[1/ S. 94:] SALZBURG
KAPUZINERBERG 5
am 11. Mai 1933
Lieber Herr Studienrat!
Nein, es wundert mich nichts mehr, aber dieser Brief ist ein prächtiges Zeitdokument. Leider bin ich soweit, dass ich (scheinbar
grausam) sage, umso ärger umso besser. Je rascher die Sache auf die Spitze getrieben wird, umso schneller muss sie abbrechen.
Auch die Verbrennung meiner Bücher hat mich nicht sehr erschüttert, ich habe damit der guten Sache ausgezeichnet geholfen,
denn dass sie Werfel, Wassermann und mich, uns völlig Unpolitische dazu taten, hat im Ausland, wo unser Name noch gilt, den
entsprechenden Eindruck gemacht. Nur so weiter und immer fester, je stärker sie uns drücken, desto stärker wird unser Ansehen
im Ausland.
Von Romain habe ich strenge Ordre (er ist so krank) ihm jetzt irgend jemanden zu schicken. Aber senden Sie ihm jedenfalls
den Brief ohne sich auf mich zu berufen, er ist momentan vielleicht gesundheitlich etwas besser, und wenn er Zeit hat, wird
er, gütig wie er ist, Sie sicherlich empfangen, aber ich habe strengen Auftrag, den ich nicht überschreiten darf. Und aus
allem Schlimmen soll man auch sein Gutes holen, darum erholen Sie sich in der jetzt so herrlichen Landschaft und erfreuen
Sie sich jeder Stunde, die Sie nicht in diesem Deutschland sind.
In alter Ergebenheit Ihr
Stefan Zweig
Sammlung Eugen Wolbe (Sign. 88/B58/38). - Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Williams Verlags, Zürich
[1/ S. 95:] Kommentar
Der seil 1901 in Berlin Iebende Gymnasiallehrer, Publizist und passionierte Autographensammler Eugen Wolbe (1873-1938; vgl.
S. 80) hat wahrscheinlich bereits 1913 mit dem Wiener Schriftsteller Stefan Zweig (1881-1942) brieflichen Kontakt aufgenommen.
Zweig verfügte schon zu diesem Zeitpunkt über eine beachtliche Autographensammlung; zwischen ihm und Wolbe entwickelte sich
über das gemeinsame Sammelinteresse eine langjährige Korrespondenz, wobei Zweig den Berliner gelegentlich bat, für ihn Autographen
in Deutschland zu erwerben - nicht unüblich für Zweig, der sich oft mit befreundeten Sammlern und Händlern über die gegenwärtige
Marktlage austauschte. Zum inneren Kreis der Autographen-Freunde Zweigs gehörten Karl Geigy-Hagenbach in Basel und der Verleger
Anton Kippenberg in Leipzig. Daß sich Zweig und Wolbe persönlich kannten, belegt folgende Mitteilung des Berliner Sammlers:
»kein Blatt in meinem ›Gästebuche‹ erfreut mich mehr als Stefan Zweigs Eintragung, in der er sagt, er sei mir ›in gemeinsamer
Neigung verbunden seit Jahr und Jahr‹ und immer wieder dankbar erfreut von der Gegenwart meiner Schätze. (Eugen Wolbe: Stefan
Zweig als Autographensammler. Zu seinem 50. Geburtstag am 28. November 1931. In: Der Kunstwanderer 13, 1931, S. 72f., hier
S. 73).
Der vorliegende Brief ist das letzte Dokument des Schriftverkehrs zwischen Wolbe und Zweig im ÖLA. Zweig reagiert offenbar
auf den zuletzt empfangenen Brief von Wolbe, den er als »prächtiges Zeitdokument« bezeichnet und zum Anlaß nimmt, seine Einschätzung
der aktuellen Lage in Deutschland zu skizzieren. Am Vortag waren dort von den Nationalsozialisten u. a. die Bücher der jüdischen
Schrittsteller Stefan Zweig, Jakob Wassermann und Franz Werfel verbrannt worden, die Zweig - Anlaß für einen weiterführenden
Kommentar - »uns völlig Unpolitische« nennt.
Zu dem im Brief angesprochenen französischen Literaturnobelpreisträger Romain Rolland unterhielt Zweig bereits seit 1910 engen
Kontakt, der auch in einem umfangreichen Briefwechsel, der bis 1940 geführt wurde, dokumentiert ist. Am 31. März 1933 teilt
Rolland, der von 1922 bis 1937 in Villeneuve im Schweizerischen Kanton Vaud wohnte, Zweig brieflich mit, daß er wegen Erkrankung
und Arbeitsüberlastung seine Außenkontakte strengstens selektieren müsse (vgl. Romain Rolland und Stefan Zweig: Briefwechsel
1910-1940. Bd. 2: 1924-1940. Berlin: Rütten & Loening 1987, S. 505). Allem Anschein nach hat sich Wolbe, als er über Zweigs
Vermittlung Kontakt zu Rolland aufnehmen wollte, bereits in der Schweiz befunden.
Andreas Brandtner / Volker Kaukoreit
|
|