Geschichte

Eine Zeitreise im Zeitraffer: Die historischen Wurzeln der Österreichischen Nationalbibliothek reichen weit in die Geschichte zurück. Ihr ältestes Buch stammt aus dem Jahre 1368, ihren ersten Bibliothekar erhielt sie 1575 und ihren heutigen Namen bekam sie 1946. Die wichtigsten Stationen der Bibliotheksgeschichte im Schnelldurchlauf. 

1368 – Der mittelalterliche Schatz
Herzog Albrecht III. (1350-1395) war ein großer Bücherfreund und aus seinem Besitz stammt das älteste für die Bibliothek nachweisbare Buch: das 1368 verfasste Evangeliar des Johannes von Troppau. Heute wird es in der Sammlung von Handschriften und alten Drucken verwahrt und gilt als Gründungskodex der Österreichischen Nationalbibliothek

1440 – Kaiser Friedrich III.
Der erste große Schritt auf dem Weg zu einer kaiserlichen Bibliothek wurde unter Kaiser Friedrich III. (1415–1493) getan, der es sich zur Aufgabe seiner Regentschaft machte, alle Kunstschätze aus dem habsburgischen Erbe zusammenzufassen. 110 besonders wertvolle Bücher ließ er in die Burg nach Wiener Neustadt bringen, darunter die Wenzelsbibel und die Goldene Bulle von König Wenzel I.

1500 – Kaiser Maximilian I.
Maximilian I. (1459-1519) war nicht weniger bibliophil als sein Vater Friedrich III. und vermehrte systematisch dessen Bibliothek. Prachthandschriften aus den damaligen Kulturzentren Europas, wie das Stundenbuch der Maria von Burgund, gelangten durch ihn nach Österreich. Noch aber war die kaiserliche Bibliothek nicht vereint. Neben Wiener Neustadt befanden sich Bestände in der Wiener Burg und in Tirol.

1504 – Bibliotheca Regia
Während sich die wertvollen Bücher stets im Umkreis des Kaisers befanden, hatten jene in der Wiener Burg wissenschaftlichen Charakter. Der Humanist Conrad Celtis (1459-1508) ordnete und vermehrte diesen Bestand und konnte daher erstmals von einer Bibliotheca Regia, einer königlichen Bibliothek, sprechen.

1575 – Hugo Blotius, kaiserlicher Bibliothekar
Heute befinden sich mehr als 3,5 Millionen Bücher in der Österreichischen Nationalbibliothek. Als der erste offizielle Bibliothekar in der damaligen kaiserlichen Bibliothek seinen Dienst antrat, waren es erst 9.000. Doch der  holländische Gelehrte Hugo Blotius (1533-1608) zählte nicht nur nach, er  inventarisierte und katalogisierte auch. Damit legte er den Grundstock für die Organisation einer zeitgemäßen Bibliothek. Danach wuchsen die Bestände, nicht zuletzt aufgrund einer kaiserlichen Verfügung zur Ablieferung von Pflichtexemplaren an die Bibliothek.

1723 – Die barocke Welt im prunkvollen Saal
Es gab Bücher und es gab Bibliothekare. Was aber noch fehlte war ein Lesesaal. Kaiser Karl VI. (1685-1740) veranlasste daher den Bau eines Bibliotheksgebäudes, den heutigen Prunksaal. Nach Plänen Johann Bernhard Fischer von Erlachs von dessen Sohn Joseph Emanuel in den Jahren 1723 bis 1726 errichtet, fand die Hofbibliothek ab 1730 ihre erste Heimstatt. Sämtliche Bestände waren nun hier verwahrt – und von 8 bis 12 Uhr öffentlich zugänglich: „Der Benutzer braucht nichts bezahlen, er soll reicher von dannen gehen und öfter wiederkehren“, verkündete Karl VI. in der Benützungsordnung.

1780 – der älteste Zettelkatalog der Welt
Damit Benutzer tatsächlich reicher aus der Bibliothek nach Hause gehen konnten, ließ Gerhard van Swieten, Präfekt der Hofbibliothek von 1745 bis 1772 und späterer Leibarzt Kaiserin Maria Theresias, aktuelle wissenschaftliche Literatur ankaufen. Ein zentraler Schritt hin zu einer modernen Bibliothek. Sein Sohn, Gottfried van Swieten, Präfekt von 1777 bis 1803, stand jedoch bald vor der Herausforderung, nicht den Überblick über die Menge an Neuerwerbungen zu verlieren. Denn als gebundene Bücher waren die alten Kataloge nicht für eine laufende Aktualisierung geeignet. Van Swieten erfand daher 1780 den ersten Zettelkatalog der Bibliotheksgeschichte. Beliebig erweiterbar, konnte nun jederzeit Neues hinzugefügt werden.

1806 – Die Nationalbibliothek des Kaisertums
„Die kaiserliche Hofbibliothek … ist die Nationalbibliothek des österreichischen Kaiserthums“, schrieb der Custos Paul Strattmann zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Zum ersten Mal wurde damit der Funktion der Bibliothek als nationales Gedächtnis gegenüber der kaiserlichen Repräsentation der Vorrang eingeräumt. Das spiegelte sich in der Folgezeit auch in der Sammlungspolitik. Sondersammlungen für einzelne Bestandsgruppen wie Papyri, Handschriften, Karten, Musikalien, Portraits und Drucke wurden gegründet und nach wissenschaftlichen Kriterien bestückt und erweitert.

1848 – Die Hofburg brennt
Als im Revolutionsjahr 1848 die kaiserlichen Truppen die Stadt beschossen, brannte die Hofburg. Gerade noch rechtzeitig konnten die unersetzlichen Bestände der Bibliothek in Sicherheit gebracht werden. Doch schon bald nach der Niederschlagung der Revolution und der Thronbesteigung Kaiser Franz Josephs I. (1830-1916) wurde der Lesebetrieb wieder aufgenommen und sogar die Öffnungszeiten verlängert. Langsam wurde die Bibliothek einem noch breiteren Publikum zugänglich. Am Beginn des 20. Jahrhunderts schließlich hatten sich Bibliotheken weltweit zu Informationszentren entwickelt, auch die Hofbibliothek: Mit dem Augustinerlesesaal erhielt die Bibliothek 1906 einen eigenen Lesesaal, die Öffnungszeiten wurden abermals erweitert und große Prunksaal-Ausstellungen boten der Öffentlichkeit erstmals einen Einblick in die reichhaltigen Sammlungsbestände.

1920 – Von der Hofbibliothek zur Nationalbibliothek
Mit dem Ende der Monarchie 1918 kam auch das Ende der Hofbibliothek. 1920 erfolgte die offizielle Umbenennung in Nationalbibliothek. Damit sollte weniger die Zugehörigkeit zu einer österreichischen Nation zum Ausdruck gebracht werden, als vielmehr „die Zugehörigkeit zur Allgemeinheit“, wie man es damals, der neuen nationalen Identität noch unsicher, vorsichtig formulierte.

1938 – Die Nationalbibliothek in der NS-Zeit
Mit dem Anschluss Österreichs an Hitler-Deutschland 1938 beginnt eines der dunkelsten Kapitel in der Geschichte der Österreichischen Nationalbibliothek. Bereits wenige Tage nach dem Anschluss wurde der amtierende Generaldirektor Josef Bick (1880-1952) inhaftiert und sein Amt von Paul Heigl (1887-1945), einem überzeugten Nationalsozialisten, übernommen. Heigl betrieb von Beginn an eine aggressive Erwerbungspolitik. Ganze Bibliotheken und Sammlungen, vor allem jüdischer Opfer des NS-Regimes und auch anderer politisch Verfolgter, gelangten als Raubgut an die Bibliothek. Im Sinne des Kunstrückgabegesetzes 1998 und seit Vorliegen ihres Provenienzberichts 2003 betreibt die Österreichische Nationalbibliothek die konsequente und lückenlose Rückgabe aller unrechtmäßigen Erwerbungen aus der NS-Zeit.

1945 – Die Österreichische Nationalbibliothek
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs war es eine der ersten Initiativen des wieder eingesetzten Generaldirektors Josef Bick, einen Antrag auf Umbenennung der Nationalbibliothek in Österreichische Nationalbibliothek zu stellen. In der Folgezeit wurde die Bibliothek im Einklang mit der gesellschaftspolitischen Entwicklung des Landes zu einem identitätsstiftenden Symbol der Österreichischen Nation. Gleichzeitig entwickelte sie sich zu einem zentralen, modernen Wissensdienstleister.

1966 wurden weite Teile der Neuen Hofburg bezogen und der Hauptlesesaal eingerichtet, der gemeinsam mit dem Benützungsbereich 2004 generalsaniert wurde. 1999 wurde das Erdgeschoß unter dem Prunksaal zu einem multifunktionalen Veranstaltungsbereich ausgebaut. 2005 erfolgte die Revitalisierung des Palais Mollard mit der Adaptierung neuer Räume für Musiksammlung, Globenmuseum, Esperantomuseum und der Sammlung für Plansprachen. Die Kartensammlung und der barocke Augustinerlesesaal wurden 2009 generalsaniert, 2010 der Austriaca-Lesesaal am Heldenplatz eröffnet. Als vorerst letzte Baumaßnahme wurde 2012 der Ludwig-Wittgenstein-Forschungslesesaal exklusiv für WissenschafterInnen eingerichtet.

Gleichzeitig mit diesen Bautätigkeiten wurde auch in die unmittelbar bibliothekarischen Dienstleistungen investiert, etwa in die Einrichtung und den Ausbau des Digitalen Lesesaals, in die wesentliche Erweiterung der Öffnungszeiten, die Implementierung einer automatischen Entlehnverbuchung, den Ausbau des kostenlosen Datenbankangebotes, die Einführung digitaler Reproduktionsservices für alle Bestandsgruppen sowie die Erweiterung der umfangreichen Informationsservices.

Den wichtigsten Beitrag zur Entwicklung der Bibliothek und seiner Museen zu einem zeitgemäßen und abwechslungsreichen Bildungs- und Kulturzentrum leisten indessen die LeserInnen und BesucherInnen selbst, indem sie die Vielfalt der angebotenen Wissensräume nutzen und mit Leben erfüllen. Erst dies macht die Österreichische Nationalbibliothek mit ihrer über 600jährigen Geschichte zu einer lebendigen Brücke zwischen dem reichhaltigen kulturellen Erbe der Vergangenheit und dem Informationsreichtum der modernen Wissensgesellschaft.