nachlaßbearbeitung braucht.
Das gesamte Programm steckt in einem TUSTEP-Kommandomakro mit dem Namen $TUNACH; die einzelnen Vorgänge werden durch die Angabe
eines Modus beim Makroaufruf aktiviert.
Zur Datenerfassung und -korrektur ist der Modus EDIEREN bestimmt. Er startet den TUSTEP-Editor und stellt darin zusätzliche
anwendungsspezifische Leistungen bereit: So können Masken für die verschiedenen Nachlaßgegenstände wie Werkmanuskripte, Briefe
usw. mit Mausklick ausgegeben werden, und zwar je nach Bedarf an der aktuellen Stelle mitten in der Datei oder an deren Ende.
Die Masken sind nicht starr, sondern können um zusätzliche Felder erweitert werden.
Ist ein Nachlaß entweder fertig oder soweit bearbeitet, daß ein Zwischenergebnis ausgedruckt werden soll, beginnt die weitere
Verarbei- [3/ S. 202:] tung der Daten. Mit dem Modus AUFBEREITEN werden, wenn erforderlich, die einzelnen Stücke innerhalb des Nachlasses durchnumeriert
(dies geht von der Voraussetzung aus, daß der gesamte Nachlaß eine gemeinsame Signatur hat und die einzelnen Stücke durch
eine laufende Zählung unterschieden werden), leer gebliebene Felder werden eliminiert, und die Feldanfangscodes werden auf
Zulässigkeit geprüft.
Eine detailliertere, auch nach dem Typ der Eintragung (z. B. Brief, Werkmanuskript, Überschrift) differenzierte Plausibilitätsprüfung
liefert der Modus SYNTAX.
Innerhalb einzelner Kapitel (d. h. zwischen zwei Überschriften) können nun die Einträge mit dem Modus SORTIEREN alphabetisch
geordnet werden. Diese Funktion ist beispielsweise für Briefe interessant, weil so die Notwendigkeit entfällt, die Brieffaszikel
vor der Erfassung manuell zu sortieren. Bei anderen Materialien kann aber durchaus eine andere als die alphabetische Sortierung
gewollt sein. Deshalb wird in jeder Überschrifteintragung ein Kennbuchstabe erwartet, der dem Programm sagt, ob die folgenden
Eintragungen sortiert werden sollen oder nicht. (Dies ist eine Erweiterung gegenüber den Vorschriften des Regelwerks.) Außerdem
gibt es im »Nachlaßkopf« - das ist eine vorangestellte Eintragung, die den Nachlaß als ganzen im Unterschied zu seinen Teilen
beschreibt - eine Angabe, die anzeigt, ob der gesamte Nachlaß noch numeriert oder sortiert werden darf; dadurch wird versehentliches
Neusortieren und -numerieren eines bereits bearbeiteten Nachlasses verhindert. Selbstverständlich wird diese Angabe beim Numerieren
und Sortieren automatisch verändert.
Abb. 1. Seite aus dem Nachlaßverzeichnis. [3/ S. 203] Abbildung in eigenem Fenster öffnen [45,4KB]
Nun ist der Nachlaß reif zur Herstellung eines Verzeichnisses (Abb. 1). Der beschreibende Teil wird mit dem Modus TEXT, die Register mit dem Modus REGISTER ausgedruckt. Dabei werden Postscript-Files
erzeugt, die auf einem Postscript-Drucker (mit dem Programm ghostview auch auf anderen Druckern) ausgedruckt oder zur Steuerung
einer Setzmaschine benutzt werden können. Zur Anpassung an verschiedene Buchformate stehen mehrere Standard-Ausgabeformate
zur Verfügung. Register sind für Personen, Körperschaften, Orte, Sachtitel und Schlagwörter, Incipits und Bibelstellen vorgesehen;
dabei werden Personennamen, Körperschaften, Sachtitel und die bei Briefen obligatorischen Entstehungsorte den ohnehin vorhandenen
Feldern entnommen, während Schlagwörter und Bibelstellen eigens erfaßt werden müssen. Das Bibelstellenregister, das übrigens
eine für Theologennachlässe nützliche Erweiterung gegenüber dem Regelwerk darstellt, wird nicht alphabetisch, sondern nach
der Reihenfolge der Bi- [3/ S. 204:] belbücher sortiert, wenn die Bibelstellen nach den Loccumer Richtlinien angegeben sind.
Abb. 2. Online Katalog der EDV-erschlossenen Nachlässe. - Suchmaske. Da beim Personennamen »tolerant« eingestellt wurde, wird auch
der falsch geschriebene Name gefunden. [3/ S. 205] Abbildung in eigenem Fenster öffnen [33,3KB]
Als neues Ausgabemedium ist 1998 ein Online-Katalog hinzugekommen. Er bietet, entsprechend den vorhandenen Daten, einerseits
pauschale Informationen über sämtliche 224 vorhandenen Nachlässe, wobei nicht nur nach beliebigen Wörtern aus der Nachlaßbezeichnung
(also auch Vornamen), sondern auch nach Berufen, Zeiträumen und Signaturen recherchiert werden kann. Eine zweite Suchmaske
ermöglicht die Recherche nach Einzelstücken der derzeit 44 im Detail erschlossenen Nachlässe. Hier kann nach Personen (allgemein
oder als Verfasser oder Adressaten von Briefen), nach Titelstichwörtern, Orten, Zeiträumen und Signaturen recherchiert werden.
Es können alle vier Dokumenttypen (Werkmanuskripte, Briefe, Lebensdokumente und Sammelstücke) einbezogen oder einer bis drei
davon ausgewählt werden. Die Recherche kann auf bestimmte Nachlässe beschränkt werden; mit logischen Operatoren können aber
auch Nachlässe ausgeschlossen werden: Das ist besonders interessant bei der Suche nach Stücken einer Person, deren Nachlaß
vorhanden ist, in fremden Nachlässen, weil sonst die Nachweise aus dem eigenen Nachlaß die übrigen überwuchern würden. Trunkierung
ist an jeder Stelle möglich. Außerdem kann durch Anklicken eines Buttons feldweise die Recherche von »exakt« auf »tolerant«
umgestellt werden; dann wird eine je nach Wortlänge verschiedene Zahl von Abweichungen toleriert, wie das abgebildete Beispiel
zu Hofmannsthal zeigt: Der Name wird auch dann gefunden, wenn in der Suchmaske »Hofmannstal« angegeben wurde (Abb. 2). Rechercheergebnisse können durch Anklicken eines Buttons einzeln gespeichert und vor dem Verlassen des Katalogs gesammelt
als ASCII-Datei auf Festplatte oder Diskette übertragen werden. (Vergißt man das, wird beim Verlassen des Programms gefragt,
ob gemerkte Daten abgespeichert werden sollen.) Statt einen Button anzuklicken, kann man in vielen Fällen alternativ eine
Funktionstaste drücken. Zu jedem Feld der beiden Suchmasken gibt es einen kurzen Hilfetext.
Abb. 3. Online Katalog der EDV-erschlossenen Nachlässe. - Ergebnismaske. [3/ S. 205] Abbildung in eigenem Fenster öffnen [65,4KB]
Soweit der Modus OPAC, in dem die neuesten Erweiterungen der TUSTEP-Programme benutzt werden. Mit einem weiteren Modus können
Mappen aus 140-Gramm-Papier (sogenanntem Museumspapier) zum Aufbewahren der Nachlaßstücke mit der Signatur und den wichtigsten
beschreibenden Elementen bedruckt werden. Ein Modus für den Druck von Katalogkarten war ursprünglich vorgesehen, wurde aber
mangels Bedarfs nicht programmiert. Wichtig wird aber voraussichtlich noch der Modus EXPORT, mit dem die Daten zur Lieferung
an die Zentraldatei der Autographen in der Staatsbibliothek zu Berlin [3/ S. 206:] vorbereitet werden sollen, sobald von dort die notwendigen Vorgaben mitgeteilt werden. Umgekehrt wurde für konvertierte Daten,
die die Zentraldatei geliefert hat, vor kurzem ein Importmodus eingerichtet.
Das Programm kann sowohl mit einem Ein- als auch mit einem Mehrdateiensystem arbeiten: Im ersten Fall liegen alle zu einem
Nachlaß gehörenden Daten in einer Datei, im anderen werden Personen- und Körperschaftsdaten in besonderen Dateien gehalten
und über eine Identnummer mit der Titeldatei verknüpft. Man kann jeden Nachlaß in einer eigenen oder alle Nachlässe in einer
gemeinsamen Datei halten; als zweckmäßig hat es sich erwiesen, die (grosso modo) abgeschlossen bearbeiteten Nachlässe gemeinsam,
die gerade in Bearbeitung befindlichen getrennt zu halten.
Schon eingangs wurde erwähnt, daß die Tübinger Nachlaßerschließung mit TUSTEP arbeitet. Dieses mit Bedacht so genannte »Tübinger
System von Textverarbeitungsprogrammen«[2] bietet besonders dem geisteswissenschaftlichen Anwender alles, was er z. B. für kritische Editionen braucht, von der Datenerfassung
bis zum Lichtsatz mit Fußnoten, zu Marginalien, Kolumnentiteln und bis zu neun automatisch verwalteten Apparaten; dazu die
Herstellung beliebig vieler Register mit bis zu neun Hierarchiestufen und Sortierung auch nach selbstgewählten Kriterien,
z. B., wie oben beschrieben, nach Bibelbüchern.
TUSTEP ist modular aufgebaut und parametrierbar. Modular aufgebaut will sagen: Die Zieldatei eines TUSTEP-Programms kann als
Quelldatei für ein anderes benutzt werden, z. B. das Ergebnis einer Registerherstellung als Quelle des Satzprogramms, umgekehrt
aber auch die Zieldatei eines Satzprogrammlaufs als Quelle für ein Register, wenn sich dieses auf die Seitenzahlen eines Buches
beziehen soll. Parametrierbar heißt: Der Anwender kann die Leistungen des Programms durch Angabe entsprechender Parameter
nach seinen Bedürfnissen sehr stark beeinflussen. In der Regel wird er es auch müssen, denn TUSTEP ist kein Programm zur Herstellung
von Bibliographien oder zur Nachlaßverwaltung oder Inkunabelkatalogisierung, sondern ein Werkzeugkasten, mit dem man Aufgaben
wie die genannten nach seinen Bedürfnissen lösen kann. Das Programmieren komplexer Probleme wie der Nachlaßbearbeitung erfordert
natürlich einige Erfahrung; der Endanwender in der Handschriftenabteilung ist aber nach kurzer Einführung imstande, die notwendigen
Eingaben zu machen und das Programm zur Herstellung gedruckter Verzeichnisse zu starten. Der Online-Katalog schließlich ist,
da gänzlich maskenorientiert, sehr einfach zu handhaben.[3]
[3/ S. 207:] Das Tübinger Programm wird auch am Theatermuseum Düsseldorf benutzt. Ein äußerst umfangreicher Katalog dieser Institution
mit sehr platzsparend gewähltem Druckbild liegt vor.[4] Die Universitätsbibliothek Tübingen wird ihren Katalog des Nachlasses Rudolf Bultmann demnächst bei Harrassowitz herausbringen.
Friedrich Seck
ANMERKUNGEN
1]
Der Einsatz der Datenverarbeitung bei der Erschließung von Nachlässen und Autographen. Bearb. von einer Arbeitsgruppe der
Deutschen Forschungsgemeinschaft. Berlin: Deutsches Bibliotheksinstitut 1991 (= Dbi-Materialien 108). Die Neubearbeitung -
Regeln zur Erschließung von Nachlässen und Autographen. RNA. Deutsche Forschungsgemeinschaft, Unterausschuß für Nachlaßerschließung.
Berlin: Deutsches Bibliotheksinstitut 1997 - bringt besonders Erweiterungen in den Bereichen Personen und Körperschaften sowie
eine größere Annäherung an MAB2. Die Empfehlungen für das Ausgabeformat sind entfallen.
2]
Vgl. http://www.uni-tuebingen.de/zdv/tustep/.
3]
Frau Ulrike Mehringer, Universitätsbibliothek Tübingen, danke ich für die Aufbereitung der Abbildungen.
4]
Das Schauspielhaus Düsseldorf 1904-1933. Korrespondenzen und Personalakten. Bearb. von Sigrid Arnold und Michael Matzigkeit.
EDV-Unterstützung Friedrich Seck. Düsseldorf: Theatermuseum, Dumont-Lindemann-Archiv 1997.
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