Kringel, Schlingel, Borgia
Peter Hammerschlag (1902-1942)

 

Wiederentdeckung

Eine breitere Wiederentdeckung Peter Hammerschlags erfolgte relativ spät. Nach dem Krieg erinnerten sich vor allem Freunde an ihn, wie Rudolf Weys und Friedrich Torberg, der dem 1902 geborenen Kabarettisten 1955 fälschlicherweise eine Fünfzigjahres-Hommage in der Zeitschrift "Forum" widmete.
Einen wichtigen Akzent setzte der Nachlaßverwalter Torberg 1972 mit der Herausgabe des ersten Hammerschlag-Buches überhaupt, einer Auswahl von Gedichten. In den 70er Jahren begannen auch zahlreiche Künstler, Hammerschlag musikalisch zu interpretieren, u. a. André Heller, Helmut Qualtinger sowie Gerhard Bronner und Peter Wehle, von denen Sie als Beispiel einen Ausschnitt aus der in den 80er Jahren vertonten "Ungarischen Schöpfungsgeschichte" (324K) hören können (Preiser Records, Wien).
Aufsehen erregte 1979 die vom Österreichischen Rundfunk (ORF) ausgestrahlte Vertonung des "Krüppel-Fox" durch Heller / Qualtinger. Man warf den Interpreten Behindertenfeindlichkeit vor, ohne zu berücksichtigen, von wem der Text ursprünglich stammte und welch bitterböses Spiel sein Autor mit dem falschen Mitgefühl des "goldenen Wiener Herzens" (Qualtinger) trieb.

   Peter Hammerschlag: Der Mond schlug grad halbacht. 1972.

   Ungarische Schöpfungsgeschichte.
  324K

Herkunft und Familie

In einem Brief an Friedrich Torberg aus Berlin vom 16. Dezember 1929 bedachte der 1902 in Wien geborene Peter Hammerschlag seinen Freund mit einer "Gebrauchsanweisung" für einen eventuellen Besuch bei der Familie Hammerschlag im neunten Wiener Bezirk:
"'Bruder Mommel', in Wirklichkeit Valentin heißend, Kosenamen 'Kindlein', 'Squidarlog' oder 'Der rotbärtige Mike'. Begrüße ihn mit 'Hokko-Prokko' oder 'Hongo-Schwongo', das sind sämtlich von mir erfundene und kreierte Sprachen, die er alle perfekt spricht. Wird Deinen ungeteilten Beifall finden. Kind der Zeit, sehr intelligent, anscheinend die jungenhafte Primitivität und Offenheit selber, unbestreitbarer hochstaplerischer Zug, viel Verstecktheit und Vorliebe für kleine unsaubere Geschäfte. Der hoffnungsvolle Bursche mit dem vorbildlich ausgebildeten Akt und den fehlenden Sentiments. Kolossaler Kenner und Schätzer pamphletistischer und skatologisch-derb erotischer Literatur. Sprich mit ihm über Kampfsport, Autotypen, Revolverankäufe und Technik des Coitus. Und wenn er Dir seine Seele erschließt, wird er Dir, vor Wonne mit den Zähnen klappernd, ein über das andere Mal versichern: 'Oh, es gibt soooo ggggggeile Mädchen!!!' Dabei literarisch durchaus nicht verwerflich. Wird für Häschen viel übrig haben. Sehr links. Durchaus im Ganzen Deiner würdig.
'Mutter Hedy'. Unbestreitbarer Edeling. Hundertprozentig. Urbild der Dame und Mutter, man fühlt sich bei ihr momentan wie zuhause. Ungeheure Weichheit, Mütterlichkeit, Sanftmut, aus Zerpracktheit aufkletternd. Einst berühmte Schönheit, hat sie nebbich ein schweres Leben gehabt. Speziell jetzt geht es ihr sehr schlecht. Sei nett zu ihr. Sprich mit ihr über Dich und mich. Ich bin ihr Lieblingsthema. Sehr sentimental und zugleich ein wenig zynisch, nichts weniger als prüde, dabei passiv und doch gute Hausfrau. Sie überliebt mich. Viel gelesen, viel gelernt, wollte Schauspielerin werden oder studieren, trug den Bubikopf im Jahre 1902!!!
'Vater Viktor'!! Für Dich 'der' Mann, das Köstlichste! Vor Gebrauch ein wenig schütteln! [...] In guter Stimmung der Kaffeehauspartner [...]. Ein Apercu von ihm ist unter Umständen einem Torbergschen Schweinernen zwar nicht vorzuziehen, wohl aber gleichzustellen. Schnoddrig fetziger Leichenschänderhumor, persönlicher Freund von Karl Kraus, Alfred Polgar und Peter Altenberg, an dessen Seite er vor Jahren grölend und gestikulierend über den Graben stampfte! Über den man deswegen die Hände zusammenschlug, den man belächelte und im Grunde furchtbar beneidete! Der 'meschuggene Professor', der Arzt aus der Bohème, seinerzeit Stammgast bei den 'Elf Scharfrichtern' und so. Alter Tyrannenstürmer und 48er, die Seele durchschwängert und gemildert von Centralluft. Trug lange vor dem Krieg den Calabreser und blutrote Freiheitsideen, sagt den reichen Jiden Sachen, die ihnen das Blut gerinnen machen und läßt sich dafür von ihnen zum Nachtmahl einladen! Nannte im Jahre 1914 (!) die Preußen 'ein minderwertiges Mestizenvolk' und hätte fast dran glauben müssen! Lon Chaney am Kaffeehaustisch, der Meister im Deigezens [Diskutieren], ich möchte ihn einen Polgar für eilige Leser nennen. Handelt sich nur drum, ihn in guter Stimmung zu erwischen. Also geh schon! Und sprich mit ihm über Weiber, das Leben, Chonten [Prostituierte], Huren, Flitscherln, Literatenweiber, Elend, die Fackel, die Freimaurer, Zahnstocher, Kinder, Nerven und so." (Kryptonachlaß Peter Hammerschlag im Nachlaß Friedrich Torberg, Handschriften-, Autographen- und Nachlaß-Sammlung der Österreichischen Nationalbibliothek, Sign. 1194/57-6).

   Viktor Hammerschlag (1870-1942).

Jugend- und Kaffeehauszeit

Nach der Matura studierte Peter Hammerschlag eine Zeitlang Kunstgeschichte an der Universität Wien. Ein Semester nahm er auch an dem Lehrgang für Buch- und Illustrationsgewerbe an der Höheren Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt teil (1921/22).
In den nächsten Jahren sicherte er sein Leben mit diversen Auftragsarbeiten, wie dem Schreiben von Mittelschulrevuen. So berichtete Marcel Prawy später von zwei Revuen aus seiner Schulzeit im Wasa-Gymnasium, für die Hammerschlag die Texte verfaßte und Prawy die Musik komponierte. Zweimal führte es Hammerschlag nach Berlin - im Mai 1929 und von Dezember 1929 bis Mitte 1930 -, wo er sich auch kabarettistisch betätigte. Wie er sich den Berlin-Aufenthalt finanzierte, beschrieb der verschuldete Künstler seinem Freund Friedrich Torberg am 4. Februar 1929 unter anderem so: "februar wird sehr gehetzt werden in frühling zahl ich so gott will meine schulden und mit den rest nach berlin [...] entwerfe kostüme für gschnasfest [...] schick dir heute auch zwei krausgedichte [gemeint ist die Tänzerin Gertrud Kraus] auf dich mach ich schon noch amal was aber nicht auf deine liebeslyrik hab zuviel achtung vor soviel empfinden meiner seel aber werde dir spott schon nicht vorenthalten" (Kryptonachlaß Peter Hammerschlag im Nachlaß Friedrich Torberg, Handschriften-, Autographen- und Nachlaß-Sammlung der Österreichischen Nationalbibliothek, Sign. 1194/57-1).

   Schülerinnen der "Schwarzwaldschule".

Die Doppelbegabung

Mit Vorliebe setzte Peter Hammerschlag seine gute Beobachtungsgabe, seinen "Röntgenblick", in ironisch-witziger oder satirisch-kritischer Weise in Pamphleten und Karikaturen um. Seine Arbeiten erschienen in diversen Zeitungen und Zeitschriften des In- und Auslands. Besonders schön sind die selbstillustrierten Texte im "Wiener Magazin", in dem er sich zwischen 1931 und 1937 betätigte. Der Doppelbegabte hatte jedoch auch auffallend weiche Züge: Am 5. Oktober 1930 bat er Torberg um "Firsprache beim Kinderbeilage-Onkel" des "Prager Tagblattes", weil "Kinder nämlich und Gedichte für ihnen sind eine alte Force von mir, auf fertige Kinder versteh ich mich glänzend, nur vorher is bissel anstrengend." Viele seiner Texte über Kinder und Tiere zeigen eine einfühlsame, liebevolle, verspielte und manchmal sogar melancholische Seite Peter Hammerschlags.
Vom Schriftsteller zeigt die Ausstellung nicht nur ein Exposé für ein Kinderbuch, sondern auch Teile eines bisher unbekannten Romanfragments.

   Peter Hammerschlag: Tiermotiv für ein Kinderbuch.

Der Liebe Augustin

Nach Kabaretterfahrungen in Berlin plante die junge österreichische Schauspielerin Stella Kadmon, in Wien eine neue Kleinkunstbühne zu gründen. Egon Pisk, ein Redakteur des "Neuen Wiener Tagblattes", hatte dazu eine Idee: "Du, Stella, ich weiß den richtigen Mann für dich! Einen Meschuggenen! [...] Ja, der ist genau das, was du suchst. Ein Genie, ein hochgebildeter Bursche." Hammerschlag war begeistert von seiner zukünftigen Funktion als Hausdichter und Conférencier. Er nahm sogar Einfluß auf die Namensgebung des Kadmonschen Projekts: "Nennen wir es doch 'Der liebe Augustin'. Es soll ja etwas typisch Wienerisches sein."
Die Konzession wurde am 20. Oktober 1931 erteilt. Sie berechtigte "zur Veranstaltung von musikalischen und deklamatorischen Vorträgen, zu artistischen Darbietungen von Humoristen, Sängern, Schnellmalern, Zeichnern, Tänzern, sowie zur Aufführung von 'kurzen' Possen, Singspielen, Burlesken und Szenen." Da die Bühne keinen feuerfesten Vorhang hatte, wurden Kulissen verboten. So behalf man sich in den ersten Jahren mit einer Staffelei, auf der der Ort der Handlung dargestellt wurde, als Andeutung eines Bühnenbildes.
Am 7. November 1931 wurde "Der liebe Augustin" im Souterrain des Café Prückel in der Biberstraße im ersten Bezirk in Wien eröffnet. Der Saal war lang und schmal und bot zirka hundert Personen Platz, die für drei Schillinge nicht nur ein zweistündiges Kabarettprogramm, sondern auch eine Kleinigkeit zu essen und ein Getränk erhielten.
In den ersten Jahren wurden im "Lieben Augustin" hauptsächlich kurze Kabarettnummern mit improvisatorischem Charakter dargeboten; "Blitzen" im Dreiergespann - spontane Reaktionen von Dichter, Musiker und Zeichner auf Publikumszuruf - gehörte zu den Höhepunkten eines jeden Abends. Mit zunehmendem Erfolg fanden sich auch immer mehr prominente Gäste ein. Stella Kadmons Bühne wurde zum Begriff.
Das Jahr 1933 brachte verfolgte Künstler aus Deutschland zum "Lieben Augustin". Es ist unklar, warum Peter Hammerschlag Ende 1935 ziemlich abrupt dieses Kleinkunstunternehmen verließ. Möglicherweise war es Konkurrenzdruck oder eine Irritation in seiner persönlichen Affinität zu Stella Kadmon.

   Szenenfoto aus dem ersten Programm des "Lieben Augustin".

Das Wiener Umfeld

Schon während seiner Zeit beim "Lieben Augustin" schrieb Peter Hammerschlag manchmal für andere Bühnen, wie das Kabarett "Stachelbeere" und die "Österreichische Volksbühne" (auch "Urania" genannt). Nach 1935 schien sein Name in den Programmen weiterer bekannter Wiener Kleinkunstbühnen auf, darunter die "Kleinkunst in den Collonaden" (Nachfolgerin der "Stachelbeere"), das "ABC" und besonders häufig die "Literatur am Naschmarkt". Für das 1933 von dem Freund Rudolf Weys gegründete Kabarett verfaßte Hammerschlag bis Februar 1938 Texte, die "nicht nur zeitkritisch und spritzig-amüsant, sondern auch dichterisch schön sind" ("Neue Freie Presse" vom 28. Oktober 1936).
Mit Vorliebe reagierte Peter Hammerschlag mit Spottgedichten auf zahlreiche Personen aus seinem engeren Freundeskreis (zum Beispiel Friedrich Torberg) und dem weiteren Wiener Umfeld. Die Tänzerin Gertrud Kraus verewigte er gar in einem ganzen Zyklus, den von Torberg herausgegebenen Gedichten für "Die Ausdruckstänzerin Steffi Strauß". Auch parodierte er bekannte österreichische Schriftsteller, etwa Hugo von Hofmannsthal und Theodor Kramer.

   Peter Hammerschlag.

Die letzten Jahre

In der Nacht vom 11. auf den 12. März 1938 marschierten deutsche Truppen in Österreich ein. Am 13. März war der 'Anschluß' vollzogen. Im Juli 1938 wurden die Hammerschlags der Wohnung verwiesen. Die Familie mußte, wie Peter Hammerschlag im Januar 1939 schrieb, "von einer bescheidenen Pension in einer bescheidenen Pension und in Untermiete wohnen". Nach einem nochmaligen Umzug wurde ihnen eine Ghettoadresse am Salzgries (Wien I) zugeteilt. Durch Vermittlung von Freunden gelang es Peter Hammerschlag schließlich, im August 1938 über ein Visum mit beschränkter Aufenthaltsgenehmigung nach Jugoslawien auszureisen. In Belgrad traf er Stella Kadmon wieder. Sie konnte nach Palästina entkommen, ihn wiesen die jugoslawischen Behörden am 30. November aus; bald war er wieder in Wien.
Im Januar 1939 wurde dort eine neue Kleinkunstbühne - das "Wiener Werkel" - eröffnet, die Peter Hammerschlag durch Vermittlung seines Freundes Rudolf Weys erlaubte, hin und wieder seine Ideen einfließen zu lassen.
Ab dem Spätsommer 1941 mußte er als Zwangsarbeiter in dem der Deutschen Wehrmacht unterstellten "Ersatzverpflegsmagazin Wien - Leergutsammelstelle" im ehemaligen Weltausstellungsgelände (Prater, Wien II) sein Leben fristen. Anfang, spätestens Mitte 1942, als seine Eltern nach Theresienstadt deportiert wurden, tauchte Peter Hammerschlag unter. Als er einmal sein Versteck verließ, verhaftete man ihn auf der Straße. Am 17. Juli 1942 wurde er nach Auschwitz gebracht, dort oder bereits auf dem Weg dorthin ermordet.

   Peter Hammerschlag: Remember it.