Neurath, Anna (geb. Schapire)
1877 - 1912
- Biographie:
- Jewish Women: a Comprehensive Historical Encyclopedia
- Neurath Anna, geb. Schapire, Schriftstellerin und Sozialarbeiterin. * Brody (Galizien), 13. 9. 1877; + Wien, 12. 11. 1911. Gattin des Otto Neurath, Schwiegertochter des Nationalökonomen Wilhelm N.; verließ frühzeitig ihre Heimat und lebte in verschiedenen Ländern Ost- Mittel- und Westeuropas, wodurch sie umfassende Fremdsprachenkenntnisse erwarb. Nach philosoph., literar. und nationalökonom. Stud. an der Univ. Wien, Berlin und Bern 1906 Dr.phil. 1907 heiratete sie den Nationalökonomen Otto N., den sie bei seinen wiss. Arbeiten unterstützte. N. veröff. bereits 1900 gefühlsbetonte Lyrik, später trat sie als Prosaschriftstellerin sowie als Übersetzerin aus dem Russ., Poln., Engl. und Französ. hervor. Aus ihrem eigenen schriftsteller. Werk sind vor allem literaturkrit. und sozialpolit. Skizzen und Abhh. zu nennen. Sie interessierte sich sehr für die Frauenbewegung und trat in zahlreichen Aufsätzen für höhere Bildung und entsprechenden beruflichen Einsatz der Frauen im Geistes- und Kulturleben ein.
(aus: ÖBL)
- + Dr. Anna Schapire-Neurath
Am 12. November starb Frau Dr. Schapire-Neurath. Sie war eine hervorragende geistige Arbeiterin auf nationalökonomischem, sozialem und feministischem Gebiete. Mit gründlichem, vielseitigen Wissen, einte sie grosse Klarheit und Schärfe des Denkens, einen weiten Blick, lebendiges Interesse für alle Menschheitsfragen und warmes Empfinden für die Enterbten der Gesellschaft.
Als Polin der slavischen Sprachen kundig, beschäftigte sich die Verstorbene mit Vorliebe mit der russischen Geschichte und Literatur. So übertrug sie den Briefwechsel zwischen Alexander Herzen und Natalie Zacharin ins Deutsche, Tolstois Biographie und Memoiren, die von ihr eingeleiteten Aufzeichnungen Gerschunis, eine Geschichte der russischen Revolution u.a.m. Sie beherrschte auch Englisch und Französisch und war eine vortreffliche Interpretin, weil sie sich die fremden Autoren ganz zu Eigen machte, ihnen nachzudenken vermochte. Von der Fülle selbstschöpferischer Arbeiten sei hier nur ein Bändchen seelenvoller Lyrik "Singende Lieder" erwähnt und der "Abriss einer Geschichte der Frauenbewegung". Den beiden, in der Sammlung "Kultur und Fortschritt" erschienen Heften, hätten noch weitere folgen sollen.
Dr. Schapire trat stets für das Recht auf uneingeschränkte Betätigungsmöglichkeit aller geistigen Kräfte der Frauen ein, für die Pflicht, diese Kräfte zu wecken, zu höchstem Ausmass zu steigern. Ihr Leben hatte sie in diesem Sinne aufgebaut. In frühester Jugend auf sich gestellt, strebte Anna Schapire mit eisernem Fleisse, unermüdlicher Ausdauer und seltener Arbeitsfreudigkeit dem gesteckten Ziele nach. Sie studierte in Wien, Berlin und Bern. Dort erwarb sie 1906 das Doktorat der Philosophie. 1907 vermählte sie sich mit ihrem Studienkollegen Dr. Otto Neurath. Dieses Bündnis ward eine ideale Kameradschaft, ein wechselseitiges Geben und Empfangen. Ein Dokument ihrer Arbeitsgemeinschaft ist das von dem Ehepaar zusammen verfasste Lehrbuch der Volkswirtschaft. Die junge Frau schuf dem Gatten aber auch so viel häusliches Behagen, dass sie die Richtigkeit ihrer Anschauung bewies: Ein geschulter Geist wisse den Forderungen, die Wirtschaft und Alltag stellen, besser gerecht zu werden, als jene, deren Denken nur das Heim umkreist.
Der Tod hat viel zerstört mit diesem wertvollen, schaffensfrohen Leben. Ein unerbittliches Schicksal forderte es als Einsatz für die Weihe ersehnter Mutterschaft.
In der Geburtsstunde des Kindes, als die Dahingegangene schmerzgequält dem Tode ins Auge schaute, sagte sie zum Arzte: "Nur eines erbitte ich. Retten Sie mir mein Kind!" - Neben diesem Mutterwort wird jede Weisheit gering.
E. M.
(Nachruf aus: Der Bund, VI. Jg., Nr. 10, Dezember 1911, S. 9 - 10)
- Werke in der ÖNB (erschienen bis 1929):
- Amiel, Henri Frédéric: Tagebücher. Dt. von Ras Schapire. - München, 1905
Signatur: 604284-A.4
- Zacharin, Natalie:
Ausgewählte Briefe. Uebers. und mit Einleitung versehen von Anna Schapire-Neurath. - Gautzsch, 1908
Signatur: 457.413-B
- Die Frau und die Sozialpolitik. - Gautzsch b. Leipzig : Dietrich, 1908.
Signatur: 458059-B.Per.159
Online bei ALO
- Die Geschichte der Frauenbewegung im Abriss. - Leipzig, 1909-
Signatur: 458.059-B.Per.254- 256
Online bei ALO
- Leo Tolstoi. - Leipzig, 1909
Signatur: 458.059-B.Per.235
- Lesebuch der Volkswirtschaftslehre von Otto Neurath und Anna Schapire-Neurath. - Leipzig, 1910
Signatur: 472.621-B
- Kulczycki, Ludwik:
Geschichte der russischen Revolution. Einzig autoris. Übers. aus dem Polnischen von Anna Schapire-Neurath. - Gotha : Perthes, 1910-
Bestand: Bd 1-3
Signatur: 486.511-B
- Galton, Francis: Genie und Vererbung. Autor. Übers. von Otto Neurath u. Anna Schapire-Neurath. - Leipzig, 1910
Signatur: 455.772-B.Per.19
Letztes Update: 3. März 2009