[2/ S. 61:] Im Rahmen meiner Beschäftigung mit Wilhelm Szabo (vgl. z. B. Negative Heimatlyrik? Zur Dichtung von Wilhelm Szabo. In: Modern
Austrian Literature 29 [1996], H. 3/4, S. 187–202) stellte sich heraus, daß in seinem vom ÖLA verwalteten Nachlaß bis auf
eine Rezension jeglicher Hinweis auf ein Jugendwerk des Dichters, die 65 Seiten umfassende Gedichtsammlung »Verklärte Stunden«
fehlt. Das ist umso bemerkenswerter, als das Bändchen tatsächlich Raritätenwert besitzt, im gesamten deutschsprachigen Bereich
– wie Fernleihbestellungen und weitere Recherchen zeigten – einzig in der Deutschen Bücherei Leipzig nachgewiesen und (dementsprechend)
von der Forschung bisher auch so gut wie unbeachtet geblieben ist. Dieser Umstand, sowie das zunehmende Interesse an Szabo
und seinem Umkreis (vgl. z. B. Daniela Strigl: Spurensicherung auf dem »östereichischen NS-Parnaß«. Otto Basil und die Debatte
um Josef Weinheber. In: Otto Basil und die Literatur um 1945. Wien: Zsolnay 1998 [= Profile 2], S. 66–76, bes. S. 71–75),
mögen rechtfertigen, an dieser Stelle einen Blick auf die dichterischen Anfänge Szabos zu werfen, auch wenn gleichzeitig vorausgeschickt
werden muß, daß die frühe Sammlung keine ›große Literatur‹ verkörpert und durchaus nicht mit den Gedichten aus »Das fremde
Dorf« (1933) und »Im Dunkel der Dörfer« (1940) konkurrieren kann, ganz abgesehen von dem unvergleichlichen Band »Das Unbefehligte«
(1947).
Druck und Verlag der »Verklärten Stunden« erfolgte bei der Firma Ferdinand Wurst aus Lilienfeld, einem regional orientierten,
niederösterreichischen Zeitschriften- und Buchverlag, bei dem unter anderem auch Gedichte von Franz Danninger (1908), Ernst
Görlich (1923) und Franz Parzer (1926) erschienen sind. (In Murray G. Halls »Österreichischer Verlagsgeschichte 1918–1938«.
Bde. 1, 2. Wien, Köln, Graz: Böhlau 1985 [= Literatur und Leben NF 28] ist der Verlag nicht nachgewiesen). Als Szabo an diesen
Gedichten schrieb, war er (geb. 1901) knapp zwanzig Jahre alt. Sowohl inhaltlich als auch formal-ästhetisch zeigte er sich
dementsprechend äußerst traditionsgebunden: Obwohl die oben erwähnte, undatierte aber gewiß zeitgenössische Rezension aus
dem »Lilienfelder Bezirksboten« Szabo »ein starkes Talent« bescheinigt, muß man aus heutiger Sicht konstatieren, daß ihm ein
eigenes Ausdrucksvermögen noch fehlte. Stattdessen herrschen romantische Anklänge vor, die auch in vielen Gedichttiteln ihr
Echo finden (so [2/ S. 62:] z. B. in »Die blaue Blume«, S. 3f. ) und – gewissermaßen programmatisch – in dem kurzen Gedicht »Poesie« intoniert werden
(S. 2):
Es schlummern viel Melodien
In jeder Menschenbrust.
Viel stille, zarte Lieder
Von Weh’, von Liebe und Lust.
Und werden niemals gesungen
Und tönen dem Ohre nie.
Doch klingen sie tief im Herzen
Wie reinste Poesie.
Ganz offensichtlich ist die Welt des 20jährigen Dichters – im Gegensatz zu der in den darauffolgenden Jahrzehnten entstandenen
Werken – noch heil; kein einziger Text läßt auch nur ansatzweise ein Gedicht wie das Titelgedicht des nächsten Sammelbandes
aus dem Jahr 1933 (»Das fremde Dorf«, S. 35) erahnen, das den Autor als Fremden, als Eindringling in die rustikale Welt Niederösterreichs
präsentiert. Obwohl Szabo jahrzehntelang unter der dörflichen Welt des Waldviertels gelitten (und später gegen sie rebelliert)
hat, ist hiervon in »Verklärte Stunden« (wiederum ein äußerst programmatischer Titel!) nichts zu merken, von Regionalkunst
(im positiven Sinn) keine Spur. Selbst in Titeln, in denen das Schlüsselwort »dunkel« seiner beiden nächsten Gedichtbände
anklingt (»Im Dunkel« und »Lieder der Dunkelheit«; S. 34f.), spürt man nichts von der späteren Verlorenheit, Isolation, Verlassenheit
(man vgl. etwa die zweite Strophe von »Im Dunkel«):
Nun geh’n wir stumm im Dunkel hin;
Ein Etwas schwingt in unserm Sinn
Und singt von unserm Leide.
Wir geh’n durch Fluren, nachtbereift,
Und wenn dein Arm an meinen streift,
So schauern tief wir beide.
Nun sind derartige jugendliche Erstlingswerke mit ihren ›billigen‹ Endreimen, ihren epigonal-unbeholfenen Bildern und Metaphern
ja durchaus keine literarische Ausnahmeerscheinung (viele große Lyriker haben sich später ihrer jugendlichen Produkte geschämt);
in Szabos Fall scheinen diese Texte aber immerhin Beweis für eine Art von Verdrängungsprozeß eines Dichters zu sein, der bei
Pflegeeltern in einer feindlichen, hinterwäldlerischen Umgebung aufgewachsen war und eine schwere Jugend hinter sich hatte.
Darauf weisen Zeilen wie [2/ S. 63:] die der zweiten Strophe des den Band abschließenden Gedichts »Stilles Glück« hin (S. 65):
Mögen hundert trübe Tage
Schleichen in das Meer der Zeiten,
In dem Lächeln einer Stunde
Sind für tausend Seligkeiten.
Man vergleiche damit – als absoluten Gegenpol – die erste Strophe des Gedichts »Heimat« aus dem Band »Das Unbefehligte« (S.
10), in der – ein Vierteljahrhundert später – mit einer Art Rundumschlag der gleichen Umgebung eine vernichtende Absage erteilt
wird:
Die einer Heimat breit im Schoße sitzen,
sie sinds nicht, die sie lieben allermeist.
Mehr liebt sie mancher, dem sie karg mag nützen,
am tiefsten, wer sie liebt im Geist.
Anläßlich der Feier des 100. Geburtstages von Wilhelm Szabo am 30. August 2001 ist ein kleines Symposium in Weitra im österreichischen
Waldviertel geplant, das den literarischen Weg des Dichters, zu dessen Frühwerk sich im Nachlaß weitere Materialien befinden,
hoffentlich noch genauer wird nachzeichnen können.
Jörg Thunecke
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