Der Augustiner-Lesesaal

Eine kurze Bau- und Nutzungsgeschichte

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Der Raum, der heute als Lesesaal für Handschriften und Alte Drucke Verwendung findet, wurde im Kloster der Augustiner-Barfüßer als Bibliothek errichtet. Die Mönche wurden 1630 von Kaiser Ferdinand II. nach Wien berufen, wo sie bis zu den 1830erJahren wirkten – einer der bekanntesten war Abraham a S. Clara (1644-1709). Die Augustinerkirche war bereits im 16. Jh. von der Hofburg durch einen privaten Verbindungsgang erreichbar und war von 1634 bis 1918 auch Hofpfarrkirche.
Seine heutige architektonische Gestalt erhielt das Augustiner-Kloster durch Um- und Zubauten zwischen 1330 und 1630 und im 18. Jh. folgten umfangreiche, den Bibliothekssaal betreffende Baumaßnahmen.
1720-21 wurde auf dem quer zum Kirchenschiff stehenden Trakt eine Bibliothek errichtet – heute etwa die Räumlichkeiten unter dem
Augustiner-Lesesaal. Aufgrund der ungünstigen Lage im Schatten der 1723-26 errichteten Hofbibliothek und unter der Regentraufe der St. Georgkapelle wurde 1772-73 wiederum aufgestockt und der heute bestehende Bibliotheksraum errichtet. Die Finanzierung von gesamt 6000 Gulden durch Maria Theresia erfolgte prompt, sodass Johann Wenzel Bergl 1773 in nur 10 Wochen das Deckenfresko fertig stellen konnte. Sein Honorar betrug 400 Gulden.

Wohl aufgrund der besonderen Stellung dieser Ordensniederlassung hatte Josef II. im Zuge der umfassenden Klosteraufhebungen die Wiener Augustiner geschont; allerdings erfolgte auch kein weiterer Zuwachs. Der letzte der Patres verstarb 1836; zu dieser Zeit war der Saal bereits Teil der Hofbibliothek. 
Moritz Joseph Graf von Dietrichstein-Proskau-Leslie (1775-1864), 1826-45 Präfekt der Hofbibliothek, musste sich um zusätzliche Räumlichkeiten bemühen, da die Bestände in der Hofbibliothek (dem heutigen Prunksaal) nicht mehr untergebracht werden konnten. Im Frühjahr 1829 wurde dem Vorschlag Dietrichsteins stattgegeben und der heute so genannte
Augustiner-Lesesaal angemietet. Ab dem 23. Oktober des gleichen Jahres wurde der gesamte Bestand der Augustiner-Bibliothek öffentlich versteigert; wobei es sich vor allem um Sammlungen von Naturalien (Seetiere, Mineralien, nebst vielen ausgestopften Thieren), Medaillen, Gipsfiguren, Gemälden und technischen Geräten handelte. Unter anderem auch um die bekannte große astronomische Uhr mit mehr als 40 Zeigern von Frater David, der eine Praktische Anleitung … Räderwerke Mit Leichtigkeit vom Himmel unabweichlich genau auszuführen veröffentlichte. (Abb.: Titelblatt der ersten Ausgabe.) Diese astronomische Uhr, die ähnlich auch auf dem Deckenfresko des Saales dargestellt ist, befand sich 1865 bis 1928 im Stift Zwettl und ist heute eines der wertvollsten Exponate des Uhrenmuseums der Stadt Wien. (Eine weitere findet sich im Besitz der Familie Schwarzenberg und eine dritte in der Präsidentschaftskanzlei in der Wiener Hofburg.)

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Ursprünglich diente der Augustiner-Lesesaal der Unterbringung von allem Überflüssigen und Hindernden, wie Dietrichstein sagte; später war er Dublettenlager und Büchermagazin.
Bei der Beschießung Wiens durch kaiserliche Truppen in der Nacht vom 30. auf 31. Oktober des Revolutionsjahres 1848 geriet neben dem Dach der Hofbibliothek auch das Dach des Augustiner-Saals in Brand. Bergungs- und Löscharbeiten geschahen durch mutige Bibliothekare, daher mussten nur rund 900 feucht gewordene Exemplare neu gebunden werden.
Etwa 50 Jahre später erwies sich unter Dr. Josef von Karabacek (1845-1918), 1899-1917 Präfekt der Hofbibliothek, eine vollkommene Sanierung der Decke als dringend erforderlich. Etliche morsche Dippelbäume wurden ausgetauscht und die alte mit einer neuen darüberliegenden Konstruktion verbunden. Dabei fielen mehrere Teile des Deckenfreskos von der gelockerten Binsenschicht, die nun mit ein paar tausend Schrauben wieder befestigt wurde. Neu gemalt wurde … fast gar nichts, aber der aufmerksame Betrachter kann erkennen, dass einige Flächen erkennbar zurücktreten, wie z.B. die rechte Personengruppe in der Darstellung der Rechtswissenschaft.


last update 03.02.2012