Schauplätze
Die unter der Rubrik »Schauplätze« versammelten Beiträge beschäftigen sich mit der Darstellung von Orten und Räumen in Peter Handkes Romanen, Erzählungen, Theaterstücken oder Filmen. Das Wort »Schauplatz« bezeichnet dabei den »Ort eines Geschehens« oder einen »Ort, an dem eine Handlung vollzogen wird«, ein Szenarium. Ein Schauplatz ist jedenfalls ein Ort, der die Aufmerksamkeit eines Betrachters (des Autors, Lesers, Zuschauers) auf sich zieht, zu dem man hinschaut, wo sich etwas ereignet. Der Ort wird durch eine Handlung, die dort vor sich geht, bewusst und bedeutend.
Peter Handke verkehrt die Relevanz von Handlung und Ort. Er bezeichnet sich im Gespräch mit dem Literaturwissenschaftler Herbert Gamper als »Orts-Schriftsteller«, da für ihn immer ein Ort und nicht eine Handlung oder Geschichte »Ausgangspunkt« des Erzählens ist. »Orte« sind für ihn »die Begrenzungen, die erst die Erlebnisse hervorbringen« (Gamper 1990, S. 19). Eine Notiz im Journal Am Felsfenster morgens (1998) bringt dies auf den Punkt: »Der Ort gibt die Erzählung, nicht umgekehrt« (AF 29).
Bedeutung von Orten
Orte sind für Handkes Erzählen von Anfang an wichtig. Die Orte spiegeln den Zustand, die Entwicklung des Helden. Betrachtet man Handkes Prosatexte, so zeigt sich jedoch ab seinem Roman Langsame Heimkehr (1979) eine Veränderung der Darstellung und Bedeutung bzw. Gewichtung von Orten, die sich begründen lassen mit seiner neuen Arbeitsweise, dem konsequenten täglichen Notieren von Bewusstseinseindrücken und seiner poetischen Erneuerung durch die Hinwendung zur Natur, zu den Rändern und Peripherien von Städten, zur eigenen Kindheit (AF 394) und zu älteren literarischen Traditionen. Langsame Heimkehr war der Versuch, nur die Natur (einen Ort) ohne Konflikt (Handlung) zu erzählen. (Gamper 1990, S. 20)
In einer Art Glaubensbekenntnis an den Ort formulierte Handke in seiner Erzählung Die Abwesenheit die Bedingungen, die ein Ort mit sich bringen muss, um in einer Erzählung zu einem Schauplatz zu werden, der zugleich über sich hinausweist: »Aber ich glaube immer noch […] an die Kraft der Orte. Ich glaube an die Orte, nicht die großen, sondern die Kleinen, die unbekannten, im Ausland ebenso wie im Inland. Ich glaube an jene Orte, ohne Klang und ohne Namen, bezeichnete vielleicht allein dadurch, dass dort nichts ist, während überall ringsherum etwas ist. Ich glaube an die Kraft jener Orte, weil dort nichts mehr und noch nichts geschieht. Ich glaube an die Oasen der Leere, nicht abseits, sondern inmitten der Fülle hier. Ich bin gewiß, dass jene Orte, auch gar nicht leibhaftig betreten, immer neu fruchtbar werden, schon mit dem Entschluß des Aufbruchs und mit dem Sinn für den Weg.« (DAM 84)
Erzählte Orte
Bei der Beschreibung von Orten geht es darum, dem Ort und den unwillkürlichen erlebten »Wahrzeichen« (AF 114) gerecht zu werden, das »Geheimnis« eines Ortes – »seine Topographie, samt Ecken, Winkeln, Flurzeichen« – dabei nicht zu verraten, sondern zu behaupten, zu bewahren (DGB 232). Fragen und Erzählen macht die Inbilder von Orten erst bewusst – so wie es im Spiel vom Fragen heißt: »Das Fragen erst schafft sich den Ort und krümmt den Raum« (DSF 134). Durch Fragen/Erzählen bewusst gemachte Orte können reale Orte, von anderen Autoren beschriebene oder erinnerte Orte als Vorbild haben. Sie können sich aus mehreren realen oder bei anderen Autoren beschriebenen Orten zusammensetzen zu einem neuen fiktiven oder »mythischen« Ort. Handkes erzählte Orte sind immer subjektive und zugleich allgemeine Örtlichkeiten. (LH 113)
Städte, Länder, Kontinente
Die Schauplätze in Handkes Werken sind unterschiedlich dimensioniert: so kann eine Stadt, eine Region, ein Land oder sogar ein Kontinent zum Handlungsort werden. Eine Handlungssequenz kann sich aber auch auf kleinstem Raum ereignen. Selbst einzelne Dinge können zu Orten werden, an denen sich etwas ereignet – eine Verwandlung zum Beispiel. In diesem Fall sind Ding/Ort und Handlung eins. Eine Blume, die zum Schriftzeichen wird, ein gerilltes Blatt, das als siebenarmiger Leuchter erscheint.
Es gibt meist einen Hauptschauplatz und viele Teilschauplätze, die in unterschiedlichem Verhältnis zueinander stehen. Im Roman Der kurze Brief zum langen Abschied (1972) reist der Protagonist von der Ostküste Amerikas bis nach Kalifornien. Viele Städte werden dabei zu Schauplätzen und bleiben doch, da die gesamte Reise relevant ist, dem Handlungsort Amerika untergeordnet, so dass man zu Recht von einem Amerika-Roman sprechen kann.
Die Teilschauplätze, die sich selbst wiederum in viele einzelne Handlungsstationen oder Ortsbeobachtungen aufsplitten lassen, können den Hauptschauplatz definieren, oder sie können für sich stehen und durch einen außerhalbstehenden Hauptschauplatz verbunden sein. In Die Stunde der wahren Empfindung (1975) erlebt Gregor Keuschnig seine Abenteuer in Paris. Hier werden einzelne Stadtteile, Strassen oder Gebäude zu Teilschauplätzen, die den Hauptschauplatz Paris deutlich machen. In Mein Jahr in der Niemandsbucht (1994) sind die Teilschauplätze über die ganze Welt verstreut, Hauptschauplatz ist der Ort des Erzählers, die »Niemandsbucht«. In Die morawische Nacht, das in Spanien, Deutschland, Osterreich, Slowenien und Serbien spielt verhält es sich ähnlich: nur stellt sich der Hauptschauplatz, das schwimmende Restaurant in Serbien, am Ende als erfunden heraus. Es bleibt nur ein imaginiärer Ort des Erzählers.
Modulbeiträge
Die Beiträge nähern sich den Schauplätzen Handkes auf unterschiedliche Weise. Ausgangspunkt der Untersuchungen war entweder der von Handke beschriebene, literarische Ort, der in Arbeits- und Recherchematerialien (Fotos, Zeichnungen, Notizen, Broschüren oder Landkarten) dokumentierte Ort oder der reale Ort. Die Beiträge über Aix-en-Provence oder den Morzger Wald in Salzburg in der Erzählung Die Lehre der Sainte-Victoire (1980) gehen beispielsweise vom literarischen Schauplatz aus und vergleichen diesen (mitunter durch Einbeziehung der Recherchematerialien) mit dem realen Vorbild. Der Beitrag über das Steinhuder Meer in der Erzählung Kali (2006) dagegen verwendet die Recherchematerialien (Fotos und Broschüren zum Kali-Bergwerk) und zeigt, wie diese im Werk Verwendung fanden.
Beiträge, die vom realen Ort ausgehen, untersuchen dagegen vielmehr das in der Literatur vermittelte »Bild« eines Ortes, vergleichen es mit der öffentlichen Wahrnehmung oder versuchen die Bedeutung eines Ortes für den Autor und dessen Arbeit zu erklären. Dieser Ansatz ist gerade bei jenen Orten interessant, die in der Öffentlichkeit eine große Aufmerksamkeit haben – zum Beispiel Amerika oder Jugoslawien. Interessant ist dieser Ansatz aber auch bei Orten, die in mehreren Werken Handkes Schauplatz wurden und jeweils andere Handlungen ermöglichten. Ein Beispiel dafür wäre Handkes Heimatort Griffen im Kärntner Jauntal: der Ort ist bereits in seinem ersten Roman Die Hornissen (1966) Schauplatz und wird in Folge immer wieder zum Ort der Handlung: im Theaterstück Über die Dörfer (1981), in der Erzählung Die Wiederholung (1986), in Gedicht an die Dauer (1986), in Die morawische Nacht (2008) oder Immer noch Sturm (2010). (kp)
- Werke und Themen
- Stationen am Theater
- Werkmaterialien
- Handkes Orte
- Wohnorte
- Schauplätze
- Der Griffener See (Die Hornissen, Gedicht an die Dauer)
- Amerika (Der kurze Brief, Langsame Heimkehr)
- Alaska (Langsame Heimkehr)
- Aix en Provence (Die Lehre der Sainte-Victoire)
- Der Morzger Wald bei Salzburg (Die Lehre der Sainte-Victoire)
- Salzburg (Der Chinese des Schmerzes)
- Das Steinhuder Meer (Kali)