Der Staat & der Tod

Notizbuch, 40 Seiten, ohne Datum [??.??.1975]

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Beschreibung

Das Notizbuch mit dem eingetragenen Projekttitel Der Staat & der Tod von 1975 ist Teil der Sammlung Peter Handke/Leihgabe Widrich und wird im Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek aufbewahrt. Es hat einen grün-weiß karierten Einband ohne Aufschriften, ist spiralgebunden und zählt 40 karierte Seiten, wobei nur die ersten 22 von Peter Handke beschriftet wurden, die restlichen Seiten sind mit Zeichnungen seiner Tochter Amina versehen. Bei den Notizen handelt es sich ausschließlich um Aufzeichnungen zu dem als »Lustspiel« (S. 1) geplanten Theaterstück Der Staat & der Tod.

Notizen zu einem Theaterstück

Die Personen listet Handke gleich zu Beginn auf: »2 Ordnungshüter«, »1 Mann«, »1 Frau«, »1 Störenfried«, »2 Kinder« (S. 2), die er dann in den Notizen meist abkürzt als »2 O« oder »O1« und »O2«, »M«, »F.«, »S.«, »A« und »B«. Als Schauplatz des Stücks beschreibt er einen »Bauzaun mit dem Schauloch, die 2 schrägen Gassen im Bauzaun, die Telefonzelle, der Tisch mit Stuhl, der Kleiderschrank, der abseits stehende Stuhl, über den manchmal ein Vorhang weht« (S. 3). »Gegen Schluß: ein Segelboot fährt hinter dem Bauzaun vorbei, mit rotem + blauem Segel, langsam« (S. 17). Es werden im Verlauf der Notizen verschiedene Handlungen, Gesten der Personen im Umgang miteinander beschrieben oder skizziert, wobei Handke als eine bestimmende Dramatik notiert: »Charaktere, Typen, Untergebene, Machthaber wechseln von einer Bewegung zur anderen« (S. 14). Oder: »innerhalb einer Kette von Aktion-Reaktion erfolgen ganz überraschende, widersprüchliche Reaktionen, oder gar keine (Kleist, Familie Schroffenstein)« (S. 12). Immer wieder kommt es zu einer Art Rollentausch, zum »Kleiderwechsel« (S. 16), oder die Figuren zeigen sich als andere, indem sie sich Perücken abnehmen oder ein Kleidungsstück ausziehen. Das Notizbuch ist undatiert, dürfte aber im Sommer 1975 entstanden sein. Einziger Hinweis auf die Entstehungszeit gibt ein von Handkes Tochter Amina in eine Zeichnung geschriebenes Datum: 29. Juni 1975.

Verwendung der Notizen

Der Staat & der Tod war (vielleicht nicht von Anfang an) als »stummes« Theaterstück geplant; es wurde allerdings nie realisiert. Die Notizen wurden später zusammen mit weiteren Aufzeichnungen im Folgenotizbuch Schulfrei (einem weiteren Titel des Stücks) in der Literaturzeitschrift manuskripte, Heft 50 (1975), S. 70-72 abgedruckt, wobei sich diese Veröffentlichung ganz auf das das projektierte Theaterstück konzentrierte. Viele der in diesem Notizbuch skizzierten Gesten und Figuren findet man auch in späteren Stücken Handkes immer wieder, vor allem im Spiel vom Fragen von 1989 und in Die Stunde da wir nichts von einander wußten von 1992 oder in Spuren der Verirrten von 2006. Dieser Text wurde anläßlich der Uraufführung von Peter Handkes ebenfalls stummen Theaterstück Die Stunde da wir nichts voneinander wußten, am 9. Mai 1992 im Burgtheater Wien auch im Programmheft abgedruckt.

In der zweiten Jahreshälfte 1976 erschien bereits im Format der Journale ein weiterer kleiner Auszug von Notizen in der Zeitschrift protokolle Heft 2 (1976), S. 75-79 unter dem Titel Materialien zu nichts Bestimmtem; eine Dreiviertelseite mit Notizen stammt dabei aus diesem Notizbuch (S. 78). Die später ins Journal Das Gewicht der Welt übernommenen Aufzeichnungen aus diesem Notizbuch sind etwas umfangreicher als in den protokollen und unterscheiden sich auch in der einzelnen Bearbeitung. (kp)

Werkbezüge

Das Gewicht der Welt

Die Notate auf den ersten drei Seiten des Journals Das Gewicht der Welt stammen (bis auf die erste Notiz) aus Peter Handkes 1975 geschriebenem Notizbuch mit dem Projekttitel Der Staat & der Tod. (DGW 9-11) Unter diesem Titel versammelte Handke Materialien zu einem als Posse geplanten Theaterstück. Das Notizbuch umfasst 40 Seiten, wobei nur die ersten 22 Seiten beschrieben wurden. Von diesen Aufzeichnungen übernahm Handke rund ein Drittel ins Journal, wobei er in der Anordnung der Notizen der Chronologie des Notizbuchs folgte.

Veröffentlichung der Notizen

Ein Teil der Notizen aus diesem Notizbuch wurden erstmals 1975 in der Literaturzeitschrift manuskripte, Heft 50 (1975), S. 70-72 unter dem Titel SCHULFREI oder: Der Staat und der Tod abgedruckt. Die Zusammenstellung der Notate unterscheidet sich aber deutlich von den ins Journal Das Gewicht der Welt übernommenen Einträgen, da sie sich ganz auf das projektierte Theaterstück konzentriert. In der ersten Jahreshälfte 1976 erschien bereits im Format der Journale ein weiterer kleiner Auszug von Notizen in der Zeitschrift protokolle Heft 2 (1976), S. 75-79 unter dem Titel Materialien zu nichts Bestimmtem (S. 78); er macht aber nur eine Dreiviertelseite der Literaturzeitschrift aus.

Für die Veröffentlichung im Journal wurden die Notizen von Handke mehr oder weniger überarbeitet. Manche Einträge wurden fast wörtlich übernommen, wie beispielsweise »als wäre das ganze Haus voll auftauender Maikäfer« (S. 19). Die Notiz wurde bereits in den protokollen abgedruckt (S. 78), fürs Journal aber noch mit dem kleinen Zusatz »Traumgeräusche:« (DGW 10) versehen. Die eher stichwortartigen oder stark auf das Theaterstück bezogenen Notate dagegen mussten zuerst von ihren Personenzuordnungen befreit und zu Sätzen geformt werden, wie bei der Notiz: »O. [Ordnungshüter] wirft die Perücke ab und entpuppt sich als Mann, angreift S. [Störenfried], dieser entpuppt sich als Frau, die beiden fallen einander in die Arme, der 2. O. schaut fassungslos, schreitet ein und trennt die beiden« (S. 7). Sie wurde im Journal zu: »Eine Flucht: eine Frau verfolgt einen Mann. Die verfolgende Frau reißt sich im Laufen die Perücke herab und entpuppt sich als Mann; der flüchtende Mann verliert den Hut und entpuppt sich als Frau, und beide fallen einander in die Arme« (DGW 9).

Manchmal verband Handke im Zuge der Übertragung auch mehrere kleinere Notizen zu einem Journaleintrag. Zum Beispiel lautet der erste aus diesem Notizbuch übernommene Eintrag im Journal: »Er schlägt die Beine übereinander – sie werden ihm mit Gewalt entflochten; er stützt die Ellbogen auf – sie werden ihm weggeschlagen; er steckt die Hände in die Taschen – sie werden ihm herausgezogen; er legt die Hände vors Gesicht – sie werden ihm herabgerissen (einschreiten sobald sich jemand selber berührt)« (DGW 9). Der Eintrag setzt sich aus den beiden Notizbuchaufzeichnungen: »Hände im Gesicht werden sogleich heruntergeschlagen, ebenso aufgestützte Ellenbogen etc.« (S. 2) und »gewaltsam aus den Hosentaschen entfernte Hände« (S. 3) zusammen.

Zeitliche Zuordnung der Notizen

Die Notizbuchaufzeichnungen wurden von Peter Handke nicht datiert, den einzigen Hinweis auf den ungefähren Entstehungszeitraum gibt eine Zeichnung seiner Tochter Amina im hinteren Teil des Notizbuchs, in der das Datum »29 Juni 75« (S. 27) eingearbeitet ist. Das Zeichnungsdatum stimmt mit Handkes Aussage in seinem Brief an Siegfried Unseld vom 15. Juni 1975 überein: »Ich habe auch nichts Neues geschrieben, bin nur bei den Notizen zu einem Stück, das ich im Sommer schreiben will.« (Handke / Unseld 2012, S. 290) Im Journal reihte Handke die Einträge aus dem Notizbuch Der Staat & der Tod und aus einem zweiten, dem Theaterstück gewidmeten Notizbuch mit dem Titel Schulfrei; Erste Bilder unter das Datum November 1975. Die Zuordnung könnte sich aus der großen zeitlichen Lücke von drei Monaten zu den folgenden ins Journal aufgenommenen Notizen ergeben haben, bei denen es sich nun um Einträge aus dem ersten Notizbuch zum Filmdrehbuch Die linkshändige Frau handelt, an dem Handke im November 1975 zu arbeiten begonnen hatte. (siehe Handke / Unseld 2012, S. 296) (kp)

Siglenverzeichnis

Tabellarische Daten

Titel, Datum und Ort

Eingetragene Werktitel (laut Vorsatzblatt): 

Der Staat & der Tod

Zusätzlich eingetragene Werktitel:  Der Staat & der Tod: (ein Lustspiel)
Beteiligte Personen:  Amina Handke
Entstehungsdatum (laut Vorlage):  29 JUNI 75 [Zeichnung von Amina Handke auf S. 27]
Datum normiert:  ohne Datum [??.??.1975]

Materialart und Besitz

Besitz 1:  Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek
Art, Umfang, Anzahl: 

1 Notizbuch, 40 Seiten, I, pag. 1-40

Format:  9 x 14 cm
Schreibstoff:  verschiedene Filzstifte (grün, schwarz, dunkelrot), Kugelschreiber (blau)

Nachweisbare Lektüren

Heinrich von Kleist, Familie Schroffenstein (S. 12)

Ergänzende Bemerkungen

Illustrationen: 

Zeichnungen von Amina Handke (S. 23-40)
 

Bemerkungen: 

Schrift ist auf mehreren Seiten durch Wasserflecken unlesbar