Handkes Orte

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Das Kapitel versammelt Beiträge über Orte, die einen Bezug zu Leben oder Werk des Autors haben: Handkes Wohnorte und ihre Umgebungen, häufige Aufenthaltsorte, Reisestationen oder seine Verlagsstädte. Diese realen Orte und Räume können wiederum Vorbilder für Schauplätze in seinen Werken sein, wobei Handke nicht selten einen oder mehrere reale Orte mit bereits in der Literatur beschriebenen zu mythischen (aber zugleich immer noch konkreten) Phantasieorten verschmilzt.

Die Bezeichnung »Handkes Orte« lässt sich darüber hinaus auch theoretisch verstehen und auf seine Poetik beziehen: auf die Zusammenhänge von Innen- und Außenraum und Erzählen etwa, das Problem des Raumverlusts und den damit verbundenen Selbstverlust oder das meist nur momenthafte, emphatische Gefühl des eigenen Verortet- und Ganz-da-Seins, das Handke mit seinem Erzählen dauerhaft oder zumindest wiederholbar zu machen versucht. Die Wahrnehmung von Orten wird von Handke, der sich selbst als »Orts-Schriftsteller« bezeichnete, immer wieder thematisiert. Orte möchte er nicht beschreiben, sondern erzählen, sie sind selbst schon die Handlung und benötigen keine zusätzliche Aktion. (Gamper / Handke 1987, S. 19) Den Phänomenen von Raum- oder Ortswahrnehmung im Zusammenhang mit dem Erzählen, dem Formfinden, nähert er sich in seinen Notizbüchern durch tägliche Beschreibungen und Reflexionen eigener Wahrnehmungen und diverse Lektüren – literarischer Werke, philosophischer Schriften (etwa Martin Heidegger oder Baruch de Spinoza), geologischer Lehrbücher (Hartmut Leser und Herbert Wilhelmy) oder Abhandlungen über den Landbau (Vergil und Columella). (Abb. 1: mit Notizen zu geologischen Beschaffenheit von Salzburg)

Derartige Handke-Orte gibt es viele: 13 verschiedene Wohnorte, an denen er sich länger als nur ein paar Monate aufgehalten hat, unüberschaubar viele Reisestationen und Schauplätze, mindestens so viele, wie es Werke gibt – das sind bei einem produktiven und mittlerweile fast fünfzig Jahre schreibenden Autor wie Peter Handke eine Menge. Diese Schauplätze – meist Orte an den menschenleeren, aber nicht menschenfernen Rändern und Peripherien von großen Städten – sind über die ganze Welt verstreut in: Österreich, Deutschland, Slowenien, Kroatien, Serbien, Griechenland, Italien, Spanien, Frankreich, den Niederlanden, USA, Ägypten oder Japan. In seinen Werken findet man die Orte so exakt beschrieben, dass man seinen Spuren nicht nur lesend folgen kann (siehe die Beiträge zu über Aix-en-Provence, den Morzger Wald oder Salzburg).

Die angeführten Orte Handkes lassen sich, abgesehen von den Beschreibungen in Erzählungen oder ihren Erwähnungen in Interviews und Briefen, nicht immer anschaulich darstellen. In den öffentlichen Archiven gibt es nur zu vergleichsweise wenigen Orten Bild-, Recherche- und Werkmaterialien von Handke oder Fotos und Berichte anderer. So lassen sich die Wohnorte bis 1970 kaum durch Bilder dokumentieren. Ab Anfang/Mitte der 1970er-Jahre ändert sich die Materiallage jedoch: Nicht nur nimmt die Anzahl der von Handke gemachten und in den öffentlichen Archiven vorhandenen Fotos zu, ab 1976 kann man in Handkes journalartig geführten Notizbüchern Orts-Einträge finden. Die Reisestationen – darunter Metropolen, Kleinstädte und kleinste Siedlungen wie Dörfer oder Weiler – wurden von ihm dabei am inneren Notizbuchumschlag aufgelistet. Diese Listen konnten in der Zeit seiner Weltreise (1987 bis 1990) mehrere Seiten ausmachen. (Abb. 2-3)

Korrespondierend zu den Orts- und Wegbeschreibungen in den Notizbüchern gibt es von manchen Wanderungen wie durch Slowenien und den slowenischen Karst, um die Montagne Sainte-Victoire in Aix-en-Provence oder durch Serbien Handkes Landkarten mit eingetragenen und datierten Reise- und Wanderrouten. Gerade die mit Freunden unternommenen Serbienreisen lassen sich zum Teil sehr genau durch Fotos, Hotel- und Restaurantrechnungen dokumentieren. Anschauungsmaterial findet man auch in der Korrespondenz – vor allem in den Postkarten, die er von unterwegs an Freunde geschrieben hat. Postkarten nahm sich Handke von seinen Reisen auch als Erinnerung mit nach Hause wie das eine Sammlung von 136 Stück vermuten lässt (ÖLA SPH/LW/S263), beispielsweise Postkarten von einer Reise im Juli 1987 nach Sardinien, deren Eindrücke man auch im Notizbuch Handkes (ÖLA SPH/LW/W122) nachlesen kann. (Abb. 5-11)

Zu manchen Handke-Orten sind in den Archivbeständen möglicherweise Fotos vorhanden, aber sie lassen sich nicht auswerten, da die Motive nicht bestimmt werden können. In der Sammlung Peter Handke von Hans Widrich am Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek gibt es ungefähr 500 vom Autor selbst angefertigte Polaroids und ebenso viele Kleinformatbilder, auf denen oftmals nur Landschaften oder Gebäude zu sehen sind. Vereinzelt beschriftete Handke die Fotos auf der Rückseite mit Datum und Ort oder er datierte sie nur, wodurch sich der Ort durch Einträge in den Notizbüchern oder durch Briefe ermitteln lässt.

Im Notizbuch vom 5. bis 21. Juli 1976 mit dem Projekttitel Ins tiefe Österreich (ÖLA SPH/LW/W78) beschreibt Handke eine Reise von Linz beginnend durch das Mühlviertel bis an die Grenze zur Tschechischen Republik, durch das Waldviertel bis zur Donau nach Grein, von dort mit dem Schiff nach Wien und dann weiter nach Salzburg, Tirol, Vorarlberg, München und Italien. Eine Fotoserie mit bisher unidentifizierbaren Motiven entstand laut elektronischer Ausarbeitungsdatierung »76« (ÖLA SPH/LW/S104). Durch die Beschreibung der Reise im Notizbuch konnte man auf einigen der Bilder tatsächlich diese durchwanderten und beschriebenen Orte erkennen. »Das Willkommensschild der CSSR von der Sonne durchschienen« (S. 35); »Großpertholz« (S. 36); »Gmünd« mit dem »Steinmuseum« (S. 38-44) oder die »Schiffahrt« und die »Schleuse« (S. 74-76). (Abb. 12-22) Weitere Bilder dieser Fotoserie lassen sich nun, auch wenn sich nicht alle Motive genau ermitteln lassen, dieser Reise zuordnen. (kp)

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