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Gibt es etwas, was ihn von seinesgleichen unter den Photoreportern der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts markant unterscheidet? Also etwa von deklarierten Vorbildern wie H. Cartier-Bresson, A. Eisenstaedt oder Robert Capa? Verfügt HARRY WEBERs photojournalistische Arbeit über eine spezifische Handschrift?
Sie wird vor allem dort erkennbar, wo der nun achtzigjährige ehemalige Schneidergeselle lernte, Menschenbilder auf Nebenfahrbahnen einzufangen. Auf Menschen ließ er sich hauptsächlich ein, obwohl er ihnen gegenüber ein zwiespältiges Verhältnis bezeugt: Als einer, der zum Straßenaufwaschen auf der Wiener Ringstraße gezwungen worden war. Andererseits stand er mit der Phototechnik quasi auf Kriegsfuß. Ausarbeiten mußte seine Bildserien jene Frau Marianne, die er 1947 in Salzburg als Photolaborantin kennengelernt hatte.
Bevor WEBER nach Salzburg gelangte, überlebte er 1938 bis 1946 in Palästina. Seit 1952 wohnt er in Wien. Damals suchte er nach eigener Aussage den Ausdruck seines Innern, seiner Seele zu erreichen. Die von ihm beobachteten, schnappschußartig festgehaltenen Individuen dienten ihm dabei als eine Art Spiegel eigenen Befindens.
Menschen im Schatten. In den Fünfzigern schuf er Bilder von Kriegsheimkehrern und vom Aufstand in Ungarn, von Hochzeiten und Begräbnissen, dem Dachsteinunglück. Später die Szenen in der Psychiatrischen Anstalt Am Steinhof und in Lainz. WEBERs Mitgefühl galt Gestrandeten - bis hin zur 1988 aufgenommenen Amtshandlung an einem Sandler am Praterstern, vor einen Plakat der SPÖ mit dem Schriftzug "Wir handeln". All diese Bilder erscheinen kennzeichnender als jene von Prominenten zwischen Chruschtschow und Kennedy oder anderen, die er im Theater antraf oder auf den Salzburger Festspielen. Sie bezeugen - wie die Aufnahmen von Kindern in der Welt - sein Interesse an einfachen Existenzen, am eigentlichen Leben. Selten wandte sich WEBER Objekten, Landschaften zu - aber 1972 photographierte er jenen Buddha in Afghanistan, den die Taliban kürzlich zerschossen, gesprengt haben. Da war er noch Chefphotograph der Österreich-Ausgabe des "Stern", in dessen Redaktion er 1952 eingetreten war.
Als Künstler hat sich HARRY WEBER nicht wirklich sehen wollen. Aber wenn andere ihn als solchen betrachten und ehren wie jetzt, kann er nichts dagegen haben. Ein künstlerisches, also gestaltendes, schöpferisches Element tritt bei ihm so viel und so wenig zutage wie bei einigen seiner vielleicht rührigeren Kollegen. Er war, er ist einer, der das Leben zu packen versucht hatte, wie es mittlerweile Geschichte geworden ist.
Palais Harrach, 2. Stock, bis 1. Juli. Täglich 10-18 Uhr. Ein Katalog dokumentiert 200 Bilder.
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