Spezielle Anwendungsmerkmale

Bibliothek

Kallías beruht auf aDIS/BMS, dem Bibliotheks-Management-System der Firma aStec, das unter anderem in der Bibliothek des Deutschen Bundestages, im Verbund
der öffentlichen Bibliotheken Berlins, verschiedenen Bundesministerien, der Bundeswehr sowie dem Germanischen Nationalmuseum
eingesetzt wird. Aus dem umfassenden Funktionsumfang für die Bibliothek seien hier nur einige Besonderheiten herausgegriffen:
Die umfangreichen Thesaurusstrukturen von aDIS/BMS werden in der Bibliothek nur insoweit genutzt, als dort (an RSWK orientierte und gegebenenfalls aus dem SWB übernommene) Einzelbegriffe abgelegt werden. Diese Einzelbegriffe (Sachschlagwörter) können mit einer Basissystematik, Elementen
aus den Personen- oder Körperschaften-Normdateien, Werktiteln sowie einem Form- und Autorenschema zu sogenannten »Systematikketten«
verbunden werden, die im OPAC neben der Suche nach Einzelelementen auch die hierarchische, systematische Präsentation des Bestandes ermöglichen. Die feine
Struktur des bestehenden Systematischen Katalogs wird damit in Kallías weitergeführt, wenn auch die Arbeiten zur EDV-gerechten
Reform der Systematik noch andauern.
Ein weiteres Merkmal des alten Systematischen Katalogs, die unmittelbare Nachbarschaft von Rezensionen und dem rezensierten
Werk, wird in Kallías durch direkte Datensatz-Kopplungen abgebildet, die für die Suche und die Navigation zur Verfügung stehen.
Bild- und Handschriftenabteilung betreiben keine so ausgebaute Sacherschließung wie die Bibliothek, greifen aber natürlich
ebenfalls auf den Thesaurusbestand zu.
Allgemeine Sacherschließung, Normdateien

Bei der Sacherschließung steht man grundsätzlich vor dem Problem, Werke als »Objekte der Kunst«[1] unabhängig von konkreten Ausgaben, [2/ S. 174:] Aufführungen usw. korrekt zu bezeichnen (man denke an Kafkas Roman »Amerika« / »Der Verschollene«). In Kallías wurden deshalb
sogenannte »Werktitel« definiert, die wegen ihrer Strukturähnlichkeit auch im Datenbestand der Bibliothek geführt werden und
sogar rationell aus konkreten Titeln abgeleitet werden können. Die Werktitel stehen allen Abteilungen als generelle »Werkschlagwörter«
(nicht nur für literarische Werke) zur Verfügung und bieten gegenüber der reinen Schlagwortlösung den vollen Komfort von Titel-Verweisungen,
Normdatenverknüpfungen usw.
Auch bei der Sacherschließung in bezug auf Personen oder Körperschaften geht Kallías einen besonderen Weg. Die übergreifende
NND etwa wird in allen Abteilungen nicht nur für die Formal-, sondern auch für die Sacherschließung genutzt, da verschiedene
Datenpools für diese Zwecke, womöglich nach unterschiedlichen Regelwerken gepflegt, Benutzern nicht einleuchten können. Jeder
Name kann prinzipiell in den grundsätzlichen Beziehungen »von« (Verfasserschaft im weitesten Sinn), »an« (Adressat oder Widmungsempfänger),
»über« (abgebildete oder behandelte Person im weitesten Sinn) oder »unter« (Bestandsbildner oder Vorbesitzer) mit Objekten
verknüpft sein. (Abb. 5) Damit kommt das ausgefeilte Verweisungssystem der NND, das selbst historisch bedingte Unterschiede zwischen den Abteilungen mit der maßgeblichen Form nach RAK-WB / der PND zusammenführt, auch bei der sachlichen Suche zum Tragen und garantiert ein einheitliches Antwortverhalten in allen Abteilungen.
 Abb. 4. [2/ S. 169] Abbildung in eigenem Fenster öffnen [107,3KB]
Seit Juli 1997 wird die »Signierdatei« der Bibliothek, das Verzeichnis der literarischen Autorinnen und Autoren, produktiv
in Kallías geführt und bildet mit ihren rund 42.000 Namen den Grundstock der NND. Es ist klar, daß die volle Breite des Datenformats vor allem für literarische Autoren genutzt wird; eine nicht-individualisierte
Minimalangabe ist ebenfalls möglich. NND und KND können interaktiv am SWB (und damit indirekt an PND und GKD) abgeglichen werden; als Merkmal für den erfolgreichen Abgleich wird die Identnummer des Verbunds lokal gespeichert.
Erwerbung

Die Erwerbungsvorgänge, insbesondere in der Handschriftenabteilung, unterscheiden sich von der exemplarbezogenen Bibliothekserwerbung,
so daß hier ein neues übergreifendes Modul, die sogenannte »Bestandserwerbung« (oder »Zentrale Erwerbung«) geschaffen werden
mußte (das freilich auch von der Bibliothek benutzt wird, wenn z. B. geschlossene Bibliotheken erworben werden, die auch als
solche [2/ S. 175:] zu beschreiben sind). Ausgehend von Erwerbungssätzen können Bestände, einzelne Handschriften oder Bildobjekte angelegt werden,
wobei über die hausweit eindeutige Erwerbungsnummer der Zusammenhang erhalten bleibt. (Abb. 4) In der Bibliothek wird dieser Zusammenhang erst später, bei der Akzession der einzelnen Exemplare, hergestellt.
 Abb. 5. [2/ S. 169] Abbildung in eigenem Fenster öffnen [101,8KB]
Es ist ein Grundsatz des DLA, Bestände (Nachlässe, Verlagsarchive usw.) systematisch zu ordnen und – wo dies sinnvoll ist – nachträglich anzureichern,
so nicht immer eine 1:1-Beziehung zwischen Erwerbungen und Beständen besteht. Kallías stellt auch diese Beziehungen durch
Kopplungen dar und vermag (in der Dienstrecherche) so die ursprüngliche Erwerbungsgeschichte eines Bestandes zu rekonstruieren.
Bibliotheks- und Bestandserwerbung arbeiten Hand in Hand mit einem Haushaltsmodul, das die verfügbaren Mittel verwaltet und
die bisherigen Haushaltsüberwachungslisten ersetzt (mehrjährige Mittelfestlegungen sind allerdings nur in der neu entwickelten
Bestandserwerbung möglich). Der ursprünglich vorgesehene Datenaustausch mit der vorhandenen Mittelbewirtschaftungssoftware
»Profiskal« wurde durch eine pragmatische Lösung ersetzt, da der zu erwartende Nutzen in keinem Verhältnis zum Entwicklungs-
und Buchungsaufwand steht.
Bestände

Die sogenannte »Bestandsführung« verwaltet und beschreibt Nachlässe, Sammlungen, Archive sowie alle Arten von Unterbeständen
auf einem objektübergreifenden Niveau (hier sind z. B. Inhaltsangaben usw. möglich). Die zentralen Kopplungen sind hier die
persönlichen oder körperschaftlichen »Bestandsbildner« einerseits, sowie die verknüpften Unterbestände und Handschriften andererseits,
die gemeinsam die komplexen Hierarchien in den Magazinen abbilden. Es war eine besondere Schwierigkeit für die Programmentwicklung,
die systematische, aber nicht EDV-gerechte Ablagereihenfolge der Handschriften durch eine korrekte Sortierung im System abzubilden,
was für Inventarlisten, Mappenbeschriftung, automatische Zugangsnummernvergabe usw. unumgänglich ist. Hier hat das DLA einige Zugeständnisse an die Technik machen müssen, obwohl die physische Ablage von Millionen von Stücken natürlich grundsätzlich
die Rahmenbedingungen für Kallías setzt.
Während es sich als relativ einfach erwiesen hat, den Datenbestand des neuen »Roten Buches«[2] in Bestandssätze zu importieren und damit in Kallías suchbar zu machen, ist die künftige Form eines textuellen [2/ S. 176:] Bestandsverzeichnisses noch eine offene Frage, da eine Datenbank nur einen eher tabellarischen Report liefern kann.
Handschriften

In der Handschriften-Anwendung, die für literarische Archive wohl von besonderem Interesse ist, sind für die Aufnahme von
Datensätzen grundsätzlich vier Arten von Dokumenten vorgesehen: Manuskripte, Dokumente, Briefe und Briefwechsel.
- Da die Anwendung für Handschriften die Ablageordnung im Magazin widerspiegeln soll, werden in Abhängigkeit zu der Person oder
Körperschaft, die für einen Bestand bestimmend ist, weitere Unterteilungen vorgenommen. Daraus ergeben sich neun Dokumenttypen
oder Ordnungsgattungen:
- 1. Manuskripte [von Bestandsbildner]
- 2. Manuskripte anderer
- 3. Dokumente [zu Bestandsbildner]
- 4. Dokumente zu anderen
- 5. Briefe von [Bestandsbildner]
- 6. Briefe an [Bestandsbildner]
- 7. Briefe anderer
- 8. Briefwechsel [Bestandsbildner]
- 9. Briefwechsel [ohne Bestandsbildner]
Der so bestimmte Dokumenttyp steuert bei der Erfassung die umfangreichen automatischen Vorbelegungen. Die Tiefe der Katalogisierung
wird vom System nicht vorgegeben; voreingestellt ist die »Kurzaufnahme«, die für alle Dokumenttypen die wichtigsten Eingabekategorien
auf einer Maske konzentriert (Abb. 2 zeigt einen solchen vereinfachten Pflegedialog). Eine verfeinerte Erschließung (mit insgesamt fünf Erfassungsbildschirmen)
ist jederzeit möglich; unabhängig von der Eingabemethode werden alle belegten Felder für die Recherche im Zusammenhang präsentiert.
(Abb. 3).
Es können hierarchische Kopplungen innerhalb des Handschriften-Datenbereichs in beliebiger Tiefe angelegt werden, etwa um
die Beziehungen zwischen einer Widmung und einem Manuskript oder Konvolutstrukturen auszudrücken. Zugleich sind Kopplungen
zum Datenbestand der Bildabteilung und der Bibliothek möglich, um doppelt katalogisierte Stücke (etwa ein Buch mit umfangreichen
handschriftlichen Eintragungen) im OPAC abteilungsübergreifend nachweisen zu können. [2/ S. 177:] 
Bildabteilung

Die Bildabteilung nutzt alle beschriebenen Kallías-Strukturen in ähnlicher Weise, wobei das Erfassungsformat und die Gestaltung
der Anwendung natürlich auf die Besonderheiten der bildlichen und gegenständlichen Objekte abgestimmt sind. Hervorzuheben
ist jedoch, daß zu jedem Katalogisat regelmäßig eine grafische Abbildung[3] mittlerer Qualität gescannt und in Kallías aufgenommen wird, was die bisherigen Kontaktabzüge auf den traditionellen Katalogkarten
ersetzt.
Restaurierung
Kallías verfügt über ein eigenes Modul für die Restaurierwerkstatt des Hauses, in dem Maßnahmen der (Papier-)Restaurierung
in Form von eigenen, gekoppelten oder ungekoppelten Datensätzen beschrieben werden können. Diese Restaurierungsberichte können
um formularbasierte, grafische Skizzen ergänzt werden, die das Schadensbild (Risse, Flecken usw.) oft ohne viele Worte treffend
verdeutlichen. Alle Katalogisierer haben die Möglichkeit, zu jedem Stück, zu jedem Bestand und sogar zu jeder (Bestands-)Erwerbung
einen rudimentären Restaurierungssatz anzulegen, der dann als Bedarfsmeldung mit einer bestimmten Priorität zu verstehen ist
und in der konkreten Maßnahme zu einem Restaurierungsbericht ausgebaut wird.
Benutzung
Die Benutzung der Bestände ist in Marbach nur vor Ort möglich, so daß die Ausleihe zunächst ohne echte Verbuchung entworfen
wurde. Es werden mit Kallías lediglich Leihscheine in konventionellem Format gedruckt, die angesichts der noch überwiegenden
Menge konventionell nachgewiesenen Materials vorläufig in einer gemeinsamen konventionellen Kartei verwaltet werden. Lediglich
externe oder dauerhafte Ausleihen[4] (etwa für Ausstellungen) werden mit einer echten Verbuchung durchgeführt, so daß die ausgeliehenen Objekte nicht bestellt
werden können.
Häufig sind Bestände oder Handschriften bis zu einem bestimmten Datum für die Benutzung gesperrt, Benutzungsbeschränkungen
können deshalb auf allen Hierarchie-Ebenen vermerkt werden. Das Ausleihmodul ermittelt beim Bestellversuch eines einzelnen
Objektes eine gegebenenfalls vorhandene Beschränkung auf einer höheren Ebene (etwa eines Bestandes), so daß diese Information
global gepflegt werden kann und nur im abweichenden Einzelfall beim Stück eingetragen werden muß. [2/ S. 178:] 
Verbundeinbindung und Datenaustausch

Beauftragt wurde für Kallías primär die Einbindung des SWB als Fremddatenquelle und regionale Katalogisierungsdatenbank für Monographien, wobei als Grundlage nur die ANSI-Terminal-Schnittstelle zur Verfügung stand (die Schnittstellenbeschreibung, um Lokalsysteme an das Nachfolgesystem des Verbunds
anzubinden, liegt selbst heute noch nicht vor). Es dürfte als EDV-technische Meisterleistung gelten, wenn Kallías in dem Terminal-Datenstrom
Verarbeitungssituationen erkennt, die in typische Kallías-Bildschirme umgesetzt werden, ohne die Katalogisierer mit der Oberfläche
des Verbundrechners zu konfrontieren.[5] Auf diese Weise wird der SWB als integrierte Erweiterung des lokalen Systems erfahren, die Fremdleistungen nutzbar macht und Verbundkatalogisierung ohne
zu großen Mehraufwand ermöglicht.
Neben dem proprietären SWB-Protokoll wird ebenfalls Z39.50 unterstützt, so daß auch prinzipiell die Deutsche Bibliothek und andere Datenbanken als Fremddatenquelle
ausgewählt werden können. Die Verarbeitungslogik der Verbundeinbindung ist so weit wie möglich allgemein gehalten, so daß
Kallías neue Schnittstellen künftig ohne zu großen Anpassungsaufwand bedienen kann.
Die Form der Anbindung an die Zentralkartei für Autographen ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch offen, da die Systementscheidung
in Berlin noch nicht getroffen ist. Wir sind jedoch zuversichtlich, daß Kallías durch die Orientierung an den RNA und seine offenen Schnittstellen mit diesem und anderen Partnern kooperieren kann. Da aDIS/BMS auch als Z39.50-Target (Server) operieren kann, ist auch eine Teilnahme an einem derartigen europäischen Handschriften-Verbund
denkbar, wenn im Rahmen von MALVINE die entsprechenden Formate entwickelt werden."
Vorläufiges Fazit

Kallías stellt sich nach einer langen Entwicklung nun den Anforderungen der Praxis. Die Reaktionen der Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter, die nicht an der Entwicklung der Prototypen beteiligt waren und das unerwartet rasche Anwachsen der verzeichneten
Stücke lassen uns hoffen, daß die anspruchsvollen Entwicklungsziele erreicht wurden. Das entscheidende Wort müssen aber die
Benutzerinnen und Benutzer des Archivs sprechen, für die letztlich das gesamte Projekt gemacht ist. Wenn der OPAC freigegeben ist und die unvermeidlichen Anlaufschwierigkeiten überwunden sind, kann ein fundierteres Fazit [2/ S. 179:] gezogen werden. Vorläufig sei jeder, dessen Interesse nun geweckt ist, herzlich eingeladen, sich in Marbach ein eigenes Bild
zu machen.
|