Zu Der Chinese des Schmerzes enthält dieses Notizbuch die Entwicklung wesentlicher Motive, die bereits am Beginn deutlich wird. Am Vorsatzblatt (S. I) ist erstmals das Projekt »Losers Geschichte« erwähnt, er nennt seinen Protagonisten ab sofort beim Namen: »Loser«. Das Symbol »⊗«, das Handke zur Kennzeichnung von Notizstellen zu Der Chinese des Schmerzes verwendet, wird neben diesem Projekttitel eingeführt (es wird von Handke aber auch nachträglich bei älteren Einträge im Notizbuch ÖLA SPH/LW/W99 eingesetzt, weshalb die Datierung des Symbols schwierig ist). Alternativ sind Notizstellen zu Der Chinese des Schmerzes auch mit »L.’s G.« oder »L.’s Geschichte« bezeichnet. Zu Beginn dieses Notizbuchs nennt Handke am 24. April 1982 – angelehnt an seine Simenon-Lektüre – seinen künftigen Protagonisten in Der Chinese des Schmerzes: »mein Mörder (Salzburg-Geschichte)«. Am 28. April 1982 notiert Handke: »[Aber wie nähere ich mich L.’s Geschichte? Ich erwarte täglich ein bißchen von ihr] (nur nicht recherchieren)«.
Das für Der Chinese des Schmerzes bedeutende Schwellenmotiv durchzieht das gesamte Notizbuch. Notizen, die Handke auf Der Chinese des Schmerzes bezieht, treten verdichtet in jenen Zeiträumen auf, in denen Handke sich seinen Aufzeichnungen zufolge in Salzburg befindet. Dies ist von 24. bis 30. April, sowie ab der Rückkehr von der Karstreise am 8. Mai 1982 der Fall. Die Einträge zu Der Chinese des Schmerzes nehmen ab dem 12. Mai 1982 merklich zu, vor allem explizite Notizen zur Gesamtkonzeption des Textes. Am 12. Mai 1982 notiert Handke mehrere Grundüberlegungen zu Der Chinese des Schmerzes, etwa: »Wieder einmal wurde es Abend, und L.... (so ungefähr muß L.’s Geschichte gehen)«, »Grundton von L.’s G.: Bitterkeit, Trauer, Schärfe«, »L.’s Geschichte soll so lange dauern, wie vielleicht die Dreharbeiten zu einem Film dauern (Ende – April – Mitte Juni; dann hat er seine Geschichte)«, »L. hat immer ein Exemplar der Georgica bei sich, in das er sich was auch immer hineinschmiert«, »Jeder Zeitsprung gekennzeichnet durch einen Sprung in der Pflanzen- und Tierwelt (so fängt es an: die Kastanien, die Schwalben, die Krähen etc.), so lakonisch, monumental und leicht wie möglich«. Am 15. Mai 1982: »Alte Zeitformen müssen in L.’s Geschichte vorkommen, deutlich; auch die Vorvergangenheit, und die Vorzukunft!!«, »der Hauptstrang ist freilich die Mitvergangenheit«. Am 3. Juli 1982: »L.’s Geschichte muß zornig, bitter zornig, wild zornig enden, nach einer großen Begütigung freilich: „Aber ich muß zum Zorn zurückkommen“ (andere Rede über Ö.); und wer hält die Rede? [...]«. Und am 3. August 1982: »Ein Autobus fuhr vorbei, in dem einige Kaugummiblasen platzten ⊗; (so L.'s Geschichte erzählen)«. Handkes Reise mit einem längeren Aufenthalt auf Sardinien ist im Notizbuch von 10. Juli bis 8. August 1982 dokumentiert und bedeutend für das letzte Kapitel in Der Chinese des Schmerzes. (ck)
Die Wiederholung; (und immer noch: Die Geschichte des Bleistifts); und: Phantasien der Wiederholung (so heißt des Journal ab 1981); Losers Geschichte
Salzburg; Sassari → Santa Terésa; Porto Conte
Das Notizbuch beginnt mit Aufzeichnungen, die Peter Handke ab 24. April in Salzburg und Umgebung anfertigt: Gnigl (26.4.1982), Mbg., Tag (29.4.1982); Handkes Parisreise von Februar 1982 wird rückblickend erwähnt: Fontaine Sainte-Marie (1.5.1982); In weiterer Folge werden genannt: → Klagenfurt; Villach → Velden; → Gr. (jeweils 2.5.1982); Görz (3.5.1982); Solkan (4.5.1982); → Štanjel (4.5.1982); → Hruševica (4.5.1982); Pliskovica (4.5.1982); Sempeter (4.5.1982); N.[ova] G.[orica] (5.5.1982); »Die winzigen Gärten von Vipava« (5.5.1982); Vrhpolje (5.5.1982); Vipava → Rožna Dolina (6.5.1982); Bahnhof Görz (6.5.1982); »nach Cormons« (6.5.1982); Tricesimo (6.5.1982); »von Tricesimo nach Gemona« (7.5.1982); »Gestern in Udine« (7.5.1982); Chiusaforte (7.5.1982); Dogna (7.5.1982); Villach (7.5.1982); »im Café an der Alm = Albina« (8.5.1982); Mülln (18.5.1982); Zürich (28.5.1982); Offenburg (29.5.1982); Anif (30.5.1982); St. Peter a. Wallersberg (31.5.1982); →Sbg. (2.6.1982); Innsbruck (22.6.1982); Mantua (23.6.1982); Brescia (24.6.1982); Bergamo (24.6.1982); → Lecco (24.6.1982); Colico am Comer See (24.6.1982); Piadena (24.6.1982); → Sils (24.6.1982); Nendeln/Liechtenstein (27.6.1982); St. Anton a. Arlberg (27.6.1982); → Pietole (28.6.1982); Rom (Flughafen) (10.7.1982); »am Swimmingpool, Corte Rosada, Porto Conte« (10.7.1982); Alghero (11.7.1982); Capo Caccia (16.7.1982); Sassari (20.7.1982); Fertilia (20.7.1982); Villanova (21.7.1982); Lago di Baratz (27.7.1982); Porto Torres (28.7.1982); Fertilia → Alghero (30.7.1982); Olmedo (31.7.1982); Bozen (1.8.1982); »St. Veit an der Glan, Naziland« (1.8.1982); → Udine (2.8.1982); → Gor. (2.8.1982); Triest (3.8.1982); → Kosov. (3.8.1982); Pliskovica (3.8.1982); Kobjeglava → Kosovelje (3.8.1982); → Triest (4.8.1982); → Gemona (5.8.1982); »zurück im Heimatland [Wörthersee]« (5.8.1982); Velden (5.8.1982); »Viktring, Mittag« (6.8.1982); »Salzburger Hbhf....« (8.8.1982)
1 dunkelbraunes Notizbuch mit lederartigem Einband, 160 Seiten, I-III, pag. 1-160, I*-III*; von Handke auf Buchrücken geklebter Papierstreifen mit hs. Datierung: »April 82 – Aug 82«
1 Foto (Polaroid Via Mario Borza Franco Taroni, Milano, 8.7.1982), mehrere getrocknete Pflanzen
Die S. I-II des vorderen Vorsatzes enthalten drei ausgewiesene Lektürezitate:
Drei Notizeinträge (vermutlich zu Lektüren) auf dem Vorsatz (S. II) hat Handke entweder nachträglich eingefügt oder während des Notierens gesondert am Vorsatzblatt eingetragen bzw. hervorgehoben: »Glyzinien [/] Glyzinien in der Landschaft [/] Ein eigenes Hauptwort / ein eigenes Umstandswort / ein eigenes Anrufswort / ein eigenes Zeitwort / möchte ich für euch bilden: / Glyzinien, Lippenblütentraubenkelterbottichgefügtheiten / sanftblau= greiffrisch / o meine Gerechtigkeiten! / Flugherzt mich«. Dieses Gedicht notiert Handke in drei weiteren Varianten auf S. II* des hinteren Vorsatzes, wobei zwei Varianten zur Gänze gestrichen sind. Die ungestrichene Variante auf S. II* lautet: »Glyzinien in der Land= schaft und um die Häuser / Ein eigenes Hauptwort / ein eigenes Umstandswort / ein eigenes Anrufswort / ein eigenes Zeitwort / möchte ich / gerechtigkeitshalber / für euch bilden: / Glyzinien / Lippenblüten= traubenkelterbottichgefügtheiten / sanftklangreiffrisch / meine Gerechtigkeiten! – / Flugherzt mich!«. Drei weitere Ansätze bzw. Varianten notiert Handke in seinem Eintrag vom 3.5.1982 im Rahmen seiner Karstreise.
Ebenfalls am vorderen Vorsatz (S. II) folgt das Gedicht Sonnenfrau: »Sonnenfrau [/] Warum siehst du mich nicht, [/] daherschlendernd aus der Sonne, [/] und beanspruchst mich, [/] Sonnenfrau? [/] Ich habe gerade Zeit [/] (Gorizia, 3. Mai 1982, Nachmittag)«.
Die dritte Notiz (Vorderer Vorsatz, S. II) lautet: »Der wunderbarste Raum III [/] Der wunderbarste Abstand III [/] Der wunderbarste Zwischenraum IIII [/] Ist der zwischen dem Engel der Verkündigung) [/] Und der jungfräulich gebären-Sollenden: [/] Abstand von der Lilie des Feldes und des Himmels [/] Zur Lilie des sechsten Tages«. – Diese Aufzeichnung wiederholt sich auf Seite 32 des Notizbuchs in der Variante: »Der wunderbarste Raum / der wunderbarste Abstand / der wunderbarste Zwischenraum / ist der zwischen dem Engel der Verkündigung und der [??????] jungfräulich gebären-Sollenden / Abstand zwischen vor der Lilie des Feldes und des Himmels / und zu der Lilie des sechsten Tages (Gorizia, 6.5.1982, 14h)«.
Buch Jesaja [Am unteren Rand von S. I* am hinteren Vorsatz sind drei Zitate bzw. Hinweise aus dem/auf das Buch Jesaja notiert, zu dessen Lektüre Handke ab 11.8.1982 laufend Einträge verfasst: »Wunderbare Ortsangabe bei Jesaja: "Gehe hinaus … an das Ende der Wasserleitung des Oberen Teichs, am Wege beim Acker des Walkmüllers…" [/] Als die Seraphine "Heilig, heilig…" rufen, BEBEN DIE ÜBERSCHWELLEN (des Tempels) [Jes. 6. K.] [/] "glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht" (7,9)«]
Im Inneren des Notizbuches sind zahlreiche weitere Lektürehinweise zu finden, meist in mehrfacher Nennung: