Conferencia Internacional Know How 2006 / Von Zapotekinnen und Zapatistinnen - eine Reise in die mexikanische Informationswelt

von Christa Bittermann-Wille

Überarb. Fassung erschienen in: Stichwort-Newsletter 22/2006, S. 4 - 6

Konferenztitel
Weaving the Information Society; a gender and multicultural perspective International Know How Conference, Mexico City, 23. - 25. August 2006, Palacio de Minería

Blütenleiste

Die weltweite frauenspezifische KnowHow-Community hatte das dritte Mal die Möglichkeit, an der Vergrößerung des Informationsnetzes zu "weben". Nach Amsterdam (1998) und Uganda (2002) bot heuer Mexico City seine Gastfreundschaft dafür an. Sicher hatten alle, die wie ich Mexico und seine Hauptstadt nicht kannten, spezielle Bilder im Kopf: MegaCity, Hitze, Luftverschmutzung, Megastaus, Lärm, Schmutz und hohe Kriminalitätsrate. Umso erfreulicher die Realität: angenehme Regenzeit-Temperaturen, jeden Tag ein "reinigendes Gewitter", dadurch auch gute Luft. Der Konferenzort "Palacio de Minería" im historischen Zentrum konnte von den meisten Teilnehmerinnen per pedes erreicht werden und durch die Blockade des so genannten "Planton" von tausenden AnhängerInnen für den nur knapp unterlegenen linken Präsidentschaftskandidaten Andrés Manuel López Obrador (genannt AMLO) wurde der riesige Zócalo und der 8km lange Boulevard Reforma zur Zeltstadt, zum Symbol für friedlichen Widerstand - und somit zur Fußgängerzone. Ein noch nie da gewesenes Ereignis in Mexico Stadt. Mein täglicher Weg zur Konferenz führte mich einige hunderte Meter an diesen mit Parolen wie "voto por voto", "casilla por casilla, "contra il fraud" beschriebenen Zeltplanen vorbei. So war ich jeden Tag am neuesten Stand der mexikanischen Politik.
Die Konferenz wurde von PUEG (Programa universitario de estudios de género) und UNAM (Universidas nacional autónoma de México) mit dem erprobten KnowHow Secretariat des IIAV (Niederlande) äußerst professionell für 500 TeilnehmerInnen aus 60 Ländern geplant und durchgeführt. Mehr als 100 TeilnehmerInnen kamen aus Mexico - auffallend dabei war ein beachtlicher Männeranteil, der sich auch in Referaten zu Wort meldete. SponsorInnen waren u.a. so wichtige Organisationen wie HIVIS, UNIFEM, Canadian International Devlopment Agency, Direccion General de Bibliotecas etc. Konferenzsprachen waren Spanisch und Englisch mit jeweiliger Simultanübersetzung. In speziell zu buchenden Pre-Conference Workshops konnte frau sich in Katalogisierung, Digitalisierung und ICT-Techniken weiterbilden. Ein Angebot, das vor allem Teilnehmerinnen aus Osteuropa und den Entwicklungsländern nutzten. Jeweils drei Keynote-Speeches am Vormittag mit anschließender Diskussion und 22 parallele Round Tables mit zahlreichen Referaten boten an den Nachmittagen ein mehr als umfangreiches Programm und eine ideale Plattform für den Austausch von Wissen und Erfahrung. Als oberste Konferenz-Maxime galt es, den Auftrag der Errichtung (wo nicht vorhanden) oder Stärkung einer Informationsgesellschaft, die Geschlechtergleichheit, multikulturelle Vielfältigkeit der Nationen und Identitäten garantiert und der Verbesserung der Zugangsmöglichkeiten zu Information, voranzutreiben. Informationsrecht soll in den Frauenrechten verankert werden. Eine Forderung, die auch immer wieder (vergeblich) bei den "World Summits on the Information Society" gestellt wird. Durch die Wahl des Tagungsortes Mexiko - als "geographischer Kopf" Lateinamerikas - kam naturgemäß dem Anteil der indigenen Völker - im Informationsprozess eine wichtige Rolle zu. Daher auch der grosse Anteil von InformationsexpertInnen aus den lateinamerikanischen Ländern; Afrika und Asien waren ebenfalls gut vertreten, Nordamerika/Kanada und Europa weniger. Hier tritt ein gewisses Muster der KnowHow-Konferenzen zu Tage: im Vierjahres-Rythmus werden seit 1998 die Kontinente "bespielt": Europa-Afrika-Amerika-Asien (für 2010 ist Seoul geplant). Daher können ganz individuelle Schwerpunkte gesetzt werden. Gleich nach der Eröffnungsfeier und den Eröffnungsreden und der Übergabe der ugandischen Fahne an die mexikanischen Veranstalterinnen folgten die Grundsatzreferate. Die Aktivistin und Ärztin Mirna Cunningham (Nicaragua) und María Isabel Belasteguigoitia (Direktorin von PUEG) sprachen die massiven Benachteiligungen indigener und ruraler Frauen in der heutigen Informationsgesellschaft an. Mirna Cunningham engagiert sich auch immer wieder im Kampf gegen die Gewalt, die indigenen Frauen angetan wird (z.B. bei den zahlreichen ungeklärten Mordfällen und Vergewaltigungen von Frauen in Juarez, Mexico, und Guatemala. M. I. Belasteguigoitia rief wieder die Zapatista-Rebellion in der Provinz Chiapas Mitte der 90er Jahre in Erinnerung, bei der erstmals auch von Frauen das Internet eingesetzt wurde und die internationale Cybercommunity Anteil am Befreiungskampf nehmen konnte. Die Anonymität des Cyberspace bot einen gewissen Schutz vor Repression. Etliche "Frauenseiten" (Creatividad Feminista; ZapWoman) entstanden, es wurden eigene revolutionäre Frauenrechte formuliert, die teilweise auch von prominenten ausländischen Persönlichkeiten unterstützt wurden. Leider konnten sich die Frauen nicht vom schillernden (immer maskierten) Medien-Liebling Subcomandante Marcos (wirklicher Name unbekannt) freispielen. Die Zapatista-Frauen müssten auch im inneren Kampf gegen Sexismus unterstützt werden (von NGO's und akademischen Institutionen) um ihre Forderungen besser vertreten zu können. Die Gender-Gaps (!) der Informationsgesellschaft wurden von Gloria Bonder (Argentinien) und Anita Gurumurthy (Indien) an den folgenden Tagen thematisiert. Es gibt sie noch immer nicht, die Gleichheit im Cyberspace: wer hat die ICT-Instrumente in der Hand? Wer sind die EntscheidungsträgerInnen? Wie viele Frauen sind im Technologie-Bereich in höheren Positionen? (Im lateinamerikanischen Raum gerade mal 9 %). Ihre Plädoyers: eine klare Differenzierung zwischen Informationsgesellschaft und Wissensgesellschaft - und: Zugang - Kultur - Partizipation schaffen!
Eine wichtige Rolle kommt dabei - wie immer - auch den frauenspezifischen Bibliotheken, Dokumentationszentren, Informationseinrichtungen und Netzwerken zu, die den Wissenszugang erleichtern, Barrieren abbauen, gender-spezifische Lücken schließen und spezielle Info-Bedürfnisse indigener und ruraler Bevölkerungsgruppen beachten sollten. Das noch aufzubauende "Lateinamerikanische Informations-Netzwerk" soll nach diesen ethischen Prinzipien funktionieren. Was Netzwerke betrifft, kann der asiatisch/pazifische Raum als großes Vorbild dienen. Wie Michi Mori und Hiroko Hashimoto aus Japan darlegen konnten, haben sich die frauenrelevanten Informationseinrichtungen dort beachtenswert etabliert. Mithilfe des 1977 (!) gegründeten NWEC (National Women's Education Center), WINAP (Women's Information Network for Asia and the Pacific) und APWW(Asia Pacific Women's Watch) wurden von ca. 300 Einrichtungen eigene Collections und Datenbanken aufgebaut, die nicht nur Materialen erschließen, sondern auch Women's Studies-Lehrgänge, Statistiken etc. online stellen. Ganz wichtig: ein Women's Information Thesaurus wurde entwickelt, der auch online zugänglich ist und so globales Suchen ermöglicht. Gender Mainstreaming ist in den Bibliotheken implementiert. Doch auch hier gibt es Schattenseiten: rechtskonservative Politiker versuchten schon öfters feministische Literatur aus den Bibliotheken zu entfernen, wie Hiroko Hashimoto berichtete.
Es war zeitmäßig einfach unmöglich, sich allen interessanten Themenschwerpunkten zu widmen, die da waren:
"Globalization, culture, information and gender", "Media, gender and communication", "The digital gap, gender and development", "Indigenous women and the information society", "Financing and information services", "Violence". Das europäische Netzwerk WINE (Women Information Network Europe) hat sich dieses Mal mit einem kollketiven Beitrag (Developing digital libraries, experiences from the Women's Information Network in Europe) beim Round Table: "Development of policies for libraries" beteiligt. So wie ARIADNE haben auch "The Women's Library", KVINFO, KVINNSAM, IIAV, KILDEN und die "Biblioteca italiana delle Donne" ihre Digitalisierungsprojekte dort vorgestellt: Österreich, Schweden und Italien legen einen Schwerpunkt auf die Digitalisierung von Frauenzeitschriften (ARIADNE im speziellen auf die schwer zugänglichen historischen Frauenzeitschriften bis 1918); Dänemark auf Bildmaterial und die Niederlande auf Plakate zur Frauenbewegung. Geplant ist, diese Partnerinnenschaft zu forcieren, Copyright-Fragen gemeinsam zu klären und eventuell ein gemeinsames Portal zu schaffen. Wie in anderen Beiträgen zu erfahren war, sind Frauenbibliotheken wie "The Women's Library", das IIAV und "The Glasgow Women's Library" gerade dabei, ihre Marketingkonzepte zu überdenken und einen starken Input zu setzen um neue (auch außerakademische) BenutzerInnenkreise anzusprechen, Migrantinnen einzubeziehen - weg vom "Ivory Tower" zu kommen. Eigene Regional Meetings gaben noch einmal die Möglichkeit sich in einer größeren Gruppe auszutauschen und an der Conference Declaration mitzuarbeiten. Entspannung konnte frau bei Kaffee- und Lunchpausen, den Bücherständen und vor allem am Abend beim internationalen feministischen Filmprogramm finden.
Die KnowHow-Konferenz-Deklaration, die 2006 in Mexico City formuliert wurde - am Ort, wo vor 31 Jahren die erste UN-Frauenkonferenz stattfand - fordert u.a. mit Nachdruck, dass die Vereinten Nationen und internationale und regionale Institutionen, Finanzbehörden, Regierungen und zivile Organisationen und Medien alles daran setzen, die geschlechtsspezifischen Benachteiligungen im ICT-Bereich abzubauen und zu gewährleisten, dass Frauen und Mädchen freier Zugang zu Information und Wissen ermöglicht wird, um ihr Leben selbstbestimmt gestalten und ihre Menschenrechte voll ausschöpfen zu können.
Mittlerweile wissen wir schon fast wie frauen- und genderspezifische Information funktionieren könnte. Inspiration, Wissen, soziale Kontakte unserer internationalen KnowHow Community stärken uns in der täglichen Informations- und Dokumentationsarbeit.

Nachzulesen auf:
Konferenz-Deklaration
Konferenz-Website