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Jammerschade, dass es ihre Repräsentanten nie schafften, die kaiserliche Administration davon zu überzeugen, dass nach Ungarn auch Österreichs Industriegubernien Böhmen und Mähren den politischen Ausgleich dringend brauchen, um bei der gemeinsamen Fahne zu bleiben. Die Europäische Union hätte bereits vor hundert Jahren ihre funktionierende Basis gehabt, man hätte nicht warten müssen, bis Frankreich und Deutschland zwei Weltkriege absolvieren, um sie dann auf den Massengräbern zu gründen. Was die stiefbrüderlichen Zwillinge in diesen hundert Jahren erlebten und erlitten, war zum Teil die blutige Ernte ihrer Zwistigkeiten. Bezeichnend ist, dass die wenigen Lichtstrecken immer mit der mehr oder weniger funktionierenden Demokratie verbunden waren. Die große Wende von 1989 bietet unseren Ländern zum ersten Mal die Chance eines echten und noch dazu gerechten Ausgleichs. Die Voraussetzung dafür: Man muss auf beiden Seiten den Mut finden, nicht das in den Vordergrund zu stellen, was sie trennt, sondern das, was sie verbindet. Man muss also auch alte Ressentiments oder aktuelle Ängste der jeweils anderen Gesellschaft zur Kenntnis nehmen und, wenn es nicht anders geht, lernen, mit ihnen zu leben, statt sich gegenseitig unerfüllbare Auflagen aufzuzwingen. Aus dem bereits erwähnten Blickwinkel, der die beiderseitige Argumentation umfasst und ihre Begründungen in gleichem Masse versteht, kann einer wie ich nur leise verzweifeln, wenn tschechische Politiker vor laufenden Kameras Österreich mit der Inbetriebnahme von TemelÃn angeberisch provozieren, nicht ahnend, dass die entscheidende Mehrheit hierzulande die Atomkraft ablehnt, und wenn gleichzeitig österreichische Politiker zu Grenzblockaden mobilisieren oder sogar mit der Nichtaufnahme Tschechiens in die EU drohen, nicht respektierend, dass die entscheidende Mehrheit dort die Atomkraft haben will - um das heißeste Beispiel zu nennen. Dann muss man dem Himmel danken, wenn sich doch noch in beiden Ländern solche finden, die sich einen "Melker Prozess" einfallen lassen und ihn auch ganz unpopulistisch bei der eigenen Bevölkerung durchzusetzen bereit sind. Zum Glück wird das neue Europa letztendlich nicht von den Politikern reglementiert, sondern von seinen Bürgern gelebt. In unserem Falle sind es Gott sei Dank Fußballvereine, Kaninchenzüchter oder Briefmarkensammler, um einige für unzählige zu nennen, welche die unendliche Geschichte von TemelÃn und Beneš-Dekreten ergänzen und dadurch entschärfen. Dank sei deswegen auch jenen, die ein so hochkarätiges Projekt wie diese Ausstellung über die noch bestehende Schengen-Grenze zu realisieren wussten, das die gemeinsame geistige Entwicklung dokumentiert, von der alle bisherigen Grenzen seit ewig gesprengt wurden, eine Entwicklung, die der Zivilisation so viele hervorragende bi- und multikulturelle Persönlichkeiten bescherte und letztendlich wesentlich dazu beitrug, was wir als die größte Chance Europas seit Menschengedenken betrachten dürfen. Das tagtägliche Gejammer der Medien über die Schlechtigkeiten dieser Entwicklung als auch über den bösen Stand unserer Welt halte ich oft für Gotteslästerung. Nicht umsonst wird Demokratie "das beste von allen schlechten Systemen" genannt. Diese weise Feststellung geht davon aus, dass ein System kaum besser sein kann als die Gesellschaft, die es bildet. Es ist wieder meine Lebenserfahrung, die mich staunen lässt, dass Menschen wie ich und die meisten, die ich kenne, überhaupt imstande waren, sich gerade diese heutige, wenn auch so unvollkommene, aber immerhin bewohnbare Welt zu ertrotzen und errichten. Ich glaube, sie ist bei allen Fehlern viel besser, als sie eigentlich als Summe von uns allen sein sollte... Diese wahre Kathedrale des in Worte verwandelten Geistes behütet unzählige Werke, die bereits vielen Gefahren entkommen sind - der letzte Brand war zweifellos das mildeste. Und sie stellen trotzdem nur einen Bruchteil dessen dar, was in der Mitte Europas je auf Papier festgehalten war, das meiste wurde ein Raub von Gewalten aller Art, zu denen außer Sintflut, Feuersbrünsten und Kriegen auch der natürliche Zerfall gehört. |