Cancer Chronographice

Titelblatt

S.331

Sporck, Jan Rudolf: CanCer ChronographICe, at retrograDe, aC Lente InCeDens, et non profICIens. ChronographICa offert. sIC rIDe, DefLe, et ea CorrIge LeCtor præCLare! - Pragæ : apud Franciscum Carolum Hladky, Archi-Episcopalem Typographum 1754 [erschienen 1755].

Österreichische Nationalbibliothek, Sign.: 308808-B.Alt-Mag

Detailinformation

Inschriften auf Portalen, Trauergerüsten, Triumphbögen und Festdekorationen, auf Münzen und Medaillen, dazu Titelblätter und Impressen, Lob-, Widmungs-, Geburts-, Hochzeits- und Trauergedichte – wo immer eine Jahreszahl im Mittelpunkt stand, konnte sie in Form eines Chronogramms dargestellt werden. In einem Satz oder Vers, der Bezug auf das jeweilige Objekt oder Ereignis nahm, wurden jene Buchstaben hervorgehoben, die einen römischen Zahlenwert hatten und zusammen die Jahresangabe ausmachten:    M, D, C, L, X, V (oder U), I (oder J).
Oft wurden auch längere Texte oder Gedichte nach diesem Muster gestaltet.

So üblich diese literarische Spielerei vor allem im 17. und 18. Jahrhundert auch war: Mit seinem Cancer Chronographice setzte Johann Rudolph Sporck (1695-1759), seit 1729 Weihbischof von Prag, neue Maßstäbe. Zu einer einzigen Jahreszahl, dem Erscheinungsjahr des Werks, verfaßte er über 3.400 lateinische Chronogramme. Wie ein cancer, eine Krabbe, die sich mehr rückwärts- als vorwärtsbewegt, hält dieses Buch im Jahr 1754. 

Nach dem ersten Abschnitt De DEO uno, & trino (vom einen und dreifaltigen Gott) folgen weitere Kapitel über Heilige, über den christlichen Glauben, zur Ethik und Geschichte, zu Fürsten, (prominenten) Zeitgenossen, Jahreszeiten, Landleben, menschlichen Eigenschaften, Tugenden und Laster, dazu Mini-Fabeln, -anekdoten und Scherze – dazu profunde Erkenntnisse wie diese:
SeXUs foeMInInUs in negotIIs orDInarIIs, qVae Intra prIVatos parIetes agItantVr, IngenIosos ConCeptVs habet.
[„Das weibliche Geschlecht hat bei alltäglichen Geschäften, die in den eigenen vier Wänden verrichtet werden, gute Einfälle“ - wobei die „guten Einfälle“ weniger freundlich auch als „Kopfgeburten“ verstanden werden können.]

Auch dem Autor selbst begegnen wir an einigen Stellen, etwa in einer „Kurzbiographie“ aus mehreren Chronogrammen, beginnend mit diesem:
Joannes RUDoLphUs SporCk natUs est In Urbe PragensI, baptIzat UsqVe à ReLIgIoso InstItUtI RosarIanI, VIgena septena MartII …
[„Johann Rudolph Sporck ist in der Stadt Prag geboren und wurde getauft von einem Geistlichen des Rosenkranz-Instituts am 26. März …“] [1695]

An der einfachen, aber optisch ansprechenden Gestaltung dieses heute sehr seltenen Drucks konnte sich Sporck wohl nicht erfreuen: Der sehr begabte, leidenschaftliche Zeichner soll in seinen späteren Jahren völlig erblindet sein.

Obwohl durchaus auch Chronogramme in anderen, „modernen“ Sprachen verfaßt wurden oder werden, ging die große Zeit der Chronogramme mit dem Abkommen des Lateinischen als Literatursprache zu Ende.


last update 03.02.2012