Wissen wir jetzt nach diesen Tagen in Amsterdam wie Fraueninformation weltweit funktioniert? Haben wir dort Erfahrungen gemacht, die uns in unserem Beruf und am Arbeitsplatz weiterbringen? Haben sich unsere Anforderungen und Wünsche, die naturgemäß an eine solche Weltkonferenz gestellt werden, erfüllt? Ist eine der Peking-Deklarationen von 1995: "Use Women's Information as an Instrument for Policy-Making", die ein Auftrag an die jeweiligen Regierungen war, auch lokale, regionale, nationale und internationale Informationseinrichtungen zu schaffen, einer Realisierung nähergekommen? Werden hunderte neue Frauen-Webseiten, die wir kennenlernten, der Vernetzung dienen, Barrieren abbauen, oder die Unüberschaubarkeit des World Wide Web noch verstärken?
Es war dies die dritte weltweite Frauen-Informations-Konferenz - und es war eine Konferenz der Superlative: Fast 300 Frauen aus 83 Ländern und 7 Kontinenten kamen zusammen. Sie repräsentierten eine globale Gemeinschaft von Spezialistinnen, Bibliothekarinnen, Archivarinnen, Politikerinnen und Aktivistinnen auf dem Gebiete der institutionalisierten und autonomen Einrichtungen unter dem generellen Motto: Fraueninformation. Und es war die erste Konferenz, die massiv unter dem Aspekt der rasanten Technologieentwicklung im Informationsbereich stand. Das erste Mal wurden ganz selbstverständlich - neben den üblichen Publikationsformen - das Internet und eine eigene Mailing-Liste für die Veranstaltungsplanung und Programminformation genutzt. Vorbildliche Veranstalterin und Gastgeberin war das "International Information Centre and Archives of the Women's Movement (IIAV)" in Amsterdam. Die Anfänge dieses Archives gehen bereits ins Jahr 1935 zurück und heute ist es mit seinen 32 Mitarbeiterinnen, seinem eigenen imposanten Haus (einer ehemaligen Kirche), seinen Beständen und seiner Technologieausstattung "der Wunscharbeitsplatz" vieler Archivarinnen, Bibliothekarinnen und Dokumentarinnen.
Seit 1991 die erste Konferenz in Istanbul (die zweite 1994 in Cambridge, Mass.) abgehalten wurde, haben frauenspezifische Informationspezialistinnen (im weitesten Sinne) endlich eine berufliche und fachliche Heimat gefunden. Internationale Bibliotheksorganisationen wie IFLA (International Federation of Library Association) oder ICA (International Council of Archives) und ihre regelmäßigen Konferenzen, negierten "Frauenthemen" bis jetzt oder behandelten sie nur als Randerscheinung. Einige Hoffnungen werden in die "neue Präsidentinnenschaft" der IFLA, die nun ausschließlich aus Frauen besteht (Christine Deschamps und zwei weibliche Vizepräsidentinnen!), gesetzt. Eingeleitet wurde die Know How-Konferenz in Amsterdam von der "Pre-Conference of Indigenous Women". Vier Hauptschienen bestimmten die Tagungsinhalte, die von einem internationalen Programmkomitee festgelegt wurden: Track 1: The Professional Development of Women's Libraries, Archives, Documentation and Information Centres. Track 2: Policy Decisions within the Collections. Track 3: Women's Information as an Instrument for Policy Making. Track 4: Developing the Policy of Women's Information and Positioning Ourselves in the World of Information Services.
In den Keynote Speeches wurden politische, internationale, nationale, regionale und Basis-Einrichtungen repräsentiert und die Grundthemen der Konferenzinhalte, wie Verbreitung von und Zugang zu frauenspezifischen Informationseinrichtungen, thematisiert. Dabei wurden auch ungeschminkt die politischen Kontexte der "nördlichen, südlichen und indigenen Frauen" angesprochen: daß für etliche Frauen in vielen Ländern dieser Welt Frieden keine Selbstverständlichkeit ist, für viele Volksgruppen kein eigener Staat existiert, der Kampf ums Überleben den Alltag bestimmt und daß es auch für manche Frauen keinesfalls eine Selbstverständlichkeit war, zu dieser Konferenz reisen zu können. Das nach wie vor bestehende Faktum "ungleicher, ungerechter Bedingungen" für Frauen wurde uns auch hier wieder ins Gedächtnis gerufen!
Ein Symbol für die weltweite Verbreitung von Fraueninformation ist zweifelsohne das von der Unesco unterstützte Projekt "Mapping the World", in dem alle Einrichtungen (beinahe 2000!) sich selbst darstellen konnten: eine Datenbank ist bereits abrufbar, die Buchveröffentlichung ist mit Anfang 1999 geplant. Mit dem Erschließen neuer frauenspezifischer Einrichtungen quer über den Globus wird "die Landkarte unserer Informationswelt" neu gezeichnet und Frauen dadurch weiteres Territorium erschlossen.
In fast allen Impulsreferaten wurde der Netzwerkgedanke angesprochen. Während der letzten 20 Jahre ist ein globales Netz an frauenspezifischen Informations- und Kommunikationseinrichtungen entstanden, das immer dichter und sichtbarer wird. Ein Entwicklungsprozeß und eine Revolution, die trotz vieler Backlashs nicht mehr rückgängig gemacht werden kann und weitergetragen wird. Der Begriff "Global Women's Movement" - eine "Welt-Frauen-Bewegung" wird vielleicht bald ein geläufiger Terminus und als Deskriptor in allen Frauenthesauri vertreten sein!
Dabei ist, wie Breda Pavlic (Unesco, Unit for Promotion of the Status of Women and Gender Equality) ausführte, nicht nur der unbeschränkte Zugang für Frauen zu Information allgemein besonders wichtig, sondern auch ein Selbstbestimmungsrecht über deren Inhalte und über individuelle Verbreitungsmethoden ("to shape content and to manage information"), die ihnen im täglichen Überlebens- und Arbeitskampf nützlich sind. (Auf diesen Punkt wurde auch in der Schlußdeklaration von den indigenen Frauen besonders hingewiesen). Unsere Medienberichterstattung, ja unsere Kommunikationsgewohnheiten sind zu hinterfragen. Unter Umständen sind auch - für uns - konventionelle oder schon "vergessene" Kommunikationsverbreitungsmethoden, wie zum Beispiel der mündliche Bericht, die Schautafel oder "das Radio" wichtige Informationswerkzeuge. Mit dem Zugang von Frauen zu wichtigen Informationen und zum Kommunikationsprozeß selbst (empower) wird nicht nur einem längst fälligen Gleichheitsgrundsatz entsprochen, sondern damit werden auch Grundlagen und Bedingungen geschaffen, die Frauen befähigen, Entscheidungen zu treffen und mitzubestimmen (inpower), um eine alternative, friedvollere, gerechtere, vielleicht gesündere menschliche Entwicklung zu ermöglichen. Gerade hier entwickelt die Unesco Programme und gibt Initiativen für Änderungen. Barrieren zu neuen Technologien, die durch hohe Kosten, Technophobie, Analphabetismus, Sprachzentrismus noch immer weltweit - bei aller Euphorie über den technologischen Fortschritt - vorherrschen, müssen rasch und radikal abgebaut werden. Die Toronto Platform for Action (Women and the Media, Access to Expression and Decision Making), die der Pekinger Weltkonferenz 1995 voranging, und dort Bestätigung fand, hat die Wichtigkeit von umfassenden "Informationsmitteln" wie Computern, Massenmedien, Bibliotheken, Archiven, Informationszentren, Satelliteneinrichtungen und deren Verbreitung und Zugänglichkeit, betont.
Rosi Braidotti, die feministische Theoretikerin der Universität Utrecht setzte sich sehr kritisch mit dem gegenwärtigen Technologie- und Machbarkeitshochgefühl auseinander: Ein Technologiefortschritt sollte immer konform mit dem sozialen Fortschritt einhergehen, das Schlagwort der Zukunft sollte sein: "soziale Verträglichkeit und Umsetzbarkeit von Technologie". Etwas mehr Bodenhaftung bei Cyber-Höhenflügen könnte vielleicht strukturelle Ungerechtigkeiten, und das Wiedereinführen unbarmherziger Machtstrukturen in post-industriellen, postkolonialen und postsozialistischen Gesellschaften verhindern helfen - ein kritischer Denkanstoß, dem sich Frauen unbedingt stellen sollten.
Innerhalb der Programmschwerpunkte wurden Workshops mit zahlreichen Beiträgen von Spezialistinnen aus der ganzen Welt, aus den verschiedensten autonomen und institutionalisierten Einrichtungen, organisiert. Die Workshop-Koordinatorinnen hatten schon vor der Konferenz engen Kontakt mit ihren Vortragenden und stimmten die einzelnen Papers ab. Das förderte nicht nur neue Kontakte, sondern garantierte auch ein umfassend interessantes und individuelles Programm.
Für unsere Arbeit in der ARIADNE der Österreichischen Nationalbilbiothek war besonders "The Professional Development of Women's Libraries, Archives, Documentation and Information Centres" wichtig, wo Beschlagwortung, Probleme von Datenbanken, die Katalogisierung des Internets etc. vorgetragen und diskutiert wurden. Große Universalbibliotheken, wie die Library of Congress in Washington, haben bei einer Million ‚subject headings' ziemliche Probleme, ihren zweifellos umfangreichen frauenspezifischen Bestand tatsächlich sichtbar zu machen und die frauendiskriminierenden Regeln werden von engagierten Bibliothekarinnen immer wieder angefochten. Daß nur eine von dreihundert Schlagwortbearbeiterinnen für Women's Studies zuständig ist - Sheridan Harvey gibt dort ihr Bestes - ist für eine solche Bibliothek von Weltrang ziemlich deprimierend. Dagegen klang das Projekt der Universitätsbibliothek von Alberta, Canada äußerst fortschrittlich. Dort wurde von Hope Olson ein spezielles Programm entwickelt, das frauenspezifische und feministische Termini einer Dewey-Klassifikationsnummer zuordnet. Eigene Systematik- und Schlagwortsysteme sind allerdings nur in spezialisierten Einrichtungen wie im KVINFO (The Danish Centre for Information on Women and Gender) in Kopenhagen, im Akshara (Women's Library in Bombay) oder eben in der ARIADNE möglich.
ARIADNE war mit einem Beitrag (erarbeitet von Helga Hofmann-Weinberger und Christa Bittermann-Wille) im Workshop Problems and Prospects for New Electronic Resources vertreten: "Searching for the Difference - Women's Studies Databases in the Internet". Die Datenbanken, die wir für unsere Evaluierung auswählten, waren europäische: IIAV aus den Niederlanden; KVINNSAM aus Schweden; GenderInn aus Deutschland und ARIADNE aus Österreich. Anhand eines qualitativen Erhebungsbogens haben wir folgende Fragestellungen abgeklärt: Art der Präsentation; Dokumentenumfang und Themenbereiche; Katalogisierung; Suchmethoden; bibliographische Zitierweise; Servicefunktionen etc. Mit ausgewählten Suchbeispielen wurden praktischer Umgang und Funktionen getestet. In einem Wunschkatalog wurden fünf Forderungen, die für frauenspezifische Datenbanken unserers Erachtens besonders wichtig sind, formuliert: 1) benutzerInnenfreundliche Einleitungsseiten und Hilfsfunktionen (zumindest auch in Englisch) 2) Volltextsuche 3) Integration anderer Serviceleistungen wie z. B. Dokumentenlieferung 4) fortgeschrittene Such- und Sortiertechniken 5) englische Deskriptoren. Diese Forderungen fanden bei den Workshop-Teilnehmerinnen allgemein große Beachtung und Zustimmung. Ein erfreulicher Nebenaspekt: eine überarbeitete Fassung dieses Vortrages wird im Sommer 1999 in der in Fachkreisen anerkannten Zeitschrift: "Feminist Collections : a Quarterly of Women's Studies Resources" in Madison (Wisconsin) erscheinen.
Ein weiteres wichtiges Desideratum in unserem Referat war die Erstellung eines multilingualen frauenspezifischen Thesaurus, in dem die EU - Sprachen vertreten sein sollten. Das im Plenum vorgestellte Projekt des "European Women's Thesaurus", eine englische Schlagwortliste mit kontrolliertem Vokabular, kann nur als vielversprechender Anfang angesehen werden. Ein weiteres Thesaurusprojekt wird für den asiatischen Raum geplant- denn auch dort sind linguistische Barrieren hinderlich im frauenspezifischen Informationsaustausch.
Im Workshop "The Use and Range of Women's Studies Information in the Academic Community" wurde die Interdisziplinarität von Frauenforschungsliteratur und die damit einhergehende Komplexität und Heterogenität der verschiedenen Quellenmaterialien diskutiert. Der bis dato üblichen Unterrepräsentation von Frauenforschungsliteratur in gängigen Indexen, Katalogen und Datenbanken muß entgegengearbeitet werden. Alle TeilnehmerInnen einer frauenspezifischen Informationskette: AutorIn, HerausgeberIn, VerlegerIn, BibliothekarIn und der/die "KonsumentIn" müssen dazu beitragen, daß diese Literatur sichtbar gemacht und späteren Generationen überliefert werden kann. Phyllis Holman Weisbard (University of Wisconsin System Women's Studies Librarian Office) präsentierte eine der gegenwärtigen "Revolutionen" auf dem Gebiet der frauenspezifischen Recherche - zumindest für den anglo-amerikanischen Bereich und für die Zeitschriftenliteratur: vier große kommerzielle Datenbanken: Women's Resources International, Women's Studies on Disc, Contemporary Women's Issues and Women "R", teils auf CD-Rom teils im Internet zugänglich. Eine umfangreiche Evaluation wurde von Ruth Dickstein und anderen Autorinnen unter dem Titel: "From Zero to Four: a Review of Four New Women's Studies CD-Rom Products" durchgeführt, der in der Zeitschrift "Serials Librarian" (1998 Volume 35, Nummbers 1/2) erschienen ist.
Vor allem der Workshop: "Developing the Philosophy of Women's Information" mit Suzanne Hildenbrands Beitrag, lieferte das theoretisch-philosophische Grundgerüst für Fraueninformation in unserer sich rasch wandelnden Informations- und Cybergesellschaft. Eine besondere Herausforderung ist der zukünftige Status von Bibliotheken, die vor allem in Amerika zunehmend vom öffentlich finanzierten in den privaten Sektor "abgeschoben" werden und dann unter Umständen auf dem kommerziellen Markt nicht mehr konkurrenzfähig sind. Welche Strategien und vor allem welche Ethik müssen entwickelt werden, damit der Zugang zur Information ein demokratisches Grundrecht bleibt, damit frauenspezifische Bibliotheksarbeit nicht nur auf Ausbeutung privater Ressourcen basiert und weiter sichergestellt wird?
In der Konferenz-Deklaration wurde festgestellt, daß das globale Fraueninformations-Netzwerk in seinen Grundfesten bereits eine Realität ist, aber in seinen speziellen und zukünftigen Ausformungen weiterer "Bearbeitungen" bedarf. Unsere Resolutionen sollten dazu beitragen, daß der Gender-Aspekt von allen Regierungen auf Grundlage der UNO, NGO und Toronto Plattform, in die Bildungs-, Forschungsprogramme und politischen Maßnahmen einfließt. Information ist Menschrecht und daher auch Frauenrecht. Zu den informationsspezifischen Prioritäten für Frauen gehören neben anderen: der von Frauen selbstgewählte freie Zugang zur Medien- und Informationstechnologie mit eigenen Inhalten und eigenem Vokabular; humanitäre und finanzielle Hilfe für die Einrichtung von Infrastrukturen; Abbau von Informationsbarrieren; regionaler und globaler Austausch von Informationen. Um diese Ziele zu erreichen, wäre es sinnvoll und wünschenswert, eine internationale, autonome (finanziell gesicherte) Institution ins Leben zu rufen, die den bei dieser Konferenz begonnenen Kooperations-Prozeß unterstützt und weiterträgt. Als Heimat dieser Institution würde sich natürlich das IIAV, die vorbildliche Gastgeberin der "Know How Conference" 1998 anbieten. Daß das Funktionieren unseres globalen Netzwerkes bereits wenig später erfolgreich auf die Probe gestellt wurde, zeigten die sofort nach dem schrecklichen Hurrikan ‚Mitch' angelaufenen Hilfs- und Solidaritätsmaßnahmen mit unseren Kolleginnen in Nicaragua und Honduras. Über die Knowhow-Mailingliste konnten gleich konkrete Aktionen in Gang gesetzt werden.
Auch fünf Konferenztage, die ausgefüllt sind mit Referaten, Workshops, Präsentationen, Gesprächen, Essen neigen sich leider einmal dem Ende zu. Ein Segeltörn mit einem historischen Boot und die Aussicht auf weitere Konferenzen dieser Art - im nächsten Jahrtausend vielleicht in der großen, neugebauten National Women's Library in London - machten das Abschiednehmen leichter!
Als Resümee für unsere tägliche frauenspezifische Informationsarbeit an der Österreichischen Nationalbibliothek wäre festzuhalten: War die Teilnahme von ARIADNE an der Konferenz 1994 in Cambridge, Mass., noch geprägt von unserer Aufbauarbeit (seit 1992) und diente daher vor allem unserer "internationalen" Bekanntmachung, so wurden wir 1998 in Amsterdam bereits als etablierte, konkurrenzfähige und vorbildliche Einrichtung angesehen. Die Etablierung einer frauenspezifischen Informations- und Dokumentationseinrichtung, wie ARIADNE, innerhalb einer wahrhaft historischen Institution, wie der Österreichischen Nationalbibliothek, wird nach wie vor als beneidenswertes "österreichisches Wunder" angesehen! Für ARIADNE brachte die Teilnahme an dieser Konferenz vor allem einen größeren Wirkungsbereich für unsere Öffentlichkeitsarbeit, weitere vertiefte Kontakte mit anderen gleichartigen Dokumentationsstellen und die Kenntnis neuer "fachlicher Instrumentarien".
Alles in allem: Fraueninformation ist und bleibt ein spannendes Betätigungsfeld für uns Bibliothekarinnen und jetzt wissen wir ‚beinahe' wie sie funktioniert.