ISSN: 1680-8975 PURL: http://purl.org/sichtungen/ |
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Elisabeth Reichart / Andreas Brandtner / Max Kaiser / Volker Kaukoreit: Fragen an Elisabeth Reichart, Schriftstellerin in Wien (27. 12. 2001). In: Sichtungen online, PURL: http://purl.org/sichtungen/reichart-e-1a.html ([aktuelles Datum]). - Auch in: Sichtungen 3 (2000), S. 108-110. |
Elisabeth Reichart Adressinformation zuletzt aktualisiert: 2000 Andreas Brandtner Wiener Stadt- und Landesbibliothek Handschriftensammlung Rathaus, A-1082 Wien Adressinformation zuletzt aktualisiert: 2000 Max Kaiser Österreichische Nationalbibliothek Österreichisches Literaturarchiv Josefsplatz 1, A-1015 Wien Adressinformation zuletzt aktualisiert: 2000 Volker Kaukoreit Österreichische Nationalbibliothek Österreichisches Literaturarchiv Josefsplatz 1, A-1015 Wien Adressinformation zuletzt aktualisiert: 2000 |
Fragen an Elisabeth Reichart, Schriftstellerin in WienElisabeth Reichart / Andreas Brandtner / Max Kaiser / Volker Kaukoreit |
[3/ S. 108:] Haben Sie bei Ihrer bisherigen literarischen Produktion auf Literaturarchive oder ähnliche Institutionen, wie z. B. die Dokumentationsstelle für neuere österreichische Literatur am Literaturhaus Wien, zurückgegriffen? Am wichtigsten für meine bisherige Arbeit waren Archive (z. B. Landesarchive oder das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes in Wien) und Bibliotheken (vor allem die ÖNB mit ihren alten Buchbeständen) sowie damals noch private Materialsammlungen (etwa die Peter Kammerstätters, Linz), die inzwischen hoffentlich in einem Archiv oder einer Bibliothek zu finden sind. Für kleinere Arbeiten war in der Tat die Dokumentationsstelle für neuere österreichische Literatur hilfreich, besonders deren Zeitungsausschnitt-Sammlung. Könnten Sie uns konkrete Beispiele für Ihre Benutzungen geben? Was haben Sie recherchiert, und wie ist das Ergebnis dieser Recherchen in Ihre literarische Produktion eingegangen? Ja, alle Recherchen waren für bestimmte Texte. Peter Kammerstätter war so liebenswürdig, mir seine Materialsammlung zu borgen, zumal ich als Studentin nicht genügend Geld gehabt hätte, um mir die hunderten von Seiten zu kopieren. Es handelte sich dabei um Interviews mit Menschen, die in der Umgebung von Mauthausen lebten. Diese Gespräche waren ein wichtiges Arbeitsmaterial für die Gestaltung meiner Figuren in meinem ersten Roman »Februarschatten«. Ein anderes Beispiel: In meinem Monolog »Sakkorausch« ist die Heldin die österreichische Philosophin und Schriftstellerin Helene von Druskowitz, die von 1856 bis 1918 lebte und von deren Werken heute nur noch ein einziges über den Buchhandel erhältlich ist: »Der Mann als logische und sittliche Unmöglichkeit und als Fluch der Welt. Pessi- [3/ S. 109:] mistische Kardinalsätze.« Für meine Arbeit wollte ich jedoch mehr von ihr lesen, was dank der ÖNB und der Wiener Stadt- und Landesbibliothek möglich war. Bei dem oben zitierten Buch handelt es sich um ein Spätwerk, das die Autorin nach jahrelangem Aufenthalt in der Psychiatrie, wohin sie zwangseingewiesen worden war und es auch bis zu ihrem Tod blieb, geschrieben hatte. Erst durch den Vergleich mit ihren früheren Arbeiten war es mir möglich, ihr verändertes Denken (etwa von einer Optimistin zur Pessimistin, was die Menschheit, vor allem die Männer angeht) zu beobachten und literarisch darzustellen. Das heißt also, daß Sie auf Literaturarchive im engeren Sinn bisher noch nicht zurückgegriffen haben. Wie schätzen Sie die Arbeit von Literaturarchiven ein? Welche Literaturarchive kennen Sie, und wäre es für Sie von Bedeutung, Ihre eigenen Materialien später einmal in einem Literaturarchiv zu wissen? Literaturarchive geraten sozusagen ins Gespräch - das Deutsche Literaturarchiv in Marbach, während des Studiums wurde es erwähnt, und so verankert sich ein Name. Ähnlich ist es mit neueren Literaturarchiven, wie dem an der ÖNB. In den Medien wurde darüber berichtet. Wendelin Schmidt-Dengler erzählte mir davon, fragte an, ob ich nicht ... und eine Institution verankert sich im Gedächtnis. Ebenso das Stifter-Institut in Linz, das Nabl-Institut in Graz, das Musil-Institut in Klagenfurt: Kontakte, Einladungen, Publikationen. Am wichtigsten sind wohl nicht nur qualifizierte Mitarbeiter, sondern Menschen, die die Literatur lieben und die Schriftstellerinnen und Schriftsteller achten. Unter diesen Voraussetzungen können Literaturarchive einen wertvollen Beitrag für die Literatur leisten. Wenn ich mir vorstelle, ich würde gerne über X. Y. arbeiten und fände ihre bzw. seine Werke gesammelt in einem Archiv - das wäre eine große Hilfe für mich. Und so geht es sicherlich allen, die sich wissenschaftlich oder literarisch mit einem Gesamtwerk oder Vorstufen zu einem Werk usw. befassen wollen. Für meine eigenen Arbeiten kann ich mir eigentlich keinen anderen Platz vorstellen. Wäre es somit für Sie denkbar, bereits jetzt Teile Ihrer Materialien, d. h. einen sogenannten Teilvorlaß, in ein Literaturarchiv zu geben, darunter auch schon Zeugen Ihrer literarischen Korrespondenzen? Wenn ja, welche Bedingungen würden Sie daran knüpfen? Das könnte etwa die Sperrung bestimmter Bereiche, z. B. der Briefe, betreffen, oder Auflagen dem Archiv gegenüber, z. B. die Verpflichtung der wissenschaftlichen Erschließung in einem festgesetzten Zeitraum. [3/ S. 110:] Teilvorlässe halte ich für problematisch, wenn nicht das Interesse am gesamten Vorlaß von seiten eines Literaturarchivs vorliegt. Ich möchte mein Werk nicht verstreut wissen. Ein Literaturarchiv sollte am Gesamtwerk Interesse zeigen, alles andere ist absurd. Sie fragen nach Bedingungen. Ich muß das ganz anders sehen: Welche Möglichkeiten es gibt, Teile des Werks zu schützen, zu sperren usw., darüber sollte ein Literaturarchiv die Autorinnen und Autoren informieren. Seitdem das Testament von Thomas Bernhard umgangen wird, Skizzen oder erste Ideen für Gedichte von Ingeborg Bachmann von den Erben als Gedichte veröffentlicht wurden, sehe ich es vielmehr als die Aufgabe von Literaturarchiven an, diese Art von Informationen an die Schriftstellerinnen und Schriftsteller weiterzugeben, sofern sie nicht nur an Vor- oder Nachlässen interessiert sind, sondern auch an denen, die all die Werke erst einmal schaffen müssen, damit es Literaturarchive geben kann. Ihr Wunsch nach einem intensiven und offenen Kontakt zwischen Literaturarchiven und Schriftstellerinnen und Schriftstellern entspricht ganz unserem Interesse. Für die Archive ergibt sich jedoch die Schwierigkeit, daß sie ihre Kontakte nur sehr gezielt aufnehmen können, da sie an ihre Sammelrichtlinien gebunden sind und die Erwerbungspolitik anderer Einrichtungen berücksichtigen müssen. Darüber hinaus verstehen sich schon viele Literaturarchive so, daß sie nicht mehr nur die literarischen Materialien aufarbeiten und der Forschung zugänglich machen wollen, sondern versuchen, für ihre Sammelbestände und die betroffenen Schriftstellerinnen und Schriftsteller durch Ausstellungen, Publikationen, Veranstaltungen usw. eine breite Öffentlichkeit herzustellen. Sehen Sie Möglichkeiten, diese Aktivitäten im Sinn der Autoren zu erweitern und zu verbessern? Was mich in Japan sehr beeindruckte, waren die Museen für Schriftsteller, die es in zahlreichen Orten gibt und zum Teil von der Wirtschaft finanziert wurden und werden. Dergleichen fehlt in Österreich. Dafür wären Fotosammlungen, Videos, Stimmen notwendig. Ich weiß nicht, ob das von Ihnen bereits gesammelt wird, und mir ist bewußt, daß ein österreichisches Literaturmuseum ein langfristiges Projekt ist, aber in Zusammenarbeit mit den lebenden Autorinnen und Autoren ein sinnvolles Projekt. |
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