Das Georama
Gemeinnütziger Geschäfts-Kalender für alle Religions-Gesellschaften der österreichischen Monarchie : auf das Schaltjahr 1848. – Graz : Verlag von J. Fr. Kaiser : Gedruckt mit C. Tanzer'schen Schriften, [1847]. Österreichische Nationalbibliothek, Sign.: 310.139-B.Alt-Mag Detailinformation Dem Grazer Kalender von 1848 ist die Abbildung eines Georamas (Abb. links) vorgebunden, in Gesellschaft kurioser Dinge wie dem sogenannten Hydrarchos oder Sketches aus der humoristisch-satirischen deutschen Wochenschrift „Fliegende Blätter“. Dabei war die Grund-Idee des Georamas in erster Linie nicht die dem Bedürfnis nach Spektakulärem zu entsprechen, keinesfalls war das Georama als Curiosum gedacht. Das Georama sollte vielmehr auf allgemeinverständliche und vor allem auch auf eine neue Weise die geographischen Erkenntnisse der Zeit vermitteln. Vorgeschichte Entwickelt hat die Idee des Georamas der französische Finanzbeamte Charles-Antoine Delanglard.1822 stellte Delanglard sein Projekt der Geographischen Gesellschaft in Paris vor. Die Gesellschaft bewertete sein Konzept – er nannte seine Erfindung Georama – positiv. Bald darauf reichte er dazu ein Patent ein. Die Idee war ebenso simpel wie genial. Er löste das Problem, dass die Darstellung der Erde auf einem Globus immer nur Teilansichten ermöglicht, durch einen Kunstgriff. Er krempelte die Erdoberfläche gewissermaßen um und stellte den Betrachter auf eine Plattform innen in das Zentrum der kugelförmigen Erdansicht, sodass dieser in einem einzigen Rundblick den ganzen Erdball erfassen konnte. Im Mai 1825 öffnete das Georama Delanglards seine Tore, günstig gelegen in der Rue de la Paix / Ecke Boulevard de Capucines. Der Globus hatte einen Umfang von mehr als 30 Metern, in dessen Inneren befanden sich zwei, über eine Treppe erreichbare Besucherplattformen. Die Erdkugel bestand aus einer gefirnissten Leinwand, sodass das Licht nicht nur von oben, sondern auch durch die Leinwand hindurch schien. Auf die Leinwand war in Wasserfarben die Karte aufgemalt. Begleitet wurde die Gestaltung u.a. durch den renommierten französischen Geographen Edmé François Jomard, der dem jungen Kartographen Vivien de Saint-Martin den Auftrag gab, die Entstehung der Karte zu kontrollieren. Viele besuchten die neue Sehenswürdigkeit, namhafte Wissenschaftler, darunter auch Alexander von Humboldt, unterstützten das Unternehmen. Trotzdem blieb der erhoffte Erfolg aus und Delanglard geriet in finanzielle Schwierigkeiten. Bald nach seinem Tod 1832 wird das Georama niedergerissen. Guérin's neues GeoramaAnfang der 1840er Jahre griff der Franzose Charles Auguste Guérin die Idee Delanglards wieder auf. Abermals war es Vivien de Saint-Martin, der in Kooperation mit dem Architekten Marc Jodot, beide Mitglieder der Geographischen Gesellschaft, die Umsetzung des Georamas begleitete. Der hohle Globus befand sich in einem eleganten Holzhaus, das im Garten der Champs Elysées aufgestellt wurde. Der Umfang des Globus’ betrug ca. 32 Meter und der Durchmesser etwa 10 Meter. Eiserne Reifen, als Längen- und Breitenkreise angeordnet, waren mit einem durchsichtigen, bläulichen gefirnissten Seidenstoff bespannt. Der Eingang befand sich am „Südpol“ und über eine Wendeltreppe entlang der Erdachse gelangte man auf eine Plattform auf Äquatorebene (siehe Abbildung). Das Kartenbild war im Maßstab von ca 1 : 770.000 gemalt und folgte inhaltlich dem Wissen der Zeit. Aktuelle Forschungsergebnisse, basierend auf den Erkenntnissen einiger bedeutender, in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts besonders in Afrika und Nordamerika durchgeführten Expeditionen wurden in der Darstellung der Karte berücksichtigt. Im Polytechnischen Journal von 1845 (Band 95, Nr. LXIV./Miszelle 3, S. 236) findet sich ein Eintrag mit ausführlicher Beschreibung der Gestaltung des Kartenbildes: „Guérin's neues Georama. Dieses (in Paris aufgestellte) Georama ist eine große Kugel, welche von einem Pol zum andern 10 Meter im Durchmesser hat, in deren Inneres der Beschauer mittelst einer Treppe geführt wird, welche auf eine der Fläche des Aequators entsprechende Gallerie führt, von der aus man alle Erdtheile und Meere übersehen kann. Was in dem prachtvollen Ganzen, in dessen Mittelpunkt man sich befindet, das Reich des Wassers vorstellt, besteht aus einem bläulichen Seidenstoff, der so durchsichtig ist. daß das durch denselben hindurchgehende sanfte Licht die Continente, die Archipel, die zerstreuten Inseln und die undurchsichtige Oberfläche, auf welcher die festen Theile des Erdballs dargestellt sind, bis auf die kleinsten Details erhellt. Die ohne zu große Uebertreibung dargestellten Berge, die Ebenen und Plateaux, die durch einen glüklichen Gedanken durchsichtig gehaltenen Meere und Seen, die thätigen Vulcane, welche durch purpur gefärbte Krystall linsen feuersprühend dargestellt sind, das ewige Eis der höchsten Punkte und die Polargegenden, malerisch wiedergegeben, der über die Gegenden der heißen Zone sich ausbreitende warme Ton, der grünliche Anblik endlich jener über das nördliche Ende Asiens und Amerika's sich erstrekenden sumpfigen Wüsten bilden ein harmonisches Ganzes, in welchem jedes Einzelne sich streng an seiner Stelle befindet. Die Ausführung des Ganzen ist eine höchst sorgfältige." (Bulletin de la Société d'Encouragement, Nov. 1844, S. 485.) Am 1. Juni 1844 wurde das neue Georama feierlich eröffnet. Noch im selben Jahr erreichte Guérin, dass eine Kommission der Akademie der Wissenschaften sein Georama besuchte, dieses sehr positiv bewertete u.a. auch für den Geographieunterricht empfahl. In einem 1846 in der französischen Zeitschrift „L’Illustration. Journal Universel“ veröffentlichten Artikel wurde gar die Einrichtung von Georamen in allen größeren Städten empfohlen. Doch auch Guérins Georama war bereits verschwunden, als der Londoner Verleger und Kartograph James Wyld noch ein letztes Mal einmal ein Georama, diesmal in London, erbauen ließ. Das Gebäude – der sogenannte „Great Globe“ – stand zwischen 1851 (rechtzeitig zur Weltausstellung) und 1862 am Leicester Square. (Der Mausklick auf den Bildausschnitt führt zum Vollbild.) Der Hydrarchos im Geschäfts-Kalender |