Die Wiederholung; Phantasien der Wiederholung

Notizbuch, 160 Seiten, 24.04.1982 bis 18.08.1982

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Beschreibung

Das 160 Seiten umfassende Notizbuch enthält Einträge vom 24. April 1982 bis 18. August 1982. Bis auf 7. und 9. August 1982 ist zu jedem Tag ein Notizbucheintrag vorhanden. In ihrer Länge variieren sie z.T. stark, die Notizen reichen von 1 Zeile (z.B. am 25. Juni 1982) bis zu mehreren Seiten (z.B. am 4. Mai 1982 mit 8 Seiten).

Rückschlüsse auf Handkes Reisen bieten zahlreiche Ortsangaben in den einzelnen Einträgen, Ortswechsel sind zumeist mit einem  „“-Symbol vor dem Ortsnamen gekennzeichnet. Im Zeitraum vom 24. April bis 18. August 1982, über den das Notizbuch geführt wurde, sind vier zusammenhängende Reisen bzw. Aufenthalte Handkes außerhalb Salzburgs erkennbar: Vom 2. bis 8. Mai 1982 reiste er in den Karst nach Slowenien via Kärnten. Dazu notiert Handke: »Der Grund unserer Karstfahrt soll diesmal sein: die Suche nach einem Bienenhaus« (2. Mai 1982) und am 5. Mai 1982: »Ich habe doch ein bemaltes Bienenhaus gesehen [...]«. Vom 27. bis 29. Mai 1982 hielt sich Handke in Zürich und Offenburg [in Baden-Württemberg] auf, anschließend vom 30. Mai bis 2. Juni in Kärnten. Eine Reise nach Italien und in die Schweiz folgte von 22. bis 27. Juni 1982 und zwischen 10. Juli und 8. August 1982 ist ein langer Aufenthalt in Sardinien, Italien, Kärnten, Slowenien und erneut Kärnten dokumentiert. Handkes Rückkehr nach Salzburg am 8. August 1982 fällt mit der Salzburger Uraufführung von Über die Dörfer zusammen, zu der Handke am 10. August 1982 notiert: »Die große Mehrzahl der Kulturjournalisten zeigen, wenn sie loben, ihre Un-Un-Natur; wenn sie mie{s}machen, schmähen, zeigen sie endlich ihre Unnatur (2 Tage nach meiner Freude mit ÜdD, den Schauspielern, den Zuschauern)«.

Der vordere Vorsatz (S. I-II) ist dicht beschrieben. Handkes Salzburger Wohnadresse und Telefonnummer sind eingetragen und umrahmt. Weitere Telefonnummern und einzelne, für Reisen notierte Ortsbezeichnungen scheinen auf: »Sassari Santa Teresa; Hotel Corte Rosada (Pullman) ? Porto Conte ab 24.7. Hotel E{??}ARO«. Der hintere Vorsatz (S. I*-III*) ist ebenfalls dicht beschrieben. S. I* enthält, neben einer Telefonnummer mit Namen »(Seiser)« und Straße »Martin-Rom-Str.« (in St. Veit an der Glan), sowie Abfahrts- und Ankunftszeiten von Zugfahrten, kurze Adressnotizen von Kontaktpersonen: eine »Fr. Schwegler« mit dem Zusatz »(Ponge)«, sowie Ortsangaben einer Reiseroute: »Piètole« (Geburtsort Vergils), »Bosco Virgiliano« (Wald zwischen Mantua und Piètole), »Cerese« (Porta Cerese in Mantua). Die S. II* und III* am hinteren Vorsatz enthalten einzelne Telefonnummern, Personennamen und Adressen, Abfahrts- und Ankunftszeiten sowie Ortsnamen von Reiserouten. Darüberhinaus sind auf beiden Seiten Berechnungen im Zusammenhang mit finanziellen oder steuerlichen Belangen notiert, z.B.: »nicht belegbare Betriebsausgaben: 20.000 (nur); Zinsen vom Sparbuch angehen (1981); Wertpapiere kann ich kaufen. f. 100.000 u.f. 100.000«.

An Werktiteln sind auf dem vorderen Vorsatz (S. I) eingetragen: »Die Wiederholung«, »Phantasien der Wiederholung« [Handkes Bezeichnung für das Journal ab 1982] und »Losers Geschichte «. Der Titel »und immer noch: Die Geschichte des Bleistifts« wurde durchgestrichen. Aus dem Inhalt sind drei Werkbezüge ermittelbar: Die Wiederholung (Kürzel im Notizbuch: »DW«), Die Geschichte des Bleistifts und Der Chinese des Schmerzes.

Durchgehend verwendet Handke auch die Abkürzung: »(O)« (14. Juni 1982) bzw. »(Einf. Or.)« (28. Juni 1982), »“Ich suche den Abstand“ (O.)« (3. August 1982), »“Erscheine!“ (O.)« (4. August 1982), »“Ach, liebe Quelle!“ (Mger Wald) [O]« (10. August 1982). Mit der Abkürzung ist vermutlich der Begriff »Orakel« gemeint, es könnte aber auch »Orgie« bedeuten, wie es etwa als »Orgie der Abwesenheit« in einem früheren Notizbuch am 25.11.1981 notiert ist.

Zu Langsame Heimkehr gibt es zumindest eine Nachbetrachtung im Notizbuch: »Doch: mit dem Schreiben von L.H. bin ich ein Künstler geworden, davor habe ich mich im Vorhof herumgetrieben, manchmal über eine Zugbrücke setzend (immerhin mußte ich fast 36 Jahre alt werden)« (12. August 1982). (ck)

Werkbezüge

Die Geschichte des Bleistifts

Bis 22. April 1982 hatte Handke am Typoskript (ÖLA 165/W2) mit der Erstfassung von Die Geschichte des Bleistifts gearbeitet, dem bereits umfassende Manuskripte mit exzerpierten Journaleinträgen vorangingen.  Notizen mit Bezug auf Die Geschichte des Bleistifts enthält dieses Notizbuch wieder vermehrt ab dem 19. Mai 1982, unter Verwendung des Kürzels »dGdB« oder »GdB«. Da dem Typoskript ein Schreiben mit Korrekturvorschlägen vom 10. Mai 1982 beiliegt, ist wahrscheinlich, dass Handke anschließend mit Korrekturen am Text befasst war. Auch einzelne mit einem »X« markierte Einträge im Notizbuch sind Die Geschichte des Bleistifts zuordenbar, erstmals am 19. Mai 1982, z.B.: »hier sitze ich, im Moment unver[???], von Hoffnungslosigkeit bewegt“ (anfügen)«; »dGdB: der Tod brach als splitternder Baumstamm aus mir hervor (auch anfügen, aber wo?)«. In der Folge finden sich bis etwa 27. Juni 1982 regelmäßig Einträge mit Korrekturen und Einfügungen zu Die Geschichte des Bleistifts. Zum Inhalt von Die Geschichte des Bleistifts notiert Handke am 4. Mai 1982: »Die Orakelsprüche („Nur der Fremde, an dem man das Drama sieht, erscheint ist unverdächtig“) erscheinen mir doch unzerstörbar; sie sind, jedenfalls in mir, unvergänglich (ich werde sie in dGdB wiederaufnehmen, aber in eine Reihe zusammengezogen, wie die „-sagte“-Sätze am Anfang) [nur das unentschlüsselbare Dutzend, das ich wirklich erlebt habe, wie auch: „Dämonisiere den Raum, durch Wiederholung“, „Das Dorf ist groß“, etc. „In den Geistesabwesenden fliegen die Spitzschnäbel hinein“]«. Handke greift Notate zu Die Geschichte des Bleistifts über einen längeren Zeitraum mehrmals auf. Ein Beleg, dass die Formulierungsarbeit an Die Geschichte des Bleistifts über die in der Buchausgabe angegebenen Jahreszahlen »1976-1980« hinausgeht ist z.B. eine Textstelle, die Handke auch im vorangehenden Notizbuch (ÖLA SPH/LW/W99, S. 32) andeutete und die in einer neuen Formulierung (ÖLA SPH/LW/W100, 7. Juni 1982) in die Druckfassung übernommen wird: »Zu den Spatzen kann man sagen „allerliebst“ und: „allgegenwärtig“ („Sie sollen dich freibinden“, hieß es von ihnen im Traum). Allmählich entsteht so mein Wappen: Spatzen in einem Holunderbusch (auch dieser ist allgegenwärtig) –; und beide sind für die Arbeit meine großen Helfer«. (ck)

Phantasien der Wiederholung

Erst am Vorsatzblatt dieses Notizbuchs aus dem Jahr 1982 ist erstmals der Projekttitel Phantasien der Wiederholung eingetragen, den Handke seinen Journalaufzeichnungen nach Fertigstellung der Geschichte des Bleistifts gab, dazu merkt er an: »so heißt das Journal ab 1981«. Phantasien der Wiederholung enthält allerdings nahezu ausschließlich Texte aus Notizbuchaufzeichnungen aus dem Zeitraum von April bis Dezember 1981. Dass Textstellen aus dem gegenständlichen Notizbuch verwendet wurden, konnte bislang nicht belegt werden. Der Titeleintrag am Vorsatzblatt weist somit eher auf die geplante oder laufende Arbeit an einer Textfassung hin. Relevant sind in diesem Notizbuch mitunter noch jene Einträge, die mit einem der Kürzel zu Die Geschichte des Bleistifts (z.B. »dGdB«) markiert sind und bei denen es sich um späte Einfügungen zu Die Geschichte des Bleistifts handelt, das 1982 als Buch erschien, da sich Phantasien der Wiederholung aus einem anfänglich beide Projekte umfassenden Textkorpus entwickelte. (ck)

Der Chinese des Schmerzes

ÖLA SPH/LW/W100Mit diesem zwischen 24. April und 18. August 1982 entstandenen Notizbuch wird Der Chinese des Schmerzes am vorderen Vorsatz erstmals konkret mit dem vorläufigen Projekttitel »Losers Geschichte« benannt (S. I). Überlegungen zur Erzählung waren bereits in den beiden vorangehenden Notizbüchern zu bemerken, die Entwicklung der wesentlichen Motive zeichnet sich allerdings erst mit der namentlichen Nennung des Protagonisten »Loser« ab. Das Symbol »«, das Handke zur Kennzeichnung von Notizstellen (z.B. das für die Erzählung zentrale Schwellenmotiv) zu Der Chinese des Schmerzes verwendet, wird neben dem Projekttitel am vorderen Vorsatz eingeführt (im vorangehenden Notizbuch war das Symbol noch nicht einem einzelnen Werkprojekt zuzuordnen). Alternativ werden die Notizen zur Erzählung auch mit »L.’s G.« oder »L.’s Geschichte« gekennzeichnet.

Die Aufzeichnungen für Der Chinese des Schmerzes entstanden hauptsächlich in Salzburg, von 24. bis 30. April, sowie nach Handkes Rückkehr von einer Karstreise ab 8. Mai 1982. Die Italienreise Ende Juni ist in Bezug auf den Chinesen unbedeutend. Erst Handkes längerer Aufenthalt in Sardinien vom 10. Juli bis 8. August bildet den Hintergrund für die Reise des Protagonisten Loser im letzten Kapitel der Erzählung.

Die Lektüre der Bibel (das Buch Jesaja), Vergils Georgica sowie mehrerer Romane Georges Simenons sind als hauptsächliche literarische Quellen für die Erzählung auszumachen. Im ersten Eintrag, am 24. April 1982, nennt Handke – in Anspielung auf seine begleitende Simenon-Lektüre (Der Mörder) – seinen künftigen Protagonisten »mein Mörder (Salzburg-Geschichte)«. Der zentrale Konflikt der Erzählhandlung stand damit bereits zu diesem frühen Zeitpunkt fest, obwohl die Notizen im Übrigen den Eindruck erwecken, dass sich Handke der Erzählung noch in vielen kleinen Einzelüberlegungen annäherte. Dies geht aus eher unverbindlich-fragend wirkenden Anmerkungen hervor wie am 28. April 1982: »[Aber wie nähere ich mich L.’s Geschichte? Ich erwarte täglich ein bißchen von ihr] (nur nicht recherchieren)«.

Vom 12. Mai 1982 an fallen vermehrt kommentierende Notizen zur Textkonzeption auf, etwa zum Protagonisten: »Wieder einmal wurde es Abend, und L.... (so ungefähr muß L.’s Geschichte gehen)«, »Grundton von L.’s G.: Bitterkeit, Trauer, Schärfe«, »L.’s Geschichte soll so lange dauern, wie vielleicht die Dreharbeiten zu einem Film dauern (Ende – April – Mitte Juni; dann hat er seine Geschichte)«, »L. hat immer ein Exemplar der Georgica bei sich, in das er sich was auch immer hineinschmiert«; zur Erzählzeit: »Jeder Zeitsprung gekennzeichnet durch einen Sprung in der Pflanzen- und Tierwelt (so fängt es an: die Kastanien, die Schwalben, die Krähen etc.), so lakonisch, monumental und leicht wie möglich« (alle S. 44). Am 15. Mai 1982 notiert Handke: »Alte Zeitformen müssen in L.’s Geschichte vorkommen, deutlich; auch die Vorvergangenheit, und die Vorzukunft!!«, »der Hauptstrang ist freilich die Mitvergangenheit« (beide S. 49); zur Erzählhaltung am 3. Juli 1982: »L.’s Geschichte muß zornig, bitter zornig, wild zornig enden, nach einer großen Begütigung freilich: "Aber ich muß zum Zorn zurückkommen" (andere Rede über Ö.); und wer hält die Rede? [...]« (S. 109). Diesen »Zorn« ergänzt er am 3. August 1982 wieder durch Beiläufigkeit: »Ein Autobus fuhr vorbei, in dem einige Kaugummiblasen platzten ; (so L.'s Geschichte erzählen)« (S. 144).

Die große Variation sich zum Teil widersprechender Überlegungen und Ideen zur sprachlichen Umsetzung der Erzählung fällt auf. Erst im folgenden Notizbuch im September 1982 kam es zu einer konkreten Verdichtung thematisch-inhaltlicher Festlegungen, bevor Handke im Oktober mit der Arbeit an der ersten Textfassung begann. (ck)

Die Wiederholung

»Die Wiederholung« notiert Handke als Projekttitel auf dem vorderen Vorsatz dieses Notizbuches. Mit den Kürzeln »DW« oder »[DW!]« markiert er die für dieses langfristige Projekt vorgesehenen Textstellen, die neben der intensiven Beschäftigung mit Der Chinese des Schmerzes immer wieder in den Hintergrund treten.
»L.’s Geschichte soll auch eine Lakonieübung sein (für DW)«, notiert Handke am 8. Mai 1982 und bezeichnet damit Der Chinese des Schmerzes als Vorarbeit für die spätere Wiederholung. Die Eintragungen zu Die Wiederholung sind in diesem Notizbuch  kontinuierlich zu finden, treten aber verdichtet in Zusammenhang mit Handkes Reisen (nach Slowenien, Kärnten, Sardinien) auf. Handke notiert für Die Wiederholung zahlreiche Personen- und Ortsnamen sowie slowenische Wortübersetzungen. Die Kapitelüberschrift »Sabana de la Libertad ( Kosov.)« notiert er am 3. August 1982. (ck)

Tabellarische Daten

Titel, Datum und Ort

Eingetragene Werktitel (laut Vorsatzblatt): 

Die Wiederholung; (und immer noch: Die Geschichte des Bleistifts); und: Phantasien der Wiederholung (so heißt des Journal ab 1981); Losers Geschichte

Entstehungsdatum (laut Vorlage):  24. April 1982 bis 18. August 1982
Datum normiert:  24.04.1982 bis 18.08.1982
Entstehungsorte (laut Vorsatzblatt): 

Salzburg; Sassari Santa Terésa; Porto Conte

Zusätzlich eingetragene Entstehungsorte: 

Das Notizbuch beginnt mit Aufzeichnungen, die Peter Handke ab 24. April in Salzburg und Umgebung anfertigt: Gnigl (26.4.1982), Mbg., Tag (29.4.1982); Handkes Parisreise von Februar 1982 wird rückblickend erwähnt: Fontaine Sainte-Marie (1.5.1982); In weiterer Folge werden genannt: Klagenfurt; Villach Velden;  Gr. (jeweils 2.5.1982); Görz (3.5.1982); Solkan (4.5.1982); Štanjel (4.5.1982); Hruševica (4.5.1982); Pliskovica (4.5.1982); Sempeter (4.5.1982); N.[ova] G.[orica] (5.5.1982); »Die winzigen Gärten von Vipava« (5.5.1982); Vrhpolje (5.5.1982); Vipava Rožna Dolina (6.5.1982); Bahnhof Görz (6.5.1982); »nach Cormons« (6.5.1982); Tricesimo (6.5.1982); »von Tricesimo nach Gemona« (7.5.1982); »Gestern in Udine« (7.5.1982); Chiusaforte (7.5.1982); Dogna (7.5.1982); Villach (7.5.1982); »im Café an der Alm = Albina« (8.5.1982); Mülln (18.5.1982); Zürich (28.5.1982); Offenburg (29.5.1982); Anif (30.5.1982); St. Peter a. Wallersberg (31.5.1982); Sbg. (2.6.1982); Innsbruck (22.6.1982); Mantua (23.6.1982); Brescia (24.6.1982); Bergamo (24.6.1982); Lecco (24.6.1982); Colico am Comer See (24.6.1982); Piadena (24.6.1982); Sils (24.6.1982); Nendeln/Liechtenstein (27.6.1982); St. Anton a. Arlberg (27.6.1982); Pietole (28.6.1982); Rom (Flughafen) (10.7.1982); »am Swimmingpool, Corte Rosada, Porto Conte« (10.7.1982); Alghero (11.7.1982); Capo Caccia (16.7.1982); Sassari (20.7.1982); Fertilia (20.7.1982); Villanova (21.7.1982); Lago di Baratz (27.7.1982); Porto Torres (28.7.1982); Fertilia Alghero (30.7.1982); Olmedo (31.7.1982); Bozen (1.8.1982); »St. Veit an der Glan, Naziland« (1.8.1982); Udine (2.8.1982); Gor. (2.8.1982); Triest (3.8.1982); Kosov. (3.8.1982); Pliskovica (3.8.1982); Kobjeglava Kosovelje (3.8.1982); Triest (4.8.1982); Gemona (5.8.1982); »zurück im Heimatland [Wörthersee]« (5.8.1982); Velden (5.8.1982); »Viktring, Mittag« (6.8.1982); »Salzburger Hbhf....« (8.8.1982)

Materialart und Besitz

Besitz 1:  Deutsches Literaturarchiv Marbach
Art, Umfang, Anzahl: 

1 dunkelbraunes Notizbuch mit lederartigem Einband, 160 Seiten, I-III, pag. 1-160, I*-III*; von Handke auf Buchrücken geklebter Papierstreifen mit hs. Datierung: »April 82 – Aug 82«

Format:  10,3 x 14,6 cm
Schreibstoff:  Fineliner (blau, grün, rot, schwarz), Bleistift, Kugelschreiber (blau)
Weitere Beilagen: 

1 Foto (Polaroid Via Mario Borza Franco Taroni, Milano, 8.7.1982), mehrere getrocknete Pflanzen

Nachweisbare Lektüren

Die S. I-II des vorderen Vorsatzes enthalten drei ausgewiesene Lektürezitate:

  • Johann Wolfgang von Goethe: West-östlicher Divan »Schwerer Dienste tägliche Bewahrung sonst bedarf es keiner Offenbarung (G.)«. (Vorsatz, S. I, Diese Stelle aus dem West-östlichen Divan, Buch des Parsen zitiert Handke auch im Eintrag vom 5. Mai 1982.)
  • Vergil: Georgica. (Zu/aus Vergils Georgica notiert Handke auf S. I am vorderen Voratz: »galbanum: Harz einer doldentragenden Pflanze in Syrien (zum Ausräuchern!): Und mit Galbanumqualm verscheuche die schädlichen Schlangen (G III, 415) (galbaneoque agitare gravis nidore chelydros«. Ebenfalls zitiert er: »IV, 264: hic iam galbaneos suadebo incendere odores (Bienen, wenn krank)«)
  • Heraklit: Fragment 93 (Auf S. II notiert Handke eine Stelle aus Heraklits Fragment 93 in griechischer Schrift, deren deutsche Übersetzung lautet: "Der Herrscher, dem das Orakel in Delphi gehört, sagt nicht und verbirgt nicht, sondern gibt Winke." Die Stelle »(sondern gibt Winke)« fügt Handke dem Zitat auf Deutsch bei.)
  • Drei Notizeinträge (vermutlich zu Lektüren) auf dem Vorsatz (S. II) hat Handke entweder nachträglich eingefügt oder während des Notierens gesondert am Vorsatzblatt eingetragen bzw. hervorgehoben: »Glyzinien [/] Glyzinien in der Landschaft [/] Ein eigenes Hauptwort / ein eigenes Umstandswort / ein eigenes Anrufswort / ein eigenes Zeitwort / möchte ich für euch bilden: / Glyzinien, Lippenblütentraubenkelterbottichgefügtheiten / sanftblau= greiffrisch / o meine Gerechtigkeiten! / Flugherzt mich«. Dieses Gedicht notiert Handke in drei weiteren Varianten auf S. II* des hinteren Vorsatzes, wobei zwei Varianten zur Gänze gestrichen sind. Die ungestrichene Variante auf S. II* lautet: »Glyzinien in der Land= schaft und um die Häuser / Ein eigenes Hauptwort / ein eigenes Umstandswort / ein eigenes Anrufswort / ein eigenes Zeitwort / möchte ich / gerechtigkeitshalber / für euch bilden: / Glyzinien / Lippenblüten= traubenkelterbottichgefügtheiten / sanftklangreiffrisch / meine Gerechtigkeiten! – / Flugherzt mich!«. Drei weitere Ansätze bzw. Varianten notiert Handke in seinem Eintrag vom 3. Mai 1982 im Rahmen seiner Karstreise.
  • Ebenfalls am vorderen Vorsatz (S. II) folgt das Gedicht Sonnenfrau: »Sonnenfrau [/] Warum siehst du mich nicht, [/] daherschlendernd aus der Sonne, [/] und beanspruchst mich, [/] Sonnenfrau? [/] Ich habe gerade Zeit [/] (Gorizia, 3. Mai 1982, Nachmittag)«.
  • Die dritte Notiz (Vorderer Vorsatz, S. II) lautet: »Der wunderbarste Raum III [/] Der wunderbarste Abstand III [/] Der wunderbarste Zwischenraum IIII [/] Ist der zwischen dem Engel der Verkündigung) [/] Und der jungfräulich gebären-Sollenden: [/] Abstand von der Lilie des Feldes und des Himmels [/] Zur Lilie des sechsten Tages«. – Diese Aufzeichnung wiederholt sich auf Seite 32 des Notizbuchs in der Variante: »Der wunderbarste Raum / der wunderbarste Abstand / der wunderbarste Zwischenraum / ist der zwischen dem Engel der Verkündigung und der [??????] jungfräulich gebären-Sollenden / Abstand zwischen vor der Lilie des Feldes und des Himmels / und zu der Lilie des sechsten Tages (Gorizia, 6.5.1982, 14h)«.
  • Buch Jesaja (Am unteren Rand von S. I* am hinteren Vorsatz sind drei Zitate bzw. Hinweise aus dem/auf das Buch Jesaja notiert, zu dessen Lektüre Handke ab 11.8.1982 laufend Einträge verfasst: »Wunderbare Ortsangabe bei Jesaja: "Gehe hinaus … an das Ende der Wasserleitung des Oberen Teichs, am Wege beim Acker des Walkmüllers…" [/] Als die Seraphine "Heilig, heilig…" rufen, BEBEN DIE ÜBERSCHWELLEN (des Tempels) [Jes. 6. K.] [/] "glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht" (7,9)«)

Im Inneren des Notizbuches sind zahlreiche weitere Lektürehinweise zu finden, meist in mehrfacher Nennung:

  • Georges Simenon: Der Mörder [u.a. 24.4.1982, S. 1]
  • Georges Simenon: En cas de malheur (u.a. 24.4.1982, S. 1 (Das Kürzel »S.« wird sowohl für Salzburg als auch für Simenon verwendet, »Vielleicht sollte ich Simenon nicht mehr lesen; denn er rührt mich zu Tränen und läßt mich und seine Leute allein« (17.7.1982, S. 121))
  • Die Verfilmung von Die Verkaufte Braut mit Karl Valentin (S. 10, 1.5.1982)
  • Johann Wolfgang von Goethe: West-östlicher Divan (Buch des Parsen) (u.a. S. 28, 5.5.1982)
  • Simone Weil (ab 8.5.1982, S. 38/39)
  • Emmanuel Bove: Départ dans la nuit (u.a. 10.5.1982, S. 40)
  • Vergil: Georgica (u.a. 16.5.1982, S. 57; »(leider habe ich gerade die Georgica zuende)« (8.6.1982, pag. 83))
  • Ernst Jünger: (»trotzdem lese ich weiter«, 10.6.1982 pag. 85)
  • René Char (u.a. S. 88)
  • Christian Wagner (u.a. S. 88)
  • Epikur (u.a. S. 88)
  • Joseph Conrad (u.a. S. 96)
  • Hesiod (u.a. S. 111)
  • Walter Benjamin: Passagenwerk (u.a. S. 115)
  • Henri Michaux (u.a. S. 118)
  • Buch Jesaja, v. 60 "Zions Herrlichkeit" (u.a. 11.8.1982, S. 156)
  • Hermann Broch (u.a. 12.8.1982, S. 157)

Ergänzende Bemerkungen

Illustrationen: 

 

  • Neben einigen kleinen Kritzeleien sind im Notizbuch auch größere Zeichnungen enthalten.
  • Auf der Doppelseite 12-13 (2./3.5.1982) befindet sich eine Zeichnung mit der Bildunterschrift: »Die 3 Könige in der Nische – St. Griffen«.
  • Am 4.5.1982 zeichnet Handke die Darstellung eines Fisches mit einem Rückenkorb voller Steine ab, die er auf einem Altartuch in Pliskovica findet (S. 23), er notiert dazu: »Christophorus, er taucht aus dem [?] auf mit einem R[?]korb voll [?] auf dem Rücken [...]«, und weiter unten: »das schönste Bild des Christophorus« (vgl. dazu in DGB, S. 243: »Und im Traum dann verwandelte sich der helle Apfelrest in den sagenhaften Delphin, der die Erde, Korb voll Früchten, einst auf seinem Rücken aus dem Meer hob, schönstes Bild des Christophorus«.
  • Auf S. 24 ist skizzenhaft über dem Text die Zeichnung eines Verkaufsstandes (?) mit der Bildbeschriftung »Eistüten« erkennbar.
  • Auf S. 26 ist – vom Text umlaufen – die Blüte (einer Glyzinie?) gezeichnet.
  • Auf S. 31 und 33 ist jeweils die halbe Seite mit einem durchschraffierten Muster bedeckt (hat Handke evtl. ein Stück Rinde o.ä. durchgepaust?).
  • Löwenzahn auf S. 40 und S. 42.
  • Im Eintrag vom 26.5.1982 (S. 63) Zeichnung mit Beschriftung: »Keltenfelsschriften am Dürr[????]«.
  • Auf S. 67 (29.5.1982 oder 30.5.1982) ist auf einer Notizbuchseite eine abgepauste Oberfläche zu sehen, die Bildbeschriftung lautet »Anif (Kirche)«.
  • Auf S. 74 (1.6.1982) zeichnet Handke venetische Schriftzeichen neben die Skizze einer keltischen (?) Maske.
  • Durchgepaust auf S. 75 (am 1.6.1982) ist ein Muster, die Beschriftung ist vermutlich »Das Relief des Hasen in der Wand des Pfarrhofs« (St. Peter a. Wallersberg[??]).
  • Zeichnung eines Blattes auf S. 101 (24.6.1982).
  • Palmzweige, über den Text gezeichnet (15.7.1982, S. 119).
  • Durchgepauste Inschrift (23.7.1982, S. 130-131).
  • Durchgepauste Zeichnung mit Beschriftung »Auge des Vogels am romanischen Grabstein und die Kralle« (S. 153).