[3/ S. 130:] Albert Berger hat sich eine schwierige, ja geradezu unlösbar anmutende Aufgabe gestellt. Er hat sich nicht nur zum Ziel gesetzt,
in einer Monographie das Leben eines Schriftstellers nachzuzeichnen wie auch sein Werk umfassend zu interpretieren, sondern
auch die wechselseitigen Bezüge zwischen Leben und Werk dieses Schriftstellers aufzuarbeiten, ein Unternehmen, das im Licht
der theoretischen Diskussionen der letzten Jahre und Jahrzehnte durchaus kühn oder gar fragwürdig erscheinen mag. Mehr noch:
Berger hat als Gegenstand seiner Monographie den vielleicht umstrittensten österreichischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts,
Josef Weinheber, gewählt, dessen außerordentlich polarisierte Rezeptionsgeschichte - die auch die vorliegende Forschungsliteratur
durchzieht - durch den unaufhebbar scheinenden Gegensatz zwischen der fast fanatischen Apologie der literarischen Bedeutung
seiner Texte auf der einen Seite und einem strikten Verdikt über Person und Werk wegen dessen schwerwiegenden politischen
Verfehlungen andererseits geprägt gewesen ist. Der Verfasser hat sich also mit der Notwendigkeit konfrontiert gesehen, an
diese Polarisierung, um sie in einem neuen, differenzierteren Bild Weinhebers aufheben zu können, anknüpfen zu müssen - und
dazu ist es wiederum unumgänglich gewesen, den schwierigen Weg einer Thematisierung der Bezüge zwischen Leben und Werk zu
beschreiten. Eine zusätzliche Komplizierung des Projekts hat sich dabei aus der Tatsache ergeben, daß die Erschließung der
einschlägigen Quellen zum größten Teil von jenen nicht eben unvoreingenommenen Apologeten geleistet worden ist, hinsichtlich
der literarischen Texte insbesondere von dem Weinheber-Verehrer Friedrich Jenaczek in der Neuausgabe der »Sämtlichen Werke«
(Salzburg: Otto Müller 1970-1996) und hinsichtlich der Korrespondenzen - noch problematischer - von Josef Nadler in seiner
Brief-Edition (Salzburg: Otto Müller 1956), die aufgrund ihrer zahlreichen Retuschen, wie der Verfasser [3/ S. 131:] festhält, nur »der Not gehorchend« (S. 9) als Textgrundlage für eine Monographie herangezogen werden kann.
Berger begegnet diesen mannigfachen Schwierigkeiten durch eine außerordentlich elaborierte und vielfältig perspektivierte
Darstellungstechnik in der Architektonik der gesamten Monographie wie in ihren einzelnen Teilen. Er trennt die quellenkritisch
stets präzis reflektierte Skizze der äußeren Daten des jeweils behandelten Lebensabschnitts von der Präsentation und den Analysen
der in diesem Zeitraum entstandenen Texte und führt erst anschließend - eingebettet in den größeren literar-, kultur- und
politikgeschichtlichen Kontext - die Bezüge zwischen Leben und Werk zu differenzierten Synthesen zusammen. Die Daten der Biographie
und die poetischen Texte können dabei interessante Analogien und Parallelen aufweisen, sich gegenseitig erhellen oder aber
in einen markanten Widerspruch zueinander geraten. Besondere Beachtung verdienen hier zurecht auch die indirekten Kommentare
Weinhebers zu seiner Lebensgeschichte und zur eigenen Reflexion seiner Rolle als Schriftsteller in den stark autobiographisch
gefärbten Romanen. Methodisch geleitet sind Bergers Syntheseleistungen schließlich von Ansätzen der sozial- und ideologiehistorischen
Literaturwissenschaft und der Sozialpsychologie sowie von neueren Überlegungen zur Selbstinszenierung eines Autors im öffentlichen
Diskurs und zur künstlerischen Produktion als kognitivem Datenverarbeitungsprozeß.
Viele der späteren Lebensentscheidungen Weinhebers, sein poetisches Selbstbewußtsein und wichtige Teile seiner Ästhetik sind,
wie Berger überzeugend darlegt, nur vor dem Hintergrund seiner Sozialisation zu verstehen. Die - man kann es in diesem Fall
nicht anders nennen - extremen Erfahrungen gesellschaftlicher Deklassierung während der Kindheit und Jugend (katastrophale
Familienverhältnisse, Arretierung in einer Besserungsanstalt, Waisenhaus, Abbruch der Schule) bedingten zeitlebens »ein ausgeprägtes
Bewußtsein sozialer Minderwertigkeit« (S. 29) und nährten gleichzeitig den übertriebenen Wunsch nach allgemeiner Anerkennung
und nach Verwischung der depravierenden Herkunft und der mangelnden Bildung. (Ein signifikantes Beispiel dafür liefern Weinhebers
ebenso aufgeregte wie schließlich erfolgreiche Bemühungen von 1936 um die Verleihung des Professorentitels statt der Auszeichnung
mit dem Bundesverdienstkreuz, vgl. S. 162). Darüber hinaus kompensierte er die bedrückende Prolongierung seiner untergeordneten
sozialen Position bis über das vierzigste Lebensjahr hinaus (einfacher Postbeamter) durch eine sukzessive Übersteigerung seines
schriftstellerischen Selbstbewußtseins bis hin zur Stilisierung zum Hohepriester der Sprache, zum bedeutendsten lebenden [3/ S. 132:] Dichter, ja zum geistigen Führer des deutschen Volkes, dem freilich erst nach der Publikation von »Adel und Untergang« in
einem deutschnationalen Verlag (Wien: Luser 1934) wenigstens ein Teil der ihm vorgeblich gebührenden öffentlichen Wertschätzung
eingeräumt wurde. Nicht zuletzt prägte »der Gegensatz zwischen unten (wo familiäre Tristesse, Armut und soziale Abhängigkeit
regieren) und oben (wo bürgerliche Ordnung, ökonomisch gesicherte Existenz, Geltung und Anerkennung zu Hause sind)« (S. 21)
auch Weinhebers Poetologie. Die Vorliebe für abstrakte und noch dazu heroisch-pathetische Begriffe (»Gesetz«, »Auftrag«, »Menschentum«,
»Tapferkeit«, »Haltung«, »Leid«, »Schicksal« usw.), die philosophischen Verallgemeinerungen wie auch das lyrische Sprechen
im Plural (für die gesamte Menschheit) statt im Singular kennzeichnen einen großen Teil des Werkes von den frühen Versuchen
bis zu den späten Gedichten und belegen einmal mehr den unstillbaren Drang des Schriftstellers, sich aus den ›gemeinen Niederungen‹
der eigenen inferioren Existenz in die ›reinen Höhen‹ der Dichtung und des Geistes aufzuschwingen. Es war daher nur konsequent,
daß Weinheber »die andere Seite seines Schaffens«, seine ›volkstümlichen‹ Texte, die im engeren sozialen Raum der Heurigen
und Schenken seiner Heimatstadt Wien und im Milieu der unterprivilegierten Alkoholiker und Bewohner von Ottakringer Hinterhofkabinetten
angesiedelt waren, selbst als ästhetisch defizitär gegenüber seiner repräsentativen Hochstildichtung einschätzte (S. 230).
Mit der abstrakten, heroisch-pathetischen Begrifflichkeit von Weinhebers Lyrik und seinem rasanten öffentlichen Erfolg seit
1934 sind zugleich bereits seine Verstrickungen in den Nationalsozialismus angesprochen. In der Sichtung der biographischen
Daten widerlegt Berger eindeutig die Behauptung mancher Apologeten, daß die Rede von solchen Verstrickungen Produkt eines
handlichen Vorurteils sei. Der gesellige Verkehr in deutschnationalen Zirkeln seit dem Ende der 20er Jahre, der Eintritt in
die NSDAP 1931, der von ihm als Konsequenz dieser Entscheidung in Kauf genommene Verlust von Freunden und Bekannten, seine
rege Tätigkeit innerhalb der Partei bis zu deren Verbot in Österreich, seine unrühmliche Rolle als Denunziant von innerparteilichen
›Abweichlern‹ wie von Juden in der Wiener Literaturszene: all dies kann weder geleugnet noch schöngeredet werden: »Weinheber
hatte sich ›weltanschaulich‹ bekannt.« (S. 147) Daß die nazistischen Aktivitäten des Schriftstellers, wie Berger überzeugend
argumentiert, vor allem seiner »Antipathie gegen die parlamentarische österreichische Republik […], überhaupt gegen den politischen,
kulturellen, bürokratischen Betrieb« (S. 141) zuzuschreiben waren und daß er sich damit die ersehnte Anerkennung, die ihm
in seinem Heimat- [3/ S. 133:] land bislang versagt geblieben war, im ›Reich‹ erhoffte (eine Rechnung, die aufgehen sollte), kann sein Verhalten erklären,
aber nicht rechtfertigen. Gegen eine solche nachsichtige Beurteilung spricht auch Weinhebers rabiater Antisemitismus (um von
seinem faschistoiden Frauenbild ganz zu schweigen): Projizierte er doch die Ursachen für seinen Mißerfolg in die jüdische
Unterwanderung des österreichischen Kulturbetriebs (Berger zitiert in diesem Zusammenhang unter anderem ein einschlägiges
Dokument von 1930, das in der Werkausgabe bezeichnenderweise fehlt, vgl. S. 142f.).
Doch der weitere Verlauf der Lebensgeschichte zeigt, daß es verfehlt wäre, die Person Weinhebers einfach und ohne detaillierte
Explikation des genauen Sachverhaltes zum Nationalsozialisten zu stempeln. Denn nach dem Verbot der NSDAP in Österreich versuchte
der Schriftsteller - eine neuerliche Konsequenz seines überbordenden Geltungsbedürfnisses - zusätzlich zu seinem Erfolg in
Deutschland, »auch als ›österreichischer‹ Künstler im Ständestaat anerkannt und präsent zu sein.« (S. 149) So verfaßte er
etwa für eine Heldengedenkfeier in Wien Anfang 1935 eine Hymne mit dem Titel »Den Gefallenen«, die in festlichem Rahmen unter
Anwesenheit der Bundesregierung vorgetragen und von vielen Zeitgenossen als Dollfuß-Würdigung verstanden wurde. Sein Ruhm
im ›Tausendjährigen Reich‹ wurde dadurch vor wie nach dem ›Anschluß‹ Österreichs nicht geschmälert, doch der Weg zurück in
die Parteimitgliedschaft sollte ihm nun bis 1944 - nach einer massiven Intervention aus Wien - verwehrt bleiben (vgl. S. 277,
er wurde als »›charakterlich allzu weich‹«, ideologisch nicht gefestigt und zu wenig politisch engagiert eingestuft, S. 160).
Auch kann es keinen Zweifel daran geben, daß Weinheber noch vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs vehemente Vorbehalte gegenüber
der NS-Diktatur entwickelte und diese sogar mehrfach im Freundeskreis und in seinen Korrespondenzen äußerte, doch an seinem
grundsätzlichen, fast bis zuletzt ungebrochenen Bekenntnis zum Nationalsozialismus, an seiner peinlichen Dienstfertigkeit
gegenüber dem Regime und an der ideologischen Funktion, die seine literarischen Texte im Dritten Reich erfüllen konnten, ändert
dies nichts (vgl. S. 267f. u. ö.). Weinheber verfaßte nämlich nicht nur einige politisch diskreditierende Lobeshymnen auf
den ›Führer‹, das ›Reich‹ sowie ein großes Kriegspropaganda-Gedicht, betätigte sich nicht nur »als Lieferant von Sinn verkündenden
Versen für alle möglichen Gelegenheiten« der feierlichen Selbstinszenierung des Regimes (und er stellte sich und die »Software«
seiner Nazi-Verherrlichungs-Sprachmaschine dafür, wie Berger anhand des Hörspiels »Die Hohen Zeichen« nachweist, keineswegs
immer nur unter dem Druck der Machthaber oder aus notwendiger Loyalität gegen- [3/ S. 134:] über der Partei, sondern auch aus »Eitelkeit« und »Überzeugung« zur Verfügung, S. 298). Die Nähe zum, ja die Verbundenheit
mit dem Nationalsozialismus lag vielmehr auch zutiefst in der Ästhetik Weinhebers, in der poetischen Faktur der Texte, die
er selbst als seine bedeutendsten und besten bezeichnete, und in der Rolle, die er sich selbst als Autor zuschrieb, begründet.
Hier liegt eine der wichtigsten Leistungen der Monographie. Ohne vorerst den politischen Kontext mitzureflektieren, stellt
Berger detailliert und präzise die Hauptwerke des Schriftstellers aus den Jahren 1934 bis 1939 vor, ihre zentralen Inhalte,
ihre ästhetische Programmatik, ihre poetische Konstruktion, ihre literarhistorischen Vorbilder und ihre philosophischen Grundlagen.
Der Verfasser läßt diesen hochartifiziellen Texten und ihrem Autor mit dessen im 20. Jahrhundert singulär souveräner Beherrschung
der lyrischen Formen und meisterhaften Handhabung der synästhetischen Potentiale der Sprache durchaus Recht widerfahren, und
er gibt zu bedenken, daß ein Gutteil der Ent-Kanonisierung Weinhebers nach 1945 nicht nur seinem politischen Sündenfall, sondern
auch den veränderten poetologischen Prämissen literarischer Produktion in der Nachkriegszeit zuzuschreiben sein dürfte; der
klassizistische Odensänger und Sonettenkranzdichter wirkte, gemessen an der Ästhetik der literarischen Moderne, schlichtweg
antiquiert, manieriert, outriert. Doch rasch wird dem Leser der Monographie, noch bevor Berger in den synthetischen Abschnitten
seiner Untersuchung Leben, Werk und historischen Kontext der 30er Jahre zusammenführt, die eminente politische Dimension von
Weinhebers Hochstilgedichten deutlich. Die heroisch-pathetischen Zentralbegriffe dieser Texte - einige von ihnen sind oben
bereits genannt worden - überschneiden sich auf fatale Weise mit den brutalen Schlagwörtern der Nazi-Propaganda. Gewiß, der
Schriftsteller hat diese abstrakten, undeutlichen und großsprecherischen Termini nicht dem Vokabular der Machthaber entlehnt,
sondern sie im Rahmen seiner intensiven poetologischen Studien und frühen dichterischen Versuche während der 20er Jahre selbst
entwickelt. Doch gerade die Verwendung dieser Begriffe durch einen Autor, der sich ausgiebig und gerne vom NS-Regime als bedeutendster
deutscher Dichter feiern ließ (nachdem, notabene, dessen Konkurrenz vertrieben oder mundtot gemacht worden war), mußte eine
Korrespondenz in den Bedeutungen so großer Worte wie »Soldatenmut«, »Heldentum«, »Blut«, »Sendung« und »Schicksal« nun einmal
nahelegen. Friedrich Hölderlin, der sich in vielen seiner Gedichte einer ähnlichen Terminologie bedient hatte, konnte sich
gegen die Vereinnahmung durch die Nazis, die diesen Umstand dankbar und weidlich für ihre Zwecke ausnützten, naturgemäß [3/ S. 135:] nicht wehren. Weinheber dagegen beklagte im privaten Gespräch und in einigen Briefen allenfalls mit selbstmitleidigem Gestus,
er werde mißverstanden; diese Einsicht blieb jedoch für sein öffentliches Handeln und seine Publikationen weitgehend ohne
Folgen. »Die großen Wörter«, so Berger resümierend, »hielten der politischen Wirklichkeit nicht stand, weil Weinheber ihr
nicht standhielt.« (S. 203) Selbst für die späte Lyrik, in der sich der Schriftsteller zunehmend auf die Verherrlichung von
Werten einer abendländischen Humanität und die Beschwörung einer mystisch-katholischen Frömmigkeit zurückzog, blieb doch der
Gedanke einer Erneuerung der europäischen Kultur durch das »Deutschtum« bestimmend.
Insofern kann es auch nicht als eine Entlastung der politischen Schuld Weinhebers gelten, daß er niemals Blut-und-Boden-Literatur
oder Schollen-Dichtung verfaßt hat, ja daß er die meisten der nach der Machtübernahme Hitlers zu Ruhm und Ehren gekommenen
Nazi-Schriftsteller offen verachtete. »Die rassistisch-völkische Programmatik der Partei«, so Berger,
spielt in den Gedichten [Weinhebers] zwar keine vordergründige Rolle, das Moment der Exklusion kommt aber auf subtilere Weise
zum Tragen, nämlich durch die im exklusiven Gesamtanspruch seiner Ästhetik und seiner Sprachtheorie begründete Totalisierung
und Sakralisierung der Begriffe im Umfeld des ›Deutschen‹: Deutschland, Volk, Vaterland, Reich. Allein das angesammelte Bedeutungsgewicht
dieser Wörter im poetisch ohnehin ›gehobenen‹ Kontext ist schon so ›eindeutig‹ auf die Gegenpole ausgerichtet - undeutsch,
volksfremd, jüdisch, landfremd etc. -, daß diese im noblen Ambiente der Hochstildichtung gar nicht erst genannt zu werden
brauchen. (S. 247f.)
Eben diese fatalen Implikationen seiner Texte wollte Weinheber nicht wahrhaben und leugnete jedweden Zusammenhang zwischen
den Niederungen der ephemeren politisch-sozialen Wirklichkeit, der ›schmutzigen‹ Politik hier und dem Reich der hohen Poesie
dort. Seine späteren Adepten griffen dieses Konzept gerne für ihre Reinigung des hohen Dichters von den Schlacken des fehlbaren,
irdisch verhafteten Mannes auf, »das universale Bild eines schönen, gottnahen, von allen politischen und sozialen ›Zutaten‹
freien Menschen« (S. 204). Die Apologeten beachteten dabei jedoch nicht, daß das Zwei-Reiche-Konzept des von ihnen adorierten
Dichters nicht nur für die hehren Gefilde der Poesie einen ›Führer‹ vorsah (nämlich den bedeutendsten lebenden Schriftsteller
namens Josef Weinheber), sondern auch einen ›Führer‹ für die gegenwärtige politische Situation (nämlich Adolf Hitler, vgl.
dazu S. 228f. und 261).
[3/ S. 136:] Das Kontrafaktische der Kunst, ihr Charakter als Gegenwirklichkeit, eine wichtige Grundlage seines [Weinhebers] ästhetischen
Denkens, war mit dem ›Hymnus [auf die Heimkehr‹] öffentlich aufgekündigt. Wenn die Kategorien des ›nackt Menschlichen‹, des
›Menschentums‹, des ›Menschen der Mitte‹, des ›kommenden Menschen‹ sich deutsch gebärdeten und an Deutschland anschlossen,
wenn im Genius-Symbol der Dichter-Führer und der ›Führer‹ Hand in Hand sich zeigten, dann war kein Mißverständnis möglich,
und Weinheber wußte und wollte es so. (S. 264)
Noch Ende 1944 wollte Weinheber übrigens eben diesen »Hymnus auf die Heimkehr«, das heute im negativen Sinn gewiß berühmteste
Gedicht des Autors, in seinen letzten, ultimativen, sprachreflexiven Gedichtband »Hier ist das Wort« aufnehmen. »Da ist keine
›Entwicklung‹ vom ›Anschluß‹-Befürworter zum heimlichen Widerstandskämpfer und Gegner des Regimes in schöner Reihenfolge,
sondern das Auf und Ab manischer und depressiver Zustände einer in Rausch, Ernüchterung und Sehnsucht gespaltenen Existenz.«
(S. 334f.) Zu diesem Zeitpunkt äußerte Weinheber nicht nur immer wieder seine tiefe Verzweiflung über das Bewußtsein seines
Scheiterns und der Ausweglosigkeit seiner Situation, sondern er war sich auch im klaren darüber, daß das ›Reich‹ und der ›Führer‹
ebenfalls kurz vor ihrem Ende standen. In der postumen Ausgabe (Salzburg: Otto Müller 1947) wurde der »Hymnus« unterdrückt.
Berger dazu: »Der Dichter selbst war aufrichtiger, als es die unmittelbare Nachwelt im Umgang mit dem Toten sein konnte. Er
hat die Widersprüche gelebt und gedichtet. Die Apologeten wollten (und wollen) sie wegretuschieren.« (S. 335)
An die Stelle der homogenen, eindimensionalen Weinheber-Klischees hat Berger ein Bild des Schriftstellers gesetzt, das unbeschönigt
und unbereinigt die für spätere Generationen oft unerklärlichen Antagonismen, Diskrepanzen und Verwerfungen im Leben, im Werk
sowie zwischen Leben und Werk eines Autors dieses zu Ende gehenden, ideologisierten Jahrhunderts zuläßt. Niemand, der sich
mit Weinheber beschäftigt, aber auch niemand, der sich ganz allgemein mit der Literatur des Nationalsozialismus auseinandersetzt,
wird sich in Zukunft der Kenntnisnahme von Bergers Monographie entziehen können.
Ralf Georg Bogner
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