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Sichtungen. Archiv - Bibliothek - Literaturwissenschaft ISSN: 1680-8975
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Fragen an HR Dr. Johann Lachinger, Leiter des Adalbert-Stifter-Instituts des Landes Oberösterreich in Linz; Lehrbeauftragter für deutsche Literatur an der Universität Wien

Johann Lachinger / Andreas Brandtner / Volker Kaukoreit

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Sichtungen 1 (1998), S. 127-130
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2001-12-29
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[1/ S. 127:] Zur nächsten SeiteDas Adalbert-Stifter-Institut des Landes Oberösterreich in Linz ist auch Sitz des Oberösterreichischen Literaturarchivs, das gemäß seinem Statut für die oberösterreichische Literatur zuständig ist. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit einer- regionalen Definition von Literatur: Wie ist diese Eingrenzung am Stifter-Institut gezogen?

Zur vorigen Seite [1/ S. 128:] Zur nächsten SeiteIn Zeiten der umfassenden Globalisierung, die sich mit den Möglichkeiten der elektronischen Medien und des Internet-Betriebs rasant beschleunigt hat, erhält die »Region« als historisch gewachsene soziale und kulturelle Einheit einen neuen Stellenwert. Die Literatur einer Region ist ein wenn auch fluktuierender Bereich des identitätsstiftenden »Selbstbewußtseins« einer Region; die regionalen Literaturarchive können als Speicher der kulturellen Tradition eine wertvolle Punktion erfüllen. Eine definitorische Eingrenzung regionaler Literatur ist schwierig. Am Oberösterreichischen Literaturarchiv wird - in abgestufter Form - grundsätzlich alles Literarische gesammelt, was mit diesem Land in irgendeiner Weise zu tun hat: Neben Stifteriana z. B. auch Strindbergiana, Autochthones wie regionale Dialektdichtung klarerweise, soweit es literarische Qualität besitzt.

Empfinden Sie beim Versuch, Vor- bzw. Nachlässe oberösterreichischer Schriftsteller mit überregionaler Relevanz zu erwerben, Konkurrenz von Wiener Institutionen, etwa der Dokumentationsstelle für neuere österreichische Literatur, dem Österreichischen Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek, der Wiener Stadt- und Landesbibliothek sowie auch von anderen österreichischen Literaturarchiven, z. B. dem Brenner-Archiv in Innsbruck, das ebenfalls über Bestände aus Oberösterreich verfügt, und deutschen Institutionen, etwa beim Ankauf von Stifter-Autographen?

Natürlich kann es bei überregionalen Größen zu Konkurrenzsituationen mit anderen Archiven kommen. Prinzipiell sollten Nachlässe von Autoren und Autorinnen, deren Werk hauptsächlich in einer Region entstanden und von der »Herkunftslandschaft« geprägt ist, in diesem Land bleiben können, soweit es die adäquate Einrichtung dafür gibt. Sicherlich gibt es auch mehrfache »Loyalitäten« bei Schriftstellern und Schriftstellerinnen, die, sagen wir, in Oberösterreich geboren und aufgewachsen sind, ihr literarisches Oeuvre aber hauptsächlich in Wien geschaffen haben, beispielsweise Hermann Bahr. Innerhalb Österreichs sollte es bei den Archiven möglichst großzügige Flexibilität gehen, eine Art von »Do ut des«-Einstellung. - Wegen der Stifter-Autographen gab es nur einmal Streit, 1964, als die Sammlung Schocken versteigert wurde und die Bayerische Staatsbibliothek den Löwenanteil erwerben konnte. Seither klappt es mit gegenseitigen Absprachen.

Angesichts des zunehmenden fachspezifischen Bewußtseins von den Kanonisierungsprozessen, die über die Literaturarchive geleitet werden, stellt sich die Aufgabe, die Begriffe ›regionale‹ und ›überregionale‹ Rele-Zur vorigen Seite [1/ S. 129:] Zur nächsten Seitevanz differenzierter zu fassen. Ist es nicht so, daß oft erst durch eine intensive regionalgeschichtliche Forschung überregionale Zusammenhänge erhellt werden, die allein mit dem Blick auf die kanonisierte Literaturverschüttet blieben?

Hier liegt eine große Chance für regionale Literaturarchive vor: Insofern, als jede Literatur als Zeugnis ihrer Zeit relevant ist, kann regionale Literatur exemplarisch werden für überregionale historische Tendenzen und Zusammenhänge. An unserem Institut konnte z. B. mit einer Ausstellung über den heute unbekannten oberösterreichischen Schriftsteller und Germanisten Edward Samhaber (1846-1927) und seine Beziehung zum Werk des slowenischen Nationaldichters France Prešeren (1800-1849) ein Fallbeispiel für die Virulenz der Nationalitätenfrage im slowenischsprachigen Gebiet in der ausgehenden Habsburgermonarchie demonstriert werden. Der besonders umfangreiche Nachlaß Enrica von Handel-Mazzetti (1871-1955) kann für die Darstellung der Situation der katholisch-konfessionellen Literatur in der Auseinandersetzung mit Protestantismus und Liberalismus und ihre Rolle im Modernismus / Antimodernismus-Streit ebenso herangezogen werden wie für Verlagsgeschichte, Zeitschriftengeschichte usw. Es kommt auf die Perspektive an, unter der ein Nachlaß »etwas hergibt«.

Sie bereiten derzeit eine oberösterreichische Literaturgeschichte vor: Können Sie kurz die Tragfähigkeit Ihres Konzepts einer historischen Definition oberösterreichischer Regionalität vorstellen, die dieser Literaturgeschichte vorausgesetzt ist?

Bei der Konzeption einer Literaturgeschichte des Landes Oberösterreich stehen wir erst am Anfang. Wie bei den Sammelgebieten für das Literaturarchiv werden literarische Phänomene im weiteren Sinn einbezogen, die mit Oberösterreich (in den heutigen Grenzen) in irgendeinem bemerkenswerten Zusammenhang stehen auch angesichts dauernder Grenzüberschreitungen, die sich aus den überregionalen Zeitströmungen und den individuellen biographischen Bezügen der Autoren und Autorinnen ergehen. Im großen und ganzen kultur- und sozialgeschichtlich orientiert, wird die jeweilige »Infrastruktur« des literarischen Lebens (kulturelle Zentren) neben Gattungsgeschichtlichem und Einzeldarstellungen eine Rolle spielen. Spezielle Oberösterreich-Themen (wie z. B. Bauernkriegs-Dichtung) sollen hervorgehoben werden.

Zur vorigen Seite [1/ S. 130:] Schon vor Jahren wurde Literatur als zunehmend minoritäres Unternehmen bezeichnet. Die Skepsis wächst, daß sie überhaupt noch gesellschaftliche Kommunikationszusammenhänge stiften kann, weder regionale und schon gar nicht überregionale. Besteht für die regionalen und nationalen Literaturarchive dabei nicht die Gefahr, Speicher einer überholten Diskursform zu werden?

Der Tatsache, daß das Bücherlesen abnimmt angesichts der leicht konsumierbaren Angebote der elektronischen Medien Fernsehen, Video, Internet etc., stellt das Anwachsen der Buchproduktion gegenüber, wie die jährlich immer noch steigenden Zahlen bei den Buchmessen zeigen. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Bildungsfundus Literatur selbst in den traditionellen Bildungsschichten an Bedeutung verliert zugunsten anderer Informationsangebote und daß damit bestimmte kulturelle und ästhetische Werte nicht mehr allgemein vermittelt werden. Es sollte aber Zentren geben, in denen der kulturelle »Vorrat«, der sonst verloren ginge, aufbewahrt und verfügbar gehalten wird, sei es für eine qualifizierte Minorität, sei es für neue Formen der (reflektierten kritischen) Aufbereitung in einer perpetuierten Geschichtsflucht.

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Beiträger
Johann Lachinger
Adalbert-Stifter-Institut des Landes Oberösterreich
Adalbert-Stifter-Platz 1, A-4020 Linz
Letzte Adressaktualisierung: 1999
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Andreas Brandtner
Wiener Stadt- und Landesbibliothek
Handschriftensammlung
Rathaus, A-1082 Wien
Letzte Adressaktualisierung: 2000
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Volker Kaukoreit
Österreichische Nationalbibliothek
Österreichisches Literaturarchiv
Josefsplatz 1, A-1015 Wien
Letzte Adressaktualisierung: 2000
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