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Arno Barnert / Wilhelm Hemecker: Paul Celan und Frank Zwillinger. Erstveröffentlichung der Korrespondenz (10. 04. 2002). In: Sichtungen online, PURL: http://purl.org/sichtungen/barnert-a-1a.html ([aktuelles Datum]). - Auch in: Sichtungen 3 (2000), S. 56-70.

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Wilhelm Hemecker
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Paul Celan und Frank Zwillinger

Erstveröffentlichung der Korrespondenz

Arno Barnert / Wilhelm Hemecker


Abb. 1: Frank Zwillinger (1909-1989). In: Sichtungen 3, S. 63

Abb. 1.
Frank Zwillinger (1909-1989)
[3/ S. 63]

[3/ S. 56:]

Im März 1959 kommt es zwischen Paul Celan, seit Mitte Juli 1948 in Paris, und Frank Zwillinger zu einer Begegnung und im Anschluß daran zu einem kleinen Briefwechsel. Zwillinger (1909-1989) lebte seit 1946 in Garches (bei Paris), nachdem er 1938 aus Wien nach Französisch-Indochina emigriert war und im Zweiten Weltkrieg in der Fremdenlegion gekämpft hatte.[1] Zu der hier erstmals mitgeteilten Korrespondenz zwischen Celan und Zwillinger[2] werden im folgenden einige Erläuterungen zum Hintergrund gegeben. Es handelt sich um drei Briefe:

- Frank Zwillinger an Paul Celan, Garches [ohne Datum; ca. Anfang März 1959] (1 Bl. [21 x 27 cm]; Typoskript mit eigenhändigen Korrekturen und Unterschrift von Zwillinger [blaue Tinte]; auf S. 1 oben rechts eigenhändiger Eintrag von Celan [blaue Tinte]: »b.[eantwortet] 22. 3. 59.«; DLA, D: Celan, D 90.1.2604/1; Typoskript-Durchschlag im ÖLA, Nachlaß 8/90: Frank Zwillinger, dabei: eigenhändiges Notizblatt von Paul Celan);
- Paul Celan an Frank Zwillinger, Paris, 22. März 1959 (1 Bl. [21 x 27 cm]; Manuskript; ÖLA, Nachlaß 8/90: Frank Zwillinger);
- Frank Zwillinger an Paul Celan, Garches, 12. Juni 1959 (1 Bl. [21 x 27 cm]; Typoskript mit eigenhändiger Korrektur und Unterschrift von Zwillinger [blaue Tinte]; DLA, D: Celan, D 90.1.2604/2; Typoskript-Durchschlag im ÖLA, Nachlaß 8/90: Frank Zwillinger; oben rechts eigenhändiger Eintrag von Zwillinger [blaue Tinte]: »Insel-Almanach«).

In seinem ersten, undatierten Brief bedankt sich Zwillinger für einen Abend, den er wahrscheinlich Anfang März 1959 bei Celan und seiner Frau verbracht hat. Zwillingers im Nachlaß erhaltener Kalender für [3/ S. 57:] das Jahr 1959 enthält keinerlei Hinweis auf die Einladung; jedoch findet sich Celans Pariser Wohnadresse in einem zweiten, offensichtlich Nachträge enthaltenden Adreßverzeichnis, das dem Kalender angefügt ist. - Zwillinger reflektiert in seinem Brief das Gespräch mit Celan und schreibt in diesem Zusammenhang: »Mir ist der junge Mann, der über Ihr Werk arbeitet in Erinnerung geblieben, dem es möglich ist, zu Ihnen und zu Ihrem gegnerischen Pressezeichner zu ›stehen‹.« Mit diesem »junge[n] Mann« ist der damalige Kölner Student Jean Firgès gemeint, der Celan nach dessen Lesung am 17. November 1958 in der Bonner Universität darüber informiert hatte, daß man vor allem Celans Pathos an der Hosianna-Stelle in der »Engführung« kritisiert habe und im Publikum eine antisemitische Karikatur kursiert sei, die einen gefesselten Sklaven in gebückter Haltung zeigte, der schnaubend gegen seine Ketten aufbegehrt; unter der Zeichnung habe gestanden: »Hosiannah dem Sohne Davids!« In seinem weiteren Briefwechsel mit Celan schrieb Firgès am 4. Dezember 1958, daß er zwar einerseits zu Celan stehe, andererseits aber auch zu dem Karikaturisten als »Non-Konformisten«.[3]

Celans Antwortbrief an Zwillinger ist auf den 22. März 1959 datiert. Mitte März 1959 war Celans Gedichtband »Sprachgitter« erschienen, den er zu diesem Zeitpunkt an Freunde verschickte, so am 20. März 1959 an Klaus und Nani Demus[4] und mit Schreiben vom 21. März 1959 an Walter Jens.[5] - Celan geht in seinem Brief an Zwillinger besonders ein auf dessen Rede von den »entblössten Wahrheiten […], die ein bestimmtes Dichten aufschließt«, und schreibt, daß dieser Ausdruck »in die Richtung der Heidegger’schen Aletheia« weise.[6] Celan hat sich in den 50er Jahren intensiv mit Heidegger beschäftigt.[7] - Am Ende seines Briefes erwähnt Celan, daß er gerade aus Frankfurt am Main zurückgekehrt sei; er hatte dort eine Lesung gehalten, zu der sich in der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« vom 23. März 1959 eine kurze Kritik findet.[8]

Zwillinger antwortet Celan erst am 12. Juni 1959, wofür er sich mit seiner »absorbierenden zweifachen Tätigkeit« entschuldigt. Zwillinger arbeitete damals hauptberuflich als Direktor in einem Parfumeriekonzern und nebenher als Schriftsteller. - Mit seinem Brief retourniert er einen Insel-Almanach, den Celan ihm geliehen hatte, höchstwahrscheinlich den »Insel-Almanach auf das Jahr 1959« (Frankfurt am Main 1958), der vier Gedichtübertragungen von Celan enthält.[9] - Zwillinger schreibt außerdem, daß er inzwischen alle Bücher von Celan erworben habe; gemeint sind vermutlich die Gedichtbände, die Celan auf einem eigenen Blatt verzeichnet hat, das Zwillinger dem Durchschlag seines ersten, undatierten Briefes angehängt hat: [3/ S. 58:]

Mohn und Gedächtnis, Deutsche Verlagsanstalt
Von Schwelle zu Schwelle, " - "
Sprachgitter, S. Fischer, 1959.[10]

Dieser Bestand hat sich jedoch in Zwillingers Nachlaß nicht erhalten. Auch in Celans Nachlaßbibliothek finden sich keine Publikationen von Zwillinger. - Die Begegnung der beiden Dichter blieb offenkundig eine Episode. Celan arbeitete seit März 1959 an den Gedichten seines 1963 erschienenen Bandes »Die Niemandsrose«. Zwillingers Weg führte zum Drama, und bald schon konnte er als Dramatiker einen Achtungserfolg erzielen mit der Aufführung seines »Galileo Galilei«[11] zur Eröffnung der Bregenzer Festspiele des Jahres 1960 und am Burgtheater noch im gleichen Jahr.

Eine spätere Notiz Celans vom 17. Mai 1960 im Zusammenhang mit der Goll-Affaire deutet darauf hin, daß Celan und Zwillinger schon in den frühen 50er Jahren Kontakt miteinander hatten.[12] Celan verdächtigt darin u. a. Zwillinger, in dem Zeitraum zwischen November 1952 und März 1953 das damals noch unveröffentlichte Gedicht »In Gestalt eines Ebers« von ihm gestohlen und an Claire Goll weitergegeben zu haben. - Das Gedicht »In Gestalt eines Ebers« war am 5. November 1952 entstanden. Celan hatte wohl zu Recht den Verdacht, daß Claire Goll durch ehemalige gemeinsame Freunde den Anfang seines Gedichts erfahren hat und daraufhin Yvan Golls Nachlaßtext »Sahst du in meiner Lunge den dürren Wald« durch Manipulationen dem Gedicht Celans angenähert hat. Diesen manipulierten Text publizierte Claire Goll 1953 in den »Konturen«,[13] während Celans Gedicht »In Gestalt eines Ebers« erst später, im »Jahresring 54«, erschien;[14] aufgrund dieser Manipulation wurde - wie z. B. von Curt Hohoff - die böswillige Behauptung abgeleitet, Celan habe Goll plagiiert.[15] Dieser Vorfall ist nur ein Beipiel für Claire Golls systematische Manipulationen am Nachlaß von Yvan Goll (Text- und Datierungsfälschungen), die sie in Kenntnis von Celans Frühwerk und von unveröffentlichten Gedichten Celans vorgenommen hat, um den falschen Eindruck zu erwecken, Celan habe sich von Goll anregen lassen. - In den Nachlässen von Claire Goll (DLA) und Frank Zwillinger (ÖLA) sowie in der Frank Zwillinger-Collection des Universitätsarchivs der Brandeis University (Waltham / Mass.) finden sich jedoch keine Spuren dieser Affaire in bezug auf Zwillinger; in Zwillingers Nachlaßbibliothek ist lediglich ein Separatum eines Aufsatzes von Bernhardt Blumenthal über Claire Goll erhalten.[16] Der hier erstmals veröffentlichte Briefwechsel läßt noch nichts von Celans späterem Verdacht erkennen. [3/ S. 59:]


Anmerkungen

1] Zu Zwillingers Biographie vgl. Harry Zohn: In Memoriam Frank Zwillinger 1909-1989. In: Modern Austrian Literature 23 (1990), H. 3/4, S. 217-219; zu seinem Nachlaß vgl. Sichtungen 1 (1998), S. 84

2] Die Editoren der vorliegenden Korrespondenz danken sehr herzlich Eric Celan, Walter Greinert, dem Suhrkamp Verlag, dem Deutschen Literaturarchiv Marbach (im folgenden DLA) und dem ÖLA für ihre Publikationsgenehmigungen. Unser Dank ergeht auch an Werner Rotter für seine Mitarbeit an der Transkription des Celan-Briefs.

3] Zit. nach Celans Abschrift des Firgès-Briefes, die er am 8. Dezember 1958 an Rolf Schroers geschickt hat. Celan hat sowohl Rolf Schroers als auch Walter Höllerer ausführlich über diesen Vorfall und seinen Briefwechsel mit Jean Firgès informiert: vgl. Celans Briefe an Schroers vom 2. und vom 8. Dezember 1958 (Nordrhein-Westfälisches Staatsarchiv Münster, Nachlaß Rolf Schroers) und an Höllerer vom 2. Dezember 1958 (Literaturarchiv Sulzbach-Rosenberg, »Akzente«-Korrespondenz, Reg.-Nr. 6106), denen jeweils Teilabschriften der Firgès-Briefe beiliegen. - Zu Celan und Firgès vgl. auch: Paul Celan - Die Goll-Affaire. Dokumente zu einer ›Infamie‹. Zusammengestellt, hg. und kommentiert von Barbara Wiedemann. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2000, S. 411, Dok. 95/6.

4] Vgl. Paul Celan an Klaus und Nani Demus, 22. März 1959: »Das Buch [›Sprachgitter‹] ist hoffentlich schon bei Euch, ich hab’s am Freitag [d. i. 20. März 1959] in Frankfurt aufgeben lassen«; zit. nach Joachim Seng: Auf den Kreis-Wegen der Dichtung: Zyklische Komposition bei Paul Celan am Beispiel der Gedichtbände bis ›Sprachgitter‹. Heidelberg: Winter 1998 (= Beiträge zur neueren Literaturgeschichte 3/159), S. 18.

5] Vgl. Paul Celan an Walter Jens, 21. März 1959 (Archiv der Akademie der Künste, Berlin, Nachlaß Walter Jens).

6] Zu Martin Heideggers Aletheia-Begriff vgl. den entsprechenden Eintrag in: Index zu Heideggers ›Sein und Zeit‹. Zusammengestellt von Hildegard Feick. 4., neubearb. Aufl. von Susanne Ziegler. Tübingen: Niemeyer 1991, S. 1; sowie: Susanne Ziegler: Heidegger, Hölderlin und die Aletheia. Martin Heideggers Geschichtsdenken in seinen Vorlesungen 1934/35 bis 1944. Berlin: Duncker und Humblot 1991 (= Philosophische Schriften 2).

7] Zu Celans Heidegger-Rezeption zwischen 1953 und 1960 vgl. Seng (Anm. 4), S. 154-160; zu den drei Begegnungen von Celan und Heidegger zwischen Juli 1967 und März 1970 vgl. Stephan Krass: ›Wir haben Vieles einander zugeschwiegen‹. Ein unveröffentlichter Brief von Martin Heidegger an Paul Celan. In: Neue Zürcher Zeitung, Nr. 1 v. 3./4. Januar 1998, Beilage »Literatur und Kunst«, S. 49.

8] Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 69 v. 23. März 1959, S. 14. Möglicherweise handelte es sich um eine nicht-öffentliche Veranstaltung - etwa im S. Fischer Verlag -, da sich weder in der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« noch in der »Frankfurter Rundschau« vom März 1959 eine entsprechende Ankündigung finden läßt. [3/ S. 60:]

9] Paul Celan: Vier Gedichte aus dem Französischen [Guillaume Apollinaire: Die Herbstzeitlosen; Paul Eluard: Nous avons fait la nuit; Stéphane Mallarmé: Rondel; Jules Supervielle: Airs]. In: Insel-Almanach auf das Jahr 1959. Frankfurt / Main: Insel 1958, S. 31-33. - Der Katalog der Bibliothek Paul Celans (Paris und Moisville) in vier Bänden, erarbeitet in den Jahren 1972-1974 (Paris) und 1987 (Moisville) von Dietlind Meinecke und Stefan Reichert u. a. [Kopie im DLA], Bd. 4/1, 4/119 (Nr. 440) verzeichnet zwei Exemplare dieses Almanachs.

10] Eigenhändiges Notizblatt von Paul Celan; ÖLA, Nachlaß 8/90: Frank Zwillinger.

11] Buchausgabe: Frank Zwillinger: Galileo Galilei. Schauspiel. Bayreuth: Baumann 1962.

12] Vgl. Paul Celan - Die Goll-Affaire (Anm. 3), S. 437, Dok. 114

13] Konturen. Blätter für junge Dichtung. Hg. von Hans Bender (März 1953), H. 5, S. 8.

14] Jahresring 54. Ein Schnitt durch Literatur und Kunst der Gegenwart. Hg. vom Kulturkreis im Bundesverband der Deutschen Industrie. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt 1954, S. 53.

15] Vgl. Paul Celan - Die Goll-Affaire (Anm. 3), S. 211-213, Dok. 47 und S. 435-445, Dok. 112-115.

16] Bernhardt Blumenthal: Claire Goll’s Prose. In: Monatshefte für deutschen Unterricht, deutsche Sprache und Kultur 75 (1983), S. 358-368.


[3/ S. 61:]

Der Briefwechsel[*]

Frank Zwillinger an Paul Celan

Herrn
Paul Celan
78 rue de Longchamps
Paris

Lieber Paul Celan,

lassen Sie mich Ihrer verehrten Frau Gemahlin und Ihnen noch einmal herzlichst für den Abend danken, den ich bei Ihnen verbringen durfte. Er hat mir, wie Sie vermuten können, reichlich Stoff zum Nachdenken gelassen. Darunter hat sich mir ein Aspekt eröffnet, den es mich Ihnen mitzuteilen drängt. Ich schicke voraus, daß ich damit keinesfalls über Fragen der Kunst polemisieren möchte, umso weniger, als sich mir Ihre Bereiche inzwischen erschlossen haben und allmählich zu meinen eigenen werden. Was ich Ihnen zu sagen habe, hat rein menschliche Bedeutung. - Es ist Ihnen sicherlich wie mir zum Bewußtsein gekommen, daß sich die strenge Einsicht, die sich fortschreitend allen Scheines entkleidet, um wesentlich und unerbittlich zu werden, einen Weg geht, der von der Sphäre des Menschlichen fortführt in die des Kosmischen, also für uns Hoffnungslosen hinein. Damit glaube ich die ganze Würde und Größe dieser Haltung implicite anerkannt zu haben.

Nun fand ich Sie aber andererseits in der Sphäre des Menschlichen und an den zwischenmenschlichen Beziehungen leidend, namentlich was einzelne Ihrer Erfahrungen in Deutschland betrifft. Mir ist der junge Mann, der über Ihr Werk arbeitet in Erinnerung geblieben, dem es möglich ist, zu Ihnen und zu Ihrem gegnerischen Pressezeichner zu »stehen«. Die Frage, wie diese paradoxale Haltung möglich ist, stellt sich nur auf der Ebene menschlicher Zusammenhänge, also in der Welt der Daseinsvordergründe. Setzt man voraus, daß dieser junge Mann, den es zu Ihnen zog, sich in der dünnen Luft des Außermenschlichen beheimatet fühlt, wird seine zunächst unverständliche, ja groteske Einstellung insofern erklärlich, als ihm ja menschliche Belange unwesentlich geworden sind.

[3/ S. 62:] Damit will ich Ihr Augenmerk darauf gerichtet haben, daß wir alle, die den Weg der unverhüllten bitteren Erkenntnis gehen wollen, Gefahr laufen, unwillentlich - par la force des choses - dem Humanitären Abbruch zu tun, da unser Blickpunkt ins Außermenschliche rückt. Dies berührt den doppelten Aspekt geistigen Anliegens, den ich in unserem Gespräch flüchtig berührte: die Aussage und ihre Wirkung, die geistige Unbedingtheit und die in einem gewissen Sinne pädagogische Verantwortung des Schaffenden. Mir steht, wie gesagt, die Pyramide menschlicher Geistesfähigkeiten klar vor Augen. Die Spitze dürfte der Basis nicht zu viel zumuten! - Damit will ich nur ein Problem aufgeworfen haben, dem es sich nachzuspüren lohnt. Ich sah Sie verletzlich für Äußerungen, die als Unkraut dennoch in dem gleichen Boden jener entblössten Wahrheiten gedeihen, die ein bestimmtes Dichten aufschließt. Aus diesem Dilemma kann man wohl schwer hinausfinden. Es ist aber schon ein Gewinn, sich dessen bewußt zu sein, auch diese Wahrheit erworben zu haben.

Diese Zeilen mögen von Ihnen als Beweis der herzlichen Anteilnahme in jeder Hinsicht, aufgenommen werden, die ich Ihnen entgegenbringe. In Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen grüße ich Sie und Ihre verehrte Frau Gemahlin auf das beste.

Ihr
Frank Zwillinger

[3/ S. 65:]

Paul Celan an Frank Zwillinger

Abb. 2: . In: Sichtungen 3, S. 64

Abb. 2.
[3/ S. 64]

78, rue de Longchamp          am 22. März 1959.

Lieber Frank Zwillinger,
herzlichen Dank für Ihren Brief.
Das ›Außermenschliche‹ - es ist nur
im Kontext unseres Gespräches so
zu nennen, ich muß es, im Gegenüber
mit jenem, ¿hier/absolut inkommensurablem,
Bonner Vorfall in Anführungszeichen
setzen - dieses ›Außermenschliche‹ hat -
mit den Menschen zu tun (wie der Tod,
das Menschliche und Nicht-nur-Menschliche,
mit dem Menschen und des Menschen
Gedicht zu tun hat ¿).

[3/ S. 67:] <Rückseite:>

Abb. 3: . In: Sichtungen 3, S. 66

Abb. 3.
[3/ S. 66]

x/ aber nein, wo wirkliche Wahrheit ist, gedeiht kein Unkraut
                                              (freilich auch kein Enzian)
                                      
Jenes ›Unkraut‹, von dem Sie sagen, daß
es auch auf dem Boden der entblößten
Wahrheitenx/gedehei gedeihe - ein
gutes Wort übrigens, es weist in die Richtung
der Heidegger’schen Aletheia - jenes
Unkraut haben die sogenannten
Humanisten und Schöngeister niemals
auszujäten versucht - sie sind da,
die Schöngeister nämlich, in die Berge
gestiegen (oder vielmehr mit dem Sessellift
hinaufgelangt), in »hehre« und »höhere«
Regionen, nicht selten auch auf die
Alm - wo’s ja bekanntlich ka Sünd
gibt.

Ihnen und Ihrer Frau Gemahlin alles Gute!
                                   Ihr
                                         Paul Celan

<Am linken Seitenrand:>

Entschuldigen Sie, daß ich erst heute antworte:
                      ich bin eben aus Frankfurt zurück.

[3/ S. 69:]

Frank Zwillinger an Paul Celan

Abb. 4: . In: Sichtungen 3, S. 68

Abb. 4.
[3/ S. 68]

den 12. 6. 59

Paul Celan
78 rue de Longchamp
Paris 16e

Lieber Paul Celan,

verzeihen Sie, daß ich Ihren Zeilen vom 22. März ein so langes Schweigen folgen ließ, es war ungewollt und keineswegs dazu bestimmt, den Jodlern von der Alm der von Ihnen mit Recht so gegeißelten »Schöngeister« Raum und Echo zu gewähren. Es hatte seinen Grund allein in meiner absorbierenden zweifachen Tätigkeit.

Ich glaube nicht, daß es einen Sinn hat, uns weiter brieflich über die uns beiden am Herzen liegenden Fragen ohne gemeinsame Terminologie zu unterhalten und schlage vor, dies unserem nächsten Zusammensein vorzubehalten. Nur eines: was ist das, eine »wirkliche Wahrheit, auf der kein Unkraut gedeiht«? Sollte das nicht ein anderes Tabu sein, das sich plötzlich und unversehens eingeschlichen hat? Und gedeihen nicht auf wissenschaftlichen Wahrheiten Atombomben? Aber wie gesagt, lassen wir das lieber dem gesprochenen Wort.

Im Monat Mai war ich mit meiner lieben Frau auf Reisen und gegenwärtig schüttet Amerika sein Füllhorn von Besuchern über uns aus. Sagen Sie mir bitte, ob wir Anfang Juli darauf rechnen können, Sie beide bei uns zu sehen? Den mir leihweise überlassenen Insel-Almanach sende ich Ihnen mit gleicher Post zurück.

Ich habe inzwischen alle Ihre Bücher erworben und in Ihre so schön weitmaschigen »Sprachgitter« erfreulichen Eingang gefunden. Auch Ihre Nachdichtung des »Trunkenen Schiffes« hat mich aufrichtig entzückt.

Mit den schönsten Wünschen für Ihre gegenwärtigen Arbeiten, besten Empfehlungen an Ihre Frau Gemahlin und einem freundlichen Gedenken für Ihren kleinen Sohn, bleibe ich Ihr sich trotz allem zu einer humanen Gesamtauffassung der Existenz (ohne alpenländische Verstiegenheiten) Bekennender

Frank Zwillinger

*] Die Transkription der Briefe Zwillingers übernimmt die eindeutigen handschriftlichen Korrekturen des Autors, nicht aber den Zeilenumbruch der Originale. Celans Brief hingegen wird diplomatisch zeilengetreu wiedergegeben.
¿ bezeichnet ein durchgestrichenes unidentifizierbares Graph von der Hand Celans. Die Faksimiles der Briefe wurden für den Abdruck verkleinert.




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