[1/ S. 131:] Können Sie überblicksartig das Archiv des Heinrich-Heine-Instituts in Düsseldorf vorstellen?
Das Heinrich-Heine-Institut ist die Nachfolgeeinrichtung der alten Bibliothek der Stadt Düsseldorf, die auf eine über zweihundertjährige
Tradition zurückblicken konnte. 1970 wurden die Buchbestände dieser Bibliothek als Dauerleihgabe der Universität zur Verfügung
gestellt und bilden den Grundbestand der heutigen Universitäts- und Landes- [1/ S. 132:] bibliothek Düsseldorf. Die regional geprägte Handschriftensammlung der alten Bibliothek verblieb bei der Stadt und wurde unter
dem Namen Heinrich-Heine-Institut verselbständigt. Das Institut gliedert sich in die Bereiche Archiv, Bibliothek und Museum.
Die Handschriftenbestände reichen von Friedrich Spee von Langenfeld (1591-1632), von dem das Heine-Institut eine Sammelhandschrift
verwahrt, bis zum Nachlaß Rose Ausländer (1901-1988), umfassen aber neben der Literatur auch Musik (Felix Mendelssohn Bartholdy,
Robert Schumann, beide Musikdirektoren in Düsseldorf), Malerei und Wissenschaft. Es handelt sich insgesamt um ca. hundert
Nachlässe, Teilnachlässe und Sammlungen, alle mit einem Bezug zur rheinisch-bergischen Region. Schwerpunkte sind in literarischer
Hinsicht einerseits Heine und seine Zeit, andererseits die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts. Dazu existiert auch ein namentliches
Verzeichnis der Nachlässe und Sammlungen [vgl. Bernd Kortländer und Joseph A. Kruse: Das Archiv des Heinrich-Heine-Instituts.
Geschichte und Bestand. In: Heine-Jahrbuch 32, 1993, S. 158-170; Anm. der Redaktion].
Sie stehen vor einem Projekt, das die Aufgabe hat, die Reichweite des Begriffs einer rheinischen bzw. nordrhein-westfälischen
Literatur zu untersuchen. Können Sie uns kurz skizzieren, welche Bereiche diese Untersuchung abdecken soll und welche Probleme
damit verbunden sind?
Alle regional ausgerichteten Literaturarchive stehen immer wieder neu vor dem Problem, Ausdehnung und Trennschärfe ihrer Grenzen
zu bestimmen, ohne unmittelbar in Aporien oder absurde Festlegungen zu verfallen. In der Praxis gehen ja ohnehin Archive und
Archivare zu Recht sehr locker mit solchen Festlegungen um. Gerade ein Begriff wie ›rheinisch‹ ist sowohl durch seinen historischen
wie aktuellen Gebrauch äußerst vieldeutig und belastet. So haben z. B. die Nazis ein »Rheinisches Dichterarchiv« ins Leben
gerufen, weshalb wir diese Bezeichnung nicht verwenden (der Bestand der 1942 begonnenen Sammlung wird im übrigen heute bei
uns aufbewahrt). Wir gehen bewußt vom bedeutendsten rheinischen Dichter Heinrich Heine aus, nennen uns »Archiv des Heinrich-Heine-Instituts«
und bezeichnen so den Punkt der Tradition, von dem aus sich unsere Arbeit bestimmt. Wir erhalten auf diese Weise neben der
historisch gewachsenen regionalen Prägung noch ein anderes Sammelkriterium, das auf Autoren zutrifft, zu denen es nur geringe
regional begründbare Anknüpfungspunkte gibt, die aber Heine in besonderer Weise verpflichtet sind. Überhaupt ist die Arbeit
im hellen Lichte Heines gerade für die regional geprägten Bestände sehr nützlich: Es hilft, die Maßstäbe nicht zu [1/ S. 133:] verlieren, und zwingt immer wieder zum Nachdenken über den Sinn der Sammeltätigkeit.
Sie bereiten zu dieser Fragestellung auch ein Symposion vor; das sich über den rheinischen Aspekt hinaus mit dem Problem regionaler
Literaturgeschichtsschreibung beschäftigt. Was können Sie uns darüber sagen?
Die gesamte Fragestellung hat angesichts der ja schon seit längerem geführten Debatte über die Folgen der Globalisierung gerade
in der föderativen und besonders kulturell stark dezentralen Bundesrepublik Deutschland auch politisch einen hohen Aktualitätswert.
Es lohnt sich deshalb, sie, natürlich bezogen auf konkrete inhaltliche Probleme, auf einem internationalen Symposion zu diskutieren.
Wir planen ein solches Symposion für Ende des Jahres.
Insgesamt sind wir dabei, den Bereich der Regionalliteratur noch stärker zu akzentuieren als bisher bereits geschehen, was
konkret eine Aufstockung des personellen und materiellen Einsatzes bedeutet. Ich werde mit Hilfe des Landschaftsverbandes
Rheinland ein Projekt beginnen, dessen längerfristiges Ziel die Schaffung einer Datenbank zur Literatur unserer Region ist.
Vorarbeiten und entsprechende Dateien gibt es hier im Institut, aber auch an anderen Stellen genug, so etwa im Rahmen der
aus dem Heine-Institut hervorgegangenen Veröffentlichungen [vgl. z. B. Literatur von nebenan. 1900-1945. 60 Porträts von Autoren
aus dem Gebiet des heutigen Nordrhein-Westfalen. Hg. von Bernd Kortländer. Bielefeld: Aisthesis-Verlag 1995; Anm. der Redaktion].
Wie war in diesem Zusammenhang die bisherige Erwerbspolitik des Rheinischen Dichterarchivs? Würden Sie Rose Ausländer; deren
Nachlaß zu Ihrem Bestand gehört, zur rheinischen Literatur zählen?
Erwerbungspolitik ist naturgemäß immer eine Mischung aus systematischer Arbeit und Zufall. Leider ist die Systematik in der
Erfassung und Betreuung von Nachlässen noch immer sehr unterbelichtet. Ich habe deshalb vor einiger Zeit die Schaffung von
einer Art ›Kataster für literarische Nachlässe‹ vorgeschlagen. Insbesondere bei den regional bedeutsamen poetae minores würde
das erheblich zur Übersichtlichkeit beitragen und gezieltes Handeln überhaupt erst ermöglichen. Wir suchen hier auch die Kooperation
mit Literaturbüros und Literaturhäusern. Bei Rose Ausländer, die von 1972 bis zu ihrem Tod 1988 in Düsseldorf lebte und arbeitete,
war allerdings das Heine-Institut noch von der Autorin selbst als Aufbewahrungsort für den Nachlaß ausge- [1/ S. 134:] sucht worden. Leider sind unsere eigenen finanziellen Mittel durch die Verpflichtung gegenüber Heine, Schumann und anderen
auf dem Autographenmarkt sehr teuren Autoren völlig gebunden. Für Ankäufe im Bereich der regionalen Nachlässe stehen nur sehr
geringe Mittel zur Verfügung. Meist sind wir hier auf Stiftungen oder Schenkungen angewiesen.
Sehen Sie ein Problem darin, daß sich ein Literaturarchiv durch die Beschränkung auf den regionalen Aspekt - und damit häufig
auf nicht-kanonisierte und oft nur im soziohistorischen Kontext interessante Schriftsteller -selbst marginalisiert? Wüßten
Sie aus Ihrem Bereich ein Beispiel dafür, daß die archivalische Beschäftigung mit einem regionalen Autor wichtige Impulse
für die über die Region hinausgehende Forschung gegeben hat?
Das Problem der Marginalisierung ist ohne Zweifel dann gegeben, wenn die Maßstäbe verloren gehen. Zwar steckt in beinahe jedem
Nachlaß historisch interessantes Material, doch müssen die Archive den Mut haben, Nachlässe abzuweisen bzw. nur die interessanten
Teile zu übernehmen. Auch das Umdirigieren von Angeboten an besser geeignete Sammlungen sollte eine Selbstverständlichkeit
sein.
Ich glaube, der Fall, daß regionale Autoren aufgrund kontinuierlicher archivischer Pflege wiederentdeckt und dann auch überregional
zur Kenntnis genommen werden, ist eher die Regel. Bei uns hat sich das in den letzten Jahren in bezug auf Hanns Heinz Ewers
abgespielt, einen in Düsseldorf geborenen Autor, der seinen Nachlaß noch selbst in die alte Bibliothek gegeben hat, von wo
er dann auf uns gekommen ist. Seit aus dem Archiv eine große Biographie, ja so etwas wie ein Standardwerk zu Ewers entstand
[Wilfried Kugel: Der Unverantwortliche. Hanns Heinz Ewers - Biografie und Psychogramm. Düsseldorf: Grupello 1992; Anm. der
Redaktion], ist er regelmäßig Gegenstand von Magisterarbeiten, Dissertationen und Artikeln, übrigens zuletzt auch mehrfach
aus Österreich.
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