Die Geschichte der Künstlervereinigungen in Wien um 1900 ist auf der einen Seite eine Geschichte der "Abspaltungen" aus künstlerischen Gründen (Secession, Hagenbund), andererseits eine Geschichte der "Zurückgewiesenen", die um Ausstellungsmöglichkeiten kämpften. Abseits der drei grossen Vereinigungen "Künstlerhaus", Secession" und "Hagenbund" ist die Forschung über die (etwa 70 festgestellten) Wiener Künstlergruppen zwischen "Secession" (1897) und dem "Bund deutscher Maler Österreichs" (1937) nahezu inexistent. Lediglich Sabine Plakolm-Forsthuber (Künstlerinnen in Österreich 1897 - 1938. - Wien: Picus Verlag 1994) hat einen ersten Versuch zur Aufarbeitung einiger Frauen-Künstlervereinigungen vorgelegt.
Die in der vorliegenden Literatur unbekannte und in der Folge kurz behandelte "Vereinigung österreichischer bildender Künstler und Künstlerinnen" ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert: Es war die erste Vereinigung, die - auch im Namen manifest - Frauen und Männer zusammenschloss.
Künstlerhaus, Secession und Hagenbund stellten zwar fallweise auch Werke von Künstlerinnen aus, eine Aufnahme als "ordentliches Mitglied" gab es aber in keiner der drei Vereinigungen.
Mehr als zehn Jahre vor der Gründung der ersten Künstlervereinigung nur für Frauen, der Vereinigung bildender Künstlerinnen, ergriff eine Hand voll MalerInnen und BildhauerInnen die Initiative, um "die geistigen und materiellen Interessen" derjenigen Künstler zu vertreten und zu fördern, "die nicht der Secession oder dem Künstlerhaus angehören". Darüber hinaus war die Vereinigung eine der ersten "Juryfreien" in Wien, die ihren Mitgliedern die Möglichkeit gab, "ihre Werke, ohne sie den Fährlichkeiten einer nicht immer ganz objectiven Jury - Entscheidung aussetzen zu müssen, der Öffentlichkeit vorzuführen."
Am 16. Oktober 1899 konstituierte sich der Verein und der erste Vorstand bestand aus dem Maler Adolf Mayerhofer (Präsident), dem Bildhauer Rudolf Schröer (Präsident-Stellvertreter) und der Malerin Isa Jechl (Cassaverwaltung). Da die Statuten des Vereines derzeit nicht nachgewiesen werden können, ist die Entwicklung des Vorstandes nur aus der spärlichen zeitgenössischen Literatur ablesbar: In der Folge schied Adolf Mayerhofer als Präsident aus und Rudolf Schröer trat an seine Stelle. Neuer Vicepräsident wurde der Maler Franz Wiesenthal, später übernahm der Maler Victor Beranek diese Position. Lediglich Isa Jechl blieb in ihrem Amt und erledigte auch das Sekretariat.
Der Sitz des Vereines war (chronologisch): Wien VII., Mariahilferstraße 8; Wien IV., Favoritenstrasse 48 [Adresse von Rudolf Schröer]; Wien VII, Neubaugasse 21 [Adresse von Victor Beranek].
Das 1902 erschienene "Handbuch der Kunstpflege in Österreich" nennt die Anzahl (aber leider nicht die Namen) der Mitglieder: 60 ordentliche, 2 korrespondierende, 6 ausserordentliche. Die durchaus professionelle Organisation der Künstlergemeinschaft lässt sich auch aus der Tatsache ablesen, dass 37 unterstützende Mitglieder und 3 Stifter genannt werden. Die "unterstützenden Mitglieder" zahlten "mindestens 10 Kronen" Jahresbeitrag und dürften, wie damals üblich, ein Mal jährlich ein zu verlosendes Kunstwerk oder eine "Jahresgabe" (meist Graphik) erhalten haben.
Als "Zweck der Vereinigung" wurde "hauptsächlich die Veranstaltung von Ausstellungen" genannt. Wie viele "Ausstellungen für Mitglieder und eingeladene Fremde" (in Wien VII., Mariahilferstraße 8 und in Wien I., Riemergasse 1.) abgehalten wurden, kann mangels Quellen nicht definitiv festgestellt werden. Die 1. Ausstellung fand Anfang 1900 in der Mariahilferstraße 8 statt, die 2. und 3. Ausstellung im April und Ende Mai 1900. Im Sommer 1900 gab es eine Ausstellung im Innsbrucker Pädagogium.
Die 6. Ausstellung fand 1901 statt (Dank für die Information an Dr. Ursula Müksch, die ein Künstlerinnenlexikon vorbereitet), im März 1904 ist eine weitere Ausstellung genannt und im Oktober/November 1904 ist die 10. Ausstellung der Vereinigung im Salon Pisko dokumentiert.
Es ist dies derzeit die einzige Ausstellung, für die ein Katalog nachgewiesen werden kann.
Der von Gustav Pisko (1866 - 1911) 1995 gegründete "Salon Pisko" (Wien I., Parkring 2, ab 1906 in Wien III., Lothringerstraße 14) war mit und neben der Galerie Miethke der wohl wichtigste Kunstsalon im Wien der Jahrhundertwende. Sein Spektrum reichte von Tina Blau und Marie Egner bis Max Oppenheimer und Egon Schiele. In die Wiener Kunstgeschichte eingeschrieben hat er sich mit der im Dezember 1909 veranstalteten Ausstellung der "Neukunstgruppe", bei der die aus der Akademie ausgetretenen jungen Künstler um Egon Schiele ihr so sensationelles wie umstrittenes Debüt gaben. Daneben veranstaltete er zahlreiche Auktionen und betrieb einen kleinen Kunstverlag.
Der kleine, unbebilderte Katalog der 10. Ausstellung nennt 133 Werke von 39 Künstlern. Interessant und äusserst ungewöhnlich ist die Geschlechter-Verteilung: 15 Männern standen 24 Frauen gegenüber! Obwohl im Titel der Vereinigung das Wort "österreichische" vorkommt, hatten - mit Ausnahme von Therese Kratky aus Steyr/OÖ - sämtliche Teilnehmer ihren Wohnsitz in Wien.
Von den bisher festgestellten etwa 55 Künstlern/Ausstellern seien die Namen der 30 Damen aufgeführt. Mit Ausnahme der Bildhauerin Ella Weber waren alle genannten Malerinnen oder Graphikerinnen.
Georgine ALTMANN, Sofie ARNSBURG, Emma CLOETER, Gisela CZERMAK, Ella EHRENBERGER, Martha FUCHS, Marianne FÜRST, Marianne GELMO, Ada GÓTH, Hermine HAADER, Fanni von INAMA-STERNEGG, Isa JECHL, Mary JONAS, Johanna KASERER, Therese KRATKY, Yella LIEBSCHER, Alice MARIAN, Berta PIETSCHMANN, Melitta ROJIC, Therese SCHACHNER, Therese SCHNEEGANS, Marie SCHUSTER, Ella STRUSCHKA, Margarete VEITH, Stefi WACHTEL, Elise WALTER, Ella WEBER, Josefine Marie WEIDINGER, Paula WILDHACK, Marie ZAJACZKOWSKA.
Nahezu alle angeführten Künstlerinnen sind mehr oder weniger unbekannt geblieben, in den Nachschlagewerken findet man lediglich Rudimente von Biographien. Stellvertretend soll hier die Kurzbiographie eines Vorstandmitgliedes der Vereinigung folgen:
ISA (ISABELLA) JECHL
Geboren am 21. April 1873 in Wien, gestorben am 27. Jänner 1961 in Wien.
Ihre Ausbildung erhielt sie in der 1874 gegründeten "Allgemeinen Zeichenschule für Frauen und Mädchen", wo Franz Pönninger (1832-1906) ihr Lehrer war. Sie vervollständigte ihre Studien - nach eigenen Angaben - bei Rudolf von Alt sowie in München und Paris. Spezialisierte sich anfangs in den Genres Stadtansichten, Wiener Typen und verlegte sich später auf Portraits (vor allem Kinder). Schon früh wurden bekannte Sammler (z.B. Max Ritter von Gutmann, Karl Graf Lanckoronski-Brzezie, Ludwig Lobmeyr) auf sie aufmerksam und erwarben ihre Werke ebenso wie das Museum der Stadt Wien, das Feuerwehrmuseum und die Niederösterreichische Landesbibliothek.
Bevor sie als "Aquarellmalerin" - so ihre Berufsbezeichnung im Wiener Adressbuch "Lehmann" - von ihrer Arbeit leben konnte, verdiente sie einen Teil ihres Lebensunterhaltes als Zeichenlehrerin ("Gewerbliche Fortbildungsschule für Mädchen" und "Institut Winterberg")
1899 gehörte sie zu den Gründungsmitgliedern der "Vereinigung österreichischer bildender Künstler und Künstlerinnen", deren Ausstellungen sie regelmässig beschickte. Auch im Wiener Künstlerhaus war sie fallweise mit Arbeiten vertreten und auf den (wenigen) Ausstellungen des Verein der Schriftstellerinnen und Künstlerinnen, deren Mitglied sie war und in deren Vorstand sie seit 1906 nachgewiesen werden kann. Ihre "Wiener Typen" und Tierbilder fanden als Kunstpostkarten weite Verbreitung.
Die Künstlerin lebte und arbeitete in Wien XVIII., Kreuzgasse 6 und 1903-1938 in Wien IX., Sechsschimmelgasse 14. Ende 1938 zog die unverheiratet gebliebene Künstlerin in das Haus ihres Bruders Martin Jechl in Wien XIX., Zahnradbahnstrasse 1, wo der Weinhauerort Nussdorf zu ihrem bevorzugten Motiv wurde. Blieb bis ins hohe Alter aktiv und dokumentierte beispielsweise Wiener Kriegsschäden ("Stephanskirche mit eingestürztem Dach").
Über eine Auflösung der Vereinigung ist derzeit nichts bekannt - in "Dresslers Kunstjahrbuch" (1907 und folgende) ist kein Eintrag mehr vorhanden - möglicherweise war die 10. Ausstellung im Herbst 1904 im Kunstsalon Pisko der letzte gemeinsame Auftritt.
Da die Ausstellungsmöglichkeiten ausserhalb organisierter Künstlergruppen nahezu unmöglich waren, suchten die Künstlerinnen andere Möglichkeiten und Vereinigungen: So stellten eine Reihe von ihnen vermehrt in der "Ausstellung von Werken der bildenden Kunst" im Wiener Dorotheum aus (festgestellt 1904-1909), andere suchten Anschluss an bestehende Vereinigungen. Hier können - wegen der fehlenden Quellen und Kataloge - nur ein paar Beispiele genannt werden:
Isa Jechl finden wir beim Verein der Schriftstellerinnen und Künstlerinnen (in deren Vorstand sie seit 1906 nachzuweisen ist), Sofie Arnsburg, Ella Ehrenberger und Therese Schachner stellten in der Folge beim "Österreichischen Künstlerbund" aus, Gisela Czermak beim "Albrecht-Dürer-Bund" und bei "Wiener Heimatkunst", Georgine Altmann beim "Klosterneuburger Künstlerbund" und Johanna Kaserer beteiligte sich an der "Kunstschau Wien 1908" und später an der "Protestausstellung 1919", welche zur Gründung der "Kunstgemeinschaft" führte, in welcher beispielsweise Ella Struschka zu den Ausstellern gehörte. In der Vereinigung bildender Künstlerinnen sind lediglich drei der Damen nachzuweisen: Therese Schneegans als ordentliches Mitglied, Yella Liebscher als ausserordentliches Mitglied und Ella Ehrenberger als Ausstellerin. Der Grund war wohl, dass sich in dieser 1910 gegründeten Vereinigung bereits die nächste Generation von Künstlerinnen organisierte.
Dokument:
Salon Pisko Wien... 10. Ausstellung der Vereinigung österr. bildender Künstler und Künstlerinnen. - Wien : Adolf Holzhausen, 1904 (ÖNB-Signatur: 435.647-A.Ks)
LITERATUR:
WIENER ALMANACH. Wien. Jg. 10, 1901
HANDBUCH DER KUNSTPFLEGE IN ÖSTERREICH. Hrsg. v. k. k. Ministerium für Cultus und Unterricht. Redigiert von Wilhelm Freiherr von Weckbecker. Dritte Auflage. - Wien: Im kaiserlich - königlichen Schulbücher - Verlage 1902
DEUTSCH-ÖSTERREICHISCHES Künstler-und Schriftsteller-Lexikon. Erster Band. Biographien der Wiener Künstler und Schriftsteller. Hrsg. v. Hermann Cl[emens] Kosel. Redigiert von Paul Gustav Rheinhardt auf Grundlage von Ludwig Eisenberg's "Das Geistige Wien". - Wien: Gesellschaft für graphische Industrie 1902
JAHRBUCH DER BILDENDEN KUNST. Berlin. Jg. 1, 1902
THEODOR V. FRIMMEL: Lexikon der Wiener Gemäldesammlungen. Buchstabe G bis L. - München: Georg Müller Verlag 1914
HANS-PETER OFER: Thomas Riss. Künstler am Anbruch einer neuen Zeit.- Innsbruck: Tyrolia-Verlag 2002
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