Die linkshändige Frau

Notizbuch, 56 Seiten, ??.11.1975 bis ??.01.1976

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Beschreibung

Dieses türkisfarbene Notizbuch mit dem Projekttitel »Die linkshändige Frau« umfasst 56 karierte Seiten, die bis auf die leer gebliebene Seite 35 von Peter Handke mit blauem Kugelschreiber, schwarzem Fineliner und Bleistift beidseitig beschrieben wurden. Einzelne Stellen wurden mit rotem Kugelschreiber seitlich durch Striche markiert, abgehakt oder durchgestrichen. Die Angabe des Seitenumfangs beruht auf der Sichtung des Notizbuchdigitalisats am Deutschen Literaturarchiv Marbach. Vier im Original vorhandene, teilweise nur mehr aus einem schmalen Streifen bestehende, unbeschriebene Blattreste, die miteingerechnet eine Seitenanzahl von 64 ergeben würden, wurden nicht mitgescannt. Die Seiten sind unpaginiert, die folgenden Quellenangaben beziehen sich auf die am Digitalisat vorgenommene Seitenzählung von 1-56.

Entstehungsort

Handke vermerkte in diesem Notizbuch keine Reisen. Verglichen mit spätern Notizbüchern, in denen Orte eine wichtige Rolle spielen, zeigte er hier für die Beschreibung und Nennung von Orten kaum Interesse. Nur zwei Orte wurden namentlich erwähnt, die als Entstehungsort der Notizen Paris vermuten lassen: sein Wohnort »Bd. Montmorency« (S. 19) im 16. Arrondissement in Paris und die Métrostation »Sèvres-Lecourbe« (S. 27) am Bd. Garibaldi zwischen 7. und 15. Arrondissement.

Datierung

Auch wenn Handke etliche Einträge aus diesem Notizbuch in sein veröffentlichtes Journal Das Gewicht der Welt übernommen hat (DGW 14-22), wurde es von ihm noch nicht journalartig geführt. Es steht mit dem Folgenotizbuch (ÖLA SPH/LW/W9) am Übergang zwischen einem am Schreibprojekt orientierten Notieren, für das Datierungen nicht notwendig waren, und einem zweckfreien Mitschreiben von Bewusstseinseindrücken. In den Aufzeichnungen findet man nur die zwei Datumseinträge »21.11.1975« (S. 24) und »30.11.75« (S. 26), die restlichen Notizen sind undatiert. Die beiden Daten unterstreichen die Besonderheit der notierten Erlebnisse, sie wurden auch in Das Gewicht der Welt mit der Datierung übernommen. Sie kennzeichnen dementsprechend zweckfreie Notizen, die lauten: »Lust auf andere Orte und eine andre Zeit zu haben, überhaupt, wieder denken zu können, das empfinde ich fast als eine Art Gnade (nach dem 21.11.1975)« (S. 24; vgl. DGW 19) und »30.11.75 [/] Das Ich empfand ich heute abend als eine (von Natur) unzuverlässige Maschine zum In-Gang-Setzen der Welt: als ob gleichsam erst das Ich sich in Gang setzen muß \wie ein Kraftwerk/, damit die Welt sich beleuchtet \wird/ (\sich/ erleuchtet)« (S. 26; vgl. DGW 20).

Eine grobe zeitliche Zuordnung des Notizbuchs nahm Handke erst im Nachhinein vor, durch einen auf den Buchumschlag geklebten Papierstreifen mit der Aufschrift »Nov 75-Jan 76«. Im Journal Das Gewicht der Welt, das mit November 1975 beginnt, wurden die Notizen dieses Notizbuchs Monaten zugeteilt. Da die chronologische Reihenfolge der Notate für die Veröffentlichung aber etwas verändert wurde, kann diese zeitliche Zuordnung nur mit Vorbehalt als Datierungsrichtlinie für das Notizbuch herangezogen werden. Die unter »Dezember« (DGW 20ff.) gereihten Notizen vermischen sich zudem mit Einträgen aus dem vorhergehenden Notizbuch (ÖLA SPH/LW/W70). Unter »Jänner« (DGW 23 ff.) findet man im Journal keine Notate aus diesem Notizbuch.

Beschreibung der Notizen

Der Großteil der Notizen ist in deutscher Sprache geschrieben, einige Einträge – vor allem Zitate aus Lektüren oder Filmen französischer Autoren bzw. Regisseure wurden auch auf Französisch wiedergegeben (z.B: S. 7, 30, 46, 48, 50). Einzelne Wörter oder Satzteile notierte Handke in Stenografiekürzeln (z.B.: S. 5, 8-9, 13, 45-48, 51-52), was die Lesbarkeit des Einträge erschwert.

Die ersten beiden Drittel der Aufzeichnungen (S. 1-34) bestehen aus Notizen zu den zwei Schreibprojekten Die linkshändige Frau und dem Gedicht Das Ende des Flanierens sowie zu Augenblickswahrnehmungen und Lektüren; letztere wurden später in das Journal übernommen. Das Hauptinteresse der Notizen kreist aber um die Filmerzählung Die linkshändige Frau, der Handke das Notizbuch am vorderen Vorsatz (der Innenseite des Umschlags) zuordnete. Ab der Mitte des Notizbuchs sind die Einträge mit Zeichnungen (S. 32, 33, 38, 40-41, 54, 55) und kleinen Geschichten (S. 36-39, 53) seiner damals sechseinhalb Jahre alten Tochter Amina durchmischt. Das dritte Drittel des Notizbuchs (S. 42-52) besteht aus Notizen zu Filmen. Auf der letzten Seite notierte Handke die ersten drei Zeilen aus Paul Simons Song Duncan (S. 56) und zwei Adressen.

Lektüre

Im Notizbuch finden sich nur wenige nachweisbare Lektüren: Das Zitat »"Auf ihrem höchsten Gipfel wird die Poesie ganz äußerlich sein" (Goethe)« (S. 27) aus Maximen und Reflexionen, zeigt, dass Handke seine Goethe-Lektüre nach Falsche Bewegung weiter fortgesetzt hat. In einem in Die Zeit am 2. Jänner 1976 veröffentlichten Briefwechsel mit Dieter E. Zimmer weist Handke auf diesen von ihm gerade gelesenen Satz bei Goethe hin, der »wie eine freundschaftliche Erleuchtung einer Schreibhaltung [war], die auch mir für das, was ich schreibe, als die Herrlichkeit auf Erden vorschwebt«.

Weiters notierte er sich den Kommentar »Nach Kafka: Es ist auch eine Anstrengung auf ein niedriges Niveau herunterzukommen – was so nötig ist!« (S. 20) und eine Aussage (auf Französisch) von Lili Brik über den Selbstmord ihres Geliebten, des russischen Dichters Wladimir Majakowski (S. 29), wobei die Herkunft des Zitats nicht eruiert werden konnte. Eine Notiz, die bei Handke über die Jahre immer wieder auftaucht (z.B.: DGB 102f.), deren Quelle aber bislang unbekannt ist, findet man hier erstmals notiert: »das Bewußtsein der Toten rollt mit den Kieseln im Bach« (S. 17). Ein langes, eine ganze Notizbuchseite füllendes Lektürezitat Handkes, das ebenfalls noch keiner Quelle zugeordnet werden konnte, beinhaltet den Text, den die Frau in Die linkshändige Frau übersetzen soll: »J’attends d’un homme qu’il m’aime pour ce que je suis […]« (S. 7; DF 56ff.)

Filmnotizen

Den Übergang zu den Filmnotizen im letzten Drittel des Notizbuchs bildet eine Auflistung von Eckdaten zu Aminas Schikurs in »Morzine [/] St. Gervais/ Chamonix« von 8. bis 31. Jänner 1976 (S. 43), die Handke kurz vor ihrer Abreise Ende Dezember / Anfang Jänner notiert haben könnte. In einem Brief an Hermann Lenz vom 12. Februar 1976 erwähnt er, dass er im Jänner während der dreiwöchigen Abwesenheit der Tochter allein in Paris war und das Filmdrehbuch geschrieben hat (Handke / Lenz 2006, S. 94). Die Filmnotizen könnten somit Jänner 1976 im Kontext seiner Arbeit am Filmdrehbuch zu Die linkshändige Frau entstanden sein; sie wurden bis auf eine zu Jean-Luc Godard und François Truffaut (S. 44; vgl. DGW 22) nicht in Das Gewicht der Welt übernommen.

Die Notizen beschäftigen sich mit den beiden Filmen L’Histoire d’Adèle H. von Truffaut und Numéro Deux von Godard. Im ersten Teil der Filmnotizen vergleicht Handke die Filmästhetik der beiden französischen Regisseure der Nouvelle Vague (S. 42-45): »T: sieht, was man sieht [/] G: zeigt, was man sieht und wie man es sieht« (S. 42); »Godard: Erfahrung + Erwartung, [/] Truffaut: weder Erwartung noch Erfahrung« (S. 42); »Die Frau im Film Godards wird nie ohnmächtig, sie masturbiert (La poste!) Das Ohnmächtigwerden bei Truffaut« (S. 44; DGW 22) oder: Godards »Film aus Fetzen« im Gegensatz zu Truffauts »Film als Fetzen« (S. 47). Truffaut unterstellt er zudem »Wohlfeilheit« (S. 47). Im Zuge des Vergleichs erwähnte Handke auch Filme von anderen Regisseuren: »[Louis] Malle & [Claude] Lelouch: Filme aus Plastik, die glänzend vor sich hin verrotten« (S. 45) oder Jean Renoirs La Régle du jeu (S. 52).

Während sich die Seite 45 vorrangig auf Truffauts L’Histoire d’Adèle H. bezieht, zu dem er eine Aussage des Filmkritikers Helmut Färber notierte: »der Film existiert nicht (Helmut F.) [/] Existierende und nicht existierende Filme« (S. 45), folgen Handkes Aufzeichnungen der Seiten 46-53 den verschiedenen Szenen von Numéro Deux, springen aber in der Chronologie des Films. Es könnte sich dabei um eine Art Mitschrift handeln, da Handke auch Dialogteile notierte, dabei zwischen Deutsch und Französich wechselt und etliches mit Stenographiekürzeln festhält. Die Aufzeichnungen machen auch graphisch den Eindruck, als hätte Handke sie während der Kinovorstellung angefertigt: die Notizen sind schwer leserlich, großzügig ohne auf die Zeilenvorgabe zu achten über die Seiten geschrieben, während seine Notizen in den ersten zwei Drittel des Notizbuchs sehr gleichmäßig und gerade geschrieben die Seiten füllen.

Die beiden Filme und ihre Regisseure verglich Handke bereits in seinem Aufsatz »Mr. Curtiz lebt nicht mehr hier«, der am 27. Oktober 1975 in der Zeitschrift Spiegel erschienen war und 1980 im Sammelband Das Ende des Flanierens (DEF 83ff.) wiederabgedruckt wurde. Handke musste sich somit nach Erscheinen des Aufsatzes erneut mit den beiden Filmen beschäftigt haben, vermutlich für seine Arbeit an der Filmerzählung Die linkshändige Frau. (kp)

Werkbezüge

Die linkshändige Frau

Dieses Notizbuch mit einem Umfang von 56 Seiten enthält einer von Peter Handke nachträglich am Buchumschlag vorgenommenen Datierung zufolge Aufzeichnungen aus dem Zeitraum zwischen November 1975 und Jänner 1976. Die meisten Notizen beschäftigten sich thematisch mit der Filmerzählung Die linkshändige Frau. Das Notizbuch wurde von Handke dementsprechend am vorderen Vorsatz (der Innenseite des Umschlags) dem Schreibprojekt zugeordnet, wobei er die erste Titelidee »Die Linkshänderin« (S. I) strich und durch den bekannten Titel ersetzte. Es ist die erste in öffentlichen Archiven vorhandene Quelle zu seiner Filmerzählung und enthält etliche Skizzen zu Figuren und vor allem zu zentralen Stellen des Plots wie etwa zum Wunsch der Frau, verlassen zu werden (S. 1, 28; DF 22), zum Besuch des Vaters (S. 1, 2; DF 88ff.), zur Erinnerung der Frau an die Ausstellung von Barnett Newman (S. 4; DF 106ff.), zum Aufsatz des Kindes über das schöne Leben (S. 9-10; DF 8ff.) oder zur Frau, die ihren Mann verfolgt und ihm dann einen Pullover kauft (S. 28; DF 108f.). Es kommen noch keine Figurennamen vor.

Die Notizen sind oftmals nur Stichwörter wie zum Beispiel: »Der Vater [/] Waldspaziergang, Abenddämmerung an einem Weiher« (S. 1) und »Der Vater kommt zu Besuch« (S. 2; vgl. DF 88), »Radio in der Küche, im Badezimmer« (S. 9; vgl. DF 70) oder »starkes Glockengebimmel an den Kassen des Warenhauses« (S. 16; vgl. DF 41). In anderen Notizen werden Dialogpassagen skizziert: »"Du hast ja deine Haare geschnitten?" – "Ja, aber schon vor 2 Wochen." – "Und hast du bemerkt, daß ich den Bart abrasiert habe." – "Ach ja, jetzt seh ich das erst." – "Ist das Sofa hier neu?" "Das letzte Mal war es doch noch ein anderes?" – "Nein, wie kommst du darauf, es ist das alte." (S. 16; vgl. DF 77) Manche Notizen waren vermutlich zuerst gar nicht für die Filmerzählung gedacht, wurden aber von Handke später eingearbeitet wie etwa der Eintrag: »Der Interviewer sagt zum Einsamen: "Erzählen Sie mir eine Geschichte von der Einsamkeit!" Der Befragte schweigt.« (S. 33; DF 44) Ein langes, eine ganze Notizbuchseite füllendes Lektürezitat Handkes, das bisher noch keiner Quelle zugeordnet werden konnte, beinhaltet den Text, den die Frau in der Filmerzählung übersetzen soll: »J’attends d’un homme qu’il m’aime pour ce que je suis […]« (S. 7; DF 56ff.)

Das Notizbuch enthält nur zwei Datierungen, weshalb eine genaue zeitliche Einordnung der Notizen nicht möglich ist. Die Einträge sind aber noch vor der Arbeit an der ersten Textfassung, dem zwischen 9. und 25. Jänner 1976 geschriebenen Filmdrehbuch, entstanden; sie wurden nach ihrer Einarbeitung in den Text mit rotem Kugelschreiber abgehakt.

Obwohl Die linkshändige Frau als Filmdrehbuch konzipiert wurde, kommen keine Details zu Kameraeinstellungen oder Schauplätzen vor. Die Notizen zu Filmen von Jean-Luc Godard, François Truffaut, Louis Malle, Claude Lelouch oder Jean Renoir zeigen aber eine intensive Beschäftigung mit Filmästhetik der französischen Nouvelle Vague. (kp)

Das Ende des Flanierens

Das Notizbuch mit dem Projekttitel »Die linkshändige Frau«, das Peter Handke nachträglich auf November 1975 bis Jänner 1976 datierte, enthält erste Skizzen zu vier Strophen Gedichts Das Ende des Flanierens, die er zum Teil im Folgenotizbuch (ÖLA SPH/LW/W9) wieder aufnahm und weiterentwickelte. Das Gedicht erschien mit 18 Strophen am 5. März 1976 in Die Zeit und wurde im selben Jahr in der gleichen Fassung als exklusiver Einzeldruck mit Linolschnitten in dem kleinen österreichischen Verlag Davidpresse von Hermann Gail als publiziert. Die Skizzen wurden im Gedicht in eine andere chronologische Reihenfolge gebracht und die einzelnen Strophen zum Teil aus mehreren Einträgen montiert. Ob Handke zum Zeitpunkt des Notierens bereits dran dachte, ein Gedicht zu schreiben, geht aus den Skizzen nicht hervor, aber er probierte zumindest beim Entwurf zur Strophe 17 eine andere Variante aus, was auf die Absicht, ein Gedicht zu schreiben, schließen lässt.

Strophe 9

Der Entwurf zur Strophe neun, die im Erstdruck beginnt: »Betrunken um Mitternacht: [/] In der Cafétoilette [/] vor dem Abfluß im Boden stehend [/] pißt du plötzlich gegen ein gotisches Kirchenfenster« (DEFa) lautet: »pissen im Pissoir gegen ein [/] Kirchenfenster (der Abfluß) [/] plötzlich sieht er eine vorbeiziehende [/] Leuchtschrift mit den letzten Nach- [/] richten: die überirdische Métro gegen [/] Mitternacht vor der Station [/] (Sèvres-Lecourbe)« (S. 27). Die im Entwurf namentlich genannte Métrostation ist neben einer Erwähnung des Boulevard Montmorency die einzige Ortsangabe im Notizbuch; sie wurde nicht in das Gedicht übernommen. Aus der »Leuchtschrift mit den letzten Nachrichten wurde eine »bewegliche Leuchtschrift mit den [/] Tagesnachrichten deiner Feinde« (DEFa).

Strophe 13

Aus den beiden an unterschiedlichen Stellen im Notizbuch eingetragenen Skizzen: »mit geschlossenen Augen sitzt [/] die Frau in der Metro, als ob [/] sie auf den Tod wartet« (S. 17) und »Die Kassiererin, die den Plastiksack [/] ihm zuwirft, hinter sich, ohne sich umzu- [/] schauen: mit einer seltsamen Genugtuung [/] empfängt er diese verächtliche Geste [/] im schäbigen Warenhaus« (S. 31) setzt sich im Erstdruck die 13. Strophe des Gedichts zusammen: »Im Métrowagen sitzt auf einem Klappsitz [/]eine Frau mit geschlossenen Augen [/] als ob sie da auf den Tod warte [/] Daß die Kassiererin im Supermarkt ihr [/] den Plastiksack hinwerfen wird [/] ohne sich nach ihr umzudrehen [/] wird sie erzittern erzittern lassen [/] vor still triumphaler Genugtuung« (DEFa).

Strophe 16

Die Vorlage zur 16. Strophe im Erstdruck dürfte um den 30. November 1975 entstanden sein, der folgende Notizbucheintrag wurde zumindest mit diesem Datum versehen. Die Skizze lautet: »Die Lebensaugenblicke, die vor [/] einem wegspringen wie Katzen zwischen Gräbern großer Friedhöfe [/] Katzen, die vor einem weg- [/] springen zwischen den Gräbern [/] großer Friedhöfe wie Lebensaugen- [/] blicke« (S. 26). Handke änderte bei seiner Überarbeitung die Reihenfolge von »Katzen« und »Lebensaugenblicken« und versah die Strophe mit einer Zeitangabe und einer Lokalisierung. Sie beginnt im Erstdruck: »Cimetière Montparnasse: [/] Am Nachmittag [/] und die Katzen springen zwischen den Gräbern wie Lebensaugenblicke [/] Lebensaugenblicke springen wie Katzen« (DEFa) Die in der Ausarbeitung zugefügte Lokalisierung »Cimetière Montparnasse« (DEFa) findet sich nicht im Notizbuch.

Strophe 17

In den Entwürfen zur Strophe 17 des Erstdrucks mit dem Anfang: »Zufrieden mit einer Arbeit [/] gehst du ins Café [/] […]« (DEFa) probierte Handke zwei Varianten. Er notierte zuerst: »Es war ein Spätnachmittag im November Oktober [/] Ich hatte eine Arbeit fertig und [/] ging ins Café [/] Ich war zufrieden [/] Es wurde dämmerte draußen und [/] Ich stand an der Musikbox und [/] an der Theke stand eine Frau mit [/] weißen Stiefeln [/] und ich dachte: Jetzt müßte das [/]Gedicht eigentlich weitergehen« (S. 19f.). Drei Seiten weiter veränderte er die Strophe zu: »Es war \{sonntäglich}/ Ein Sonntagnachmittag [/] Ich war Zufrieden mit dem, [/] was ich getan hatte [/] und ging \ich/ in ein Café [/] wo es dann Abend wurde [/] Ich stand an der Musikbox, [/] und an der Theke stand eine [/] Frau in weißen Stiefeln [/] und ich dachte: [/] Eigentlich müßte dein das Gedicht [/] jetzt weitergehen« (S. 22). Für den Erstdruck verwendete Handke die Du-Form »gehst du« oder »Du stehst« (DEFa). (kp)

Das Ende des Flanierens (Sammelband)

Dieses von Peter Handke nachträglich auf November 1975 bis Jänner 1976 datierte Notizbuch enthält erste Skizzen zu vier Strophen des Gedichts Das Ende des Flanierens. Das Gedicht erschien mit 18 Strophen zuerst am 5. März 1976 in Die Zeit, wurde noch im selben Jahr in der gleichen Fassung als Einzeldruck im Verlag Davidpresse von Hermann Gail publiziert (DEFa) und 1980 in den gleichnamigen Sammelband aufgenommen (DEF 93-97). Für diesen Wiederabdruck wurde es von Handke stilistisch überarbeitet, um eine Strophe gekürzt und von der Du- in eine Ich-Form gebracht. Die veränderte Form ist oftmals den ursprünglichen Skizzen näher als der Erstdruck. Die in diesem Notizbuch enthaltenen Skizzen betreffen die Strophen acht, zwölf, 15 und 16 im Sammelband.

Strophe 8

Der Entwurf zur Strophe acht im Sammelband (neun im Erstdruck), die beginnt: »Betrunken um Mitternacht: [/] In der Cafétoilette [/] gegen ein gotisches Kirchenfenster pissen [/]« (DEF 94) lautet im Notizbuch: »pissen im Pissoir gegen ein [/] Kirchenfenster (der Abfluß) [/] plötzlich sieht er eine vorbeiziehende [/] Leuchtschrift mit den letzten Nach- [/] richten: die überirdische Métro gegen [/] Mitternacht vor der Station [/] (Sèvres-Lecourbe)« (S. 27) Die im Erstdruck noch vorhandene Zeile »vor dem Abfluß im Boden stehend« wurde im Sammelband gestrichen und die Du-Form »pißt du plötzlich« (DEFa Strophe 9) neutralisiert.

Strophe 12

Die zwölfte Strophe des Gedichts im Sammelband (13 im Erstdruck) vereint die zwei an unterschiedlichen Stellen im Notizbuch eingetragenen Skizzen: »mit geschlossenen Augen sitzt [/] die Frau in der Metro, als ob [/] sie auf den Tod wartet« (S. 17) und »Die Kassiererin, die den Plastiksack [/] ihm zuwirft, hinter sich, ohne sich umzu- [/] schauen: mit einer seltsamen Genugtuung [/] empfängt er diese verächtliche Geste [/] im schäbigen Warenhaus« (S. 31) Im Sammelband liest man: »Auf einem Klappsitz im Métrowagen [/] sitzt eine Frau mit geschlossenen Augen [/] als ob sie da auf den Tod warte [/] Daß im Supermarkt die Kassiererin [/] ihr einen Plastiksack hinwirft [/] ohne sich nach ihr umzudrehen [/] läßt sie erzittern vor still-triumphialer Genugtuung –« (DEF 95ff.). Sie hat sich im Vergleich zum Erstdruck nur marginal zum Beispiel durch Wortumstellungen verändert.

Strophe 15

Die Skizze zur 15. Strophe im Sammelband (16 im Erstdruck) lautet im Notizbuch: »Die Lebensaugenblicke, die vor [/] einem wegspringen wie Katzen zwischen Gräbern großer Friedhöfe [/] Katzen, die vor einem weg- [/] springen zwischen den Gräbern [/] großer Friedhöfe wie Lebensaugen- [/] blicke« (S. 26) Handke übersetzte bei seiner Überarbeitung des Gedichts für den Sammelband nur das Wort »Cimetière« zu »Friedhof Montparnasse« (DEF, 96).

Strophe 16

Bei der Strophe 16 im Sammelband (17 im Erstdruck) mit dem Anfang: »Zufrieden mit einer Arbeit [/] ging ich ins Café« (DEF 97) probierte Handke noch eine zweite Variante. In der ersten Version heißt es: »Es war ein Spätnachmittag im November Oktober [/] Ich hatte eine Arbeit fertig und [/] ging ins Café [/] Ich war zufrieden [/] Es wurde dämmerte draußen und [/] Ich stand an der Musikbox und [/] an der Theke stand eine Frau mit [/] weißen Stiefeln [/] und ich dachte: Jetzt müßte das [/]Gedicht eigentlich weitergehen« (S. 19f). Drei Seiten weiter veränderte er die Strophe zu: »Es war \{sonntäglich}/ Ein Sonntagnachmittag [/] Ich war Zufrieden mit dem, [/] was ich getan hatte [/] und ging \ich/ in ein Café [/] wo es dann Abend wurde [/] Ich stand an der Musikbox, [/] und an der Theke stand eine [/] Frau in weißen Stiefeln [/] und ich dachte: [/] Eigentlich müßte dein das Gedicht [/] jetzt weitergehen« (S. 22). Wieder wurde die Du-Form des Erstdrucks »gehst Du ins Café« und »Du stehst an der Musikbox« (DEFa Strophe 17) zurückgenommen und in ursprüngliche die Ich-Form. (kp)

Das Ende des Flanierens (Sammelband)

Peter Handkes Aufsatz mit dem Titel »Mr. Curtiz lebt nicht mehr hier«, in dem er über die beiden Filme Numéro Deux von Jean-Luc Godard und L’Histoire d’Adèle H. von François Truffaut schreibt und die Filmästhetik der beiden französischen Regisseure der Nouvelle Vague vergleicht, erschien zuerst am 27. Oktober 1975 in der Zeitschrift Spiegel. Er wurde von Handke 1980 auch in den Sammelband Das Ende des Flanierens aufgenommen (DEF 83ff). Dieses Notizbuch enthält im letzten Drittel der Aufzeichnungen Notizen zu beiden Filmen sowie zum Vergleich von Godard und Truffaut. Da das Notizbuch von Handke aber auf den Zeitraum von November 1975 bis Jänner 1976 datiert wurde, müssen diese Notate folglich nach dem Aufsatz, vermutlich Ende Dezember 1975 /Anfang Jänner 1976 entstanden sein. Handke dürfte sich beide Filme für die Arbeit am Filmdrehbuch Die linkshändige Frau noch einmal angesehen bzw. sich noch einmal damit beschäftigt haben. (kp)

Das Gewicht der Welt

Ein Teil von Peter Handkes Notizbuchaufzeichnungen aus dem Zeitraum zwischen November 1975 und Jänner 1976 wurde in seinem Journal Das Gewicht der Welt abgedruckt. Dieses Notizbuch wurde dabei von Handke noch nicht journalartig geführt, denn die Aufzeichnungen sind bis auf zwei Ausnahmen (S. 24, 26; siehe DGW 19-20) undatiert. Es steht vielmehr am Übergang von einem schreibprojektorientierten Notieren (ohne Datierung) zu einem täglichen, zweckfreien Mitschreiben von Bewusstseinseindrücken.

Das Notizbuch hat einen Umfang von 56 Seiten, wobei sich die ersten zwei Drittel der Aufzeichnungen (S. 1-34) aus Skizzen zur Filmerzählung Die linkshändige Frau und zum Gedicht Das Ende des Flanierens zusammensetzen, die durchmischt sind mit Notizen zu Augenblickswahrnehmungen und Lektüren. Das letzte Drittel (S. 42-52) besteht aus Notizen zu Filmen von Jean-Luc Godard und François Truffaut, die bis auf eine – es ist zugleich der letzte ins Journal übernommene Eintrag dieses Notizbuchs (S. 44, DGW 22) – keine Verwendung im Journal gefunden haben. Die projektbezogenen Einträge wurden bis auf einzelne Ausnahmen ebenfalls nicht abgedruckt. Ausnahmen wären beispielsweise die Notiz: »Kind: "Deine Haare riechen?"[/] "Hoffentlich nicht nach Küche?" [/] "Nach Parfüm" [/] "Gott sei Dank."« (S. 3). Sie wurde sowohl in der Filmerzählung verarbeitet (DF 50) als auch in Das Gewicht der Welt (DGW 18) übernommen. Oder die Notiz: »Zwei liegen in zwei Badewannen \nebeneinander/ und reden miteinander« (S. 19); sie wurde in Die linkshändige Frau zum Vorbild für die Szene, in der die Frau und das Kind nach ihrer Wanderung gemeinsam baden (DF 108), wurde aber auch im Journal mit dem Zusatz: »wie zwei nach dem Überstehen großer Mühen in einem Western« (DGW 15) gedruckt. Ins Journal ausgewählt wurden vor allem die Notizen zu Augenblickswahrnehmungen.

Die Aufzeichnungen dieses Notizbuchs umfassen im Gewicht der Welt achteinhalb Seiten: sie beginnen im unteren Teil der Seite 14 und enden auf Seite 22. Die Notiz »das Bewußtsein der Toten rollt mit den Kieseln im Bach« (S. 17) wurde von Handke erst auf Seite 90 des Journals abgedruckt, weil er den Satz während seines Krankenhausaufenthalts am 29. März 1976 noch einmal (ÖLA SPH/LW/W74, S. 75) notiert hatte.

Im Gewicht der Welt wurden die Notizen von Handke den Monaten November und Dezember 1975 zugeteilt. Mit der Datierung Jänner 1976 findet man keine Notate aus diesem Notizbuch. Die chronologische Reihenfolge der Notizen wurde von Handke für die Veröffentlichung leicht verändert. Die erste Notiz im Journal, die beginnt: »"Ja, ich fühl mich jetzt niedergeschlagen …"« (DGW 14), stammt von Seite 15 des Notizbuchs. Danach folgen die weiteren Journalnotizen der Notizbuchchronologie bis zu dem Eintrag: »Ich kenne jemanden…« (DGW 17; S. 24). Die anschließenden neun Notate stammen aus dem vorhergehenden Notizbuch mit dem Projekttitel »SCHULFREI; ERSTE BILDER« (ÖLA SPH/LW/W70). Die nächste Notiz »Sie sieht einen Film…« (DGW 18) von Seite 29 im Notizbuch wurde in der Chronologie vorgezogen, die weiteren acht Notizen von den Seiten 2-4 im Notizbuch wiederum in der Chronologie zurückversetzt. Ab der Notiz »Schwefelgelbes Spätnachmittagslicht…« (DGW 19; S. 24) knüpft Handke wieder an die Seite 24 im Notizbuch an und folgt erneut der Anordnung im Notizbuch, wobei im Journal dazwischen immer wieder einzelne Einträge aus einem anderen Notizbuch stammen (DGW 19, 21-22). Auf die vorletzte Notiz »Der Interviewer sagte zum "Einsamen"…« (S. 33, DGW 22) von Seite 33 im Notizbuch folgt als letzter Eintrag aus diesem Notizbuch: »Die Frau in dem Film Truffauts fällt in Ohnmacht, die Frau in dem Film Godards masturbiert« (DGW 22) von Seite 44. Die zehn Seiten zwischen diesen beiden Notizen sind im Notizbuch mit Zeichnungen und Texten von Handkes Tochter Amina gefüllt. (kp)

Tabellarische Daten

Titel, Datum und Ort

Eingetragene Werktitel (laut Vorsatzblatt): 

Die Linkshänderin [S. I]; Die linkshändige Frau [S. I]

Beteiligte Personen:  Amina Handke
Entstehungsdatum (laut Vorlage):  Nov 75-Jan 76; 21.11.1975 [S. 24]; 30.11.75 [S. 26]
Datum normiert:  ??.11.1975 bis ??.01.1976
Entstehungsorte (laut Vorsatzblatt): 

Bd. Montmorency [Paris, S. 19]; Sèvres-Lecourbe [Métrostation in Paris, S. 27]

Materialart und Besitz

Besitz:  Deutsches Literaturarchiv Marbach
Art, Umfang, Anzahl: 

1 türkises Notizbuch, I, 56 Seiten unpag., I*; von Handke auf vorderen Umschlag geklebter Papierstreifen mit Datierung »Nov 75-Jan 76«

Format:  9,6 x 14,7 cm
Schreibstoff:  Kugelschreiber (blau, rot), Fineliner (schwarz), Bleistift

Nachweisbare Lektüren

  • über Franz Kafka (S. 20)
  • Johann Wolfgang von Goethe: Maximen und Reflexionen (Zitat: S. 27)
  • Lili Brik über Wladimir Majakowski (Zitat: S. 29)
  • Unbekannte Quelle des Zitats: »J’attends d’un homme qu’il m’aime pour ce que je suis et pour ce que je deviendrai. J’attends qu’il me rendre forte, pas qu’il m’affaiblisse. […]« (S. 7)
  • Unbekannte Quelle des Zitats: »das Bewußtsein der Toten rollt mit den Kieseln im Bach« (S. 17) 
  • Die unbekannte Geliebte (S. 31; evt. ist Vincente Minnellis Film Der unbekannte Geliebte gemeint)

Filme:

  • Vergleich der Filmästhetik von Jean-Luc Godard und François Truffaut mit Szenennotizen zu den Filmen L'Histoire d'Adèle H. (Truffaut) und Numéro Deux (Godard) (S. 42-47; vgl. Peter Handkes Aufsatz: »Mr. Curtiz lebt nicht mehr hier«, in: Spiegel, 27.10.1975; auch in: DEF 83ff.)
  • über Filme von Louis Malle und Claude Lelouch (S. 45)
  • Erwähnung von Jean Renoir: La Régle du jeu im Vergleich zu Jean-Luc Godard: Numéro deux (S. 52)

Musik:

  • Gustav Mahler, als Filmmusik (S. 45)
  • Paul Simon: Duncan (S. 56)

Malerei:

  • Barnett Newman (S. 4)

Ergänzende Bemerkungen

Illustrationen: 

mehrere Kinderzeichnungen von Amina Handke: ein Boot und ein Fisch  mit einer Sprechblase im Wasser (S. 32), Fische und eine Ente im Wasser mit Sprechblasen ohne Inhalt (S. 33); weitere kleinere Zeichnungen (S. 38, 40, 41, 54, 55)

Sprache:  Deutsch, Französisch
Bemerkungen: 

 

  • enthält Eintragungen fremder Hand (S. 12) und kleine Geschichten von Amina Handke (S. 36, 37, 38, 39, 53)
  • Seite 35 ist leer
  • viele Einträge in Stenografiekürzeln (z.B.: S. 5, 8, 9, 13, 45-48, 51, 52)
  • ganze Passagen (v.a. Zitate) sind in französischer Sprache (z.B: S. 7, 30, 46, 48, 50)
  • im Original wurden von Peter Handke vier Blätter bis auf einen schmalen Streifen herausgerissen, die für das Digitalisat nicht mitgescannt wurden; das Original umfasst somit genaugenommen 64 Seiten