[1/ S. 171:] Das Werk des im März 1995 im 93. Lebensjahr verstorbenen österreichischen Autors Albert Drach wurde erst in den letzten Jahren
zum Ziel kontinuierlicher literaturwissenschaftlicher Forschung. Die gesamte schriftstellerische Existenz des Autors zeichnet
sich durch eine extreme Ungleichzeitigkeit seiner literarischen Produktion einerseits und der Publikation und Rezeption seiner
Arbeiten andererseits aus. Diesem Umstand und der Tatsache, daß Drach 1938 emigrieren mußte, sind zuzuschreiben, daß der erhalten
gebliebene Nachlaß auch die Problematik der Lebens- und Rezeptionsgeschichte dieses Autors widerspiegelt. Eine Nachlaß- und
Werkdokumentation zu Drach betrifft darüber hinaus auch fachübergreifende Schwerpunkte wie Exil, Remigration, österreichische
Zeit- und Verdrängungsgeschichte.
Als Drach im Jahr 1964 mit der Veröffentlichung seines Romans »Das große Protokoll gegen Zwetschkenbaum« erstmals ›entdeckt‹
wurde, war der Verfasser bereits 62, der in der Emigration entstandene Text immerhin schon 25 .Jahre alt. Nach einer ersten
Phase der mehr personen- als textorientierten Rezeption, die im wesentlichen auf mit Anekdoten angereicherte Rezensionen beschränkt
blieb, geriet der Autor bereits während der Veröffentlichung seiner »Gesammelten Werke« in zunehmende Vergessenheit. Erst
seine Wiederentdeckung im Jahr 1988, die einerseits durch die Wiederveröffentlichung und kritische Neubewertung seines Emigrationsberichts
»Unsentimentale Reise«, andererseits durch die Zuerkennung des Georg Büchner-Preises ausgelöst wurde, führte zu einer qualitativ
neuen sowohl textkritischen als auch von rezeptions- und produktionsästhetischen Fragestellungen ausgehenden Auseinandersetzung
mit seinem umfangreichen Oeuvre. Drachs »Protokollstil«, seine Poetik, die Entstehungs- und Wirkungsgeschichte seiner Werke
im historischen und lebensgeschichtlichen Zusammenhang sind zunehmend Gegenstand einer ambitionierten Forschung, an der auch
jüngere Wissenschaftler und Studenten teilhaben.
Ziel des durch den Jubiläumsfonds der Nationalbank seit März 1996 geförderten Forschungsprojekts ist es vor allem, durch Erschließung
des Nachlasses die wissenschaftliche Voraussetzung für weiterführende Forschungen zu schaffen. Das Projekt steht unter der
Leitung von Univ.-Prof. Dr. Ingrid Cella (Institut für Germanistik der Universität Wien) und wird von Dr. Eva Schobel durchgeführt.
Die Arbeit kann auf zwei bereits abgeschlossenen, ebenfalls durch den Jubiläumsfonds finanzierten Projekten zu Leben und Werk
des Autors aufbauen. Eine für das Jahr 2002 zum 100. Geburtstag geplante Drach [1/ S. 172:]
Biographie wird vorbereitet. Eva Schobel hat den Vorlaß Albert Drachs noch zu seinen Lebzeiten gesichtet und grob katalogisiert;
das seit März 1996 laufende Projekt ermöglicht nun eine detaillierte Feinaufnahme im ÖLA, das den Nachlaß erworben hat und
aufbewahrt.
Drachs Nachlaß besteht aus Handschriften und Typoskripten zu seinem veröffentlichten und unveröffentlichten Werk, persönlichen
Aufzeichnungen, lebensgeschichtlichen Dokumenten, der Korrespondenz und der juristischen Hinterlassenschaft des Anwalts. Das
Oeuvre ist ab der Mitte der 60er Jahre relativ geschlossen überliefert. Erhalten gebliebene Werke und Fragmente lassen sich
bis in das Jahr 1920 zurückdatieren. Das Material ist in äußerst unterschiedlichem Zustand. Neben den gut erhaltenen Handschriften
in Heften und relativ gut sortierten Typoskripten der noch nicht oder nur in Zeitschriften publizierten Werke sind frühere
Textstufen zu den veröffentlichten Werken häufig durcheinandergeraten. Auch eine Durchmischung völlig unterschiedlicher Texte
und Text-Fragmente ist keine Seltenheit.
Die Aufarbeitung des Nachlasses orientiert sich im wesentlichen an den Vorgaben der »Regeln zur Erschließung von Nachlässen
und Autographen« (RNA). In einem anfänglichen Arbeitsschritt wurden die ersten elf Kartons der Bestandsliste geordnet. Anschließend
wurden die völlig ungeordneten Werkteile bearbeitet. Es handelt sich dabei um fünf Kartons mit vermischten Einzelblättern,
Texten und Text-Fragmenten, die bereits weitgehend den entsprechenden Werken zugeordnet werden konnten.
Hinsichtlich der Veröffentlichungen konnte vor allem bezüglich des erzählerischen Werks ein erster Überblick über das vorliegende
Material gewonnen werden. Die ab 1964 entstandenen Romane »Z. Z. - das ist die Zwischenzeit« und »Untersuchung an Mädeln«
liegen sowohl in ihren handschriftlichen Urfassungen wie auch als Typoskripte mit Korrekturen vor. Komplizierter verhält es
sich mit den in der Emigration verfaßten Werken des Autors. So sind von der »Unsentimentalen Reise« Typoskripte und Fragmente
früherer Fassungen erhalten, die sich wesentlich von der publizierten Endfassung unterscheiden und keinen vollständigen Textkorpus
ausmachen. Die Erforschung der Text-Genese wird sich als dementsprechend kompliziert erweisen.
Als begleitende Recherchemaßnahme hat die Sachbearbeiterin eine Reise in die Emigrationsorte des Autors unternommen und Gespräche
mit Zeitzeugen geführt, die Albert Drach gekannt haben.
Eva Schobel
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