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- Biographie:
- "Ilse von Arlt war das zweitjüngste von vier Kindern eines österreichischen Augenarztes, Ferdinand Ritter von Arlt und einer Mutter jüdischer Herkunft. Sie lebten zuerst in Prag, dann in Wien und Graz. (...) Ausbildungsmässig im Schatten ihrer studierenden Brüder stehend, wurde sie zuerst von der Mutter unterrichtet, später offenbar ergänzt durch Unterricht in Latein und Englisch ausser Haus. Als Autodidaktin, ohne Matura, beginnt sie ein Studium in Nationalökonomie und Sozialwissenschaften. Dabei kommt sie zur Erkenntnis, dass es, im Vergleich zu den gewaltigen Fortschritten auf technischem Gebiet, im sozioökonomischen Bereich an grundlegendem Wissen fehle und nur primitive Daten zur Verfügung stünden, obwohl es hier um das Glück der Menschen gehe.
1901 kommt sie im Zusammenhang mit der Gründung eines 'Sozialen Bildungsvereins' mit den führenden Sozialpolitikern Philippovich in Wien und Mischler in Graz in Berührung und besucht deren Vorlesungen. In diesem Verein wird sie mit der Führung des Referates über gewerbliche Nachtarbeit betreut, was als Beginn ihres beruflichen wie wissenschaftlichen Wirkens betrachtet werden kann. Später wird sie wissenschaftliche Hilfskraft am Steiermärkischen statistischen Landesamt. Als solche schreibt sie einen viel beachteten Bericht über den Münchner Kongress in Wohnungsfragen, der durch seine fachliche Fundierung wie das spürbare Engagement auffällt. Ein Angebot, erste weibliche Gewerbeinspektorin Österreich-Ungarns zu werden, muss sie aus gesundheitlichen Gründen ablehnen.
1910 besucht sie den 'Internationalen Kongress für öffentliche Armutspflege und private Wohlfahrtspflege' in Kopenhagen, wo sie ihre 'Thesen zur sozialen Hilfstätigkeit der Frauen in Österreich' vorträgt (...).
1912 gründet sie in Wien die 'Vereinigten Fachkurse für Volkspflege' als erste Fürsorgeschule Österreich-Ungarns und beeinflusst weitere Schulgründungen. Ein Stab von Professoren und Ärzten, zumeist Studienkollegen und zugleich zu ihrem Freundeskreis gehörend, lehrten unentgeltlich. (...)
Ilse Arlt versteht ihre Ausbildungsstätte von Anfang an nicht nur als Lehrstätte, sondern auch als Forschungseinrichtung, welche die Grundlagenforschung für wichtige Aufgaben der Sozialpolitik betreiben sollte und der sie später ein Fürsorge- und Haushaltsmuseum mit 40 Abteilungen anschliessen wollte. Ein Fürsorgewörterbuch in zehn Sprachen sollte ein Beitrag zur Begriffsklärung und ein Soziallexikon sein. Sie trug alle Lehrmittel selber zusammen und schrieb die ersten österreichischen Lehrbücher 'Die Grundlagen der Fürsorge' (1921) und 'Die Gestaltung der Hilfe' (1923).
1928 nimmt sie an der 'Première Conférence Internationale du Service Social' in Paris mit Teilnehmerinnen aus Europa, Kanada, USA, Lateinamerika teil, an welcher sie - unter dem Sitzungspräsidium von Alice Salomon - ein Referat über die von ihr geleitete Ausbildung und die ihr zugrundeliegende theoretische Konzeption hält.
1938 wurde ihr Lebenswerk von den Nationalsozialisten zerstört, die Schule geschlossen, ihre Bücher eingestampft, die Sammlungen für das Museum vernichtet und ihr privater Besitz beschlagnahmt. Zudem erhielt sie Schreibverbot. Nach Kriegsende konnte sie die Schule 1945 nur für drei Jahre wieder eröffnen, um sie aufgrund grosser finanzieller Schwierigkeiten endgültig zu schliessen.
In der ersten Republik wurden ihre Leistungen durch Verleihung des Titels 'Bundesfürsorgerat' geehrt. In der zweiten Republik erhielt sie 1954 den Dr.-Karl-Renner Forschungspreis. 1954 würdigte sie die Arbeiterzeitung und 1956 anlässlich ihres 80. Geburtstages die Rathauskorrespondenz. Für die Fachwelt war sie zu diesem Zeitpunkt fast schon in Vergessenheit geraten.
1958 erscheint ihr Buch 'Wege zu einer Fürsorgewissenschaft', in dem sie ihre Arbeiten aus den Jahren 1921 und 1923 wieder aufnimmt, präzisiert und weiterentwickelt. Zwei Jahre später stirbt sie, 84jährig, an einem Autounfall."
(aus: Staub-Bernasconi, Silvia: Lebensfreude dank einer wissenschaftsbasierten Bedürfniskunde?! : Aktualität und Brisanz einer fast vergessenen Theoretikerin Sozialer Arbeit: Ilse Arlt (1876-1960). - In: Sozialarbeit : Fachblatt des Schweizerischen Berufsverbandes Dipl.
SozialarbeiterInnen und SozialpädagogInnen, 5, 1996, S. 18 - 31)
Zu diesen Angaben möchten wir folgende Berichtigungen machen, die uns von Frau Prof. Dr. Ulrike Kammerhofer-Aggermann (der Urgroßnichte von Ilse von Arlt) mit Mail vom 19. April 2010 mitgeteilt wurden:
VATER UND GROSSVATER:
Ilse von Arlt ist die Tochter des Univ.-Prof. Dr. Ferdinand von Arlt, Nr. 2. (1849 Prag - 1917 Wien), Augenarzt in Wien-Graz-Wien. Er selbst wurde noch in Prag geboren, als Sohn des Dr. Ferdinand Arlt, (1812 -1887, Bergschmiedsohn aus Obergraupen, 1834-1839 Studium in Prag, und später Univ.-Prof. in Wien, geadelt) auf den der Name in ARIADNE verlinkt ist.
MUTTER:
Die Mutter der Ilse von Arlt ist das ältere Kind des Dr. Benedikt Edler von Hönigsberg, (geb. 1.6.1813 Prag - 10.12.1877 Wien; sein Sohn Robert war Polizeijurist in Salzburg und Graz).
Maria Elisabeth Amalia: geb. 27.3.1849 in Wien - 17.12.1923 Wien, 1872 Heirat in der Augustinerkirche mit Dr. Ferdinand (2.) Ritter von Arlt, Augenarzt wie sein berühmter Vater; später Univ.-Prof. in Graz und Wien. Sie ist eine begabte "höhere Tochter", mehrsprachig, malt, stickt, fallweise journalistisch tätig u.a. für ihren Onkel Ludwig August Frankel (nach Doris Baumgartner).
Ilses Mutter, Marie Amalie Elisabeth Hönig Edle von Hönigsberg, wurde von ihrer Mutter bereits mehrsprachig erzogen.
Grosseltern der Ilse mütterlicherseits:
Maria Amalies Vater ist der Primararzt am Krankenhaus in Wien auf der Wieden sowie im Sommer (1856-76) k.k. Badearzt und Primar des Badespitals in Wildbad Gastein, Dr. Benedikt Hönig Edler von Hönigsberg, (geb. 1.6.1813 Prag - 10.12.1877 Wien), als Sohn des jüdischen Tabaksteuerofficials Moritz H.v.H., konvertierte 1848 in Wien. Seine Frau, Amalia Karolina (geb. Schmallwasser, 15.5.1813 Wien - 16.1.1876 Salzburg) hatte einen evangelischen, aus Nassau zugewanderten Vater und eine katholische Mutter. Benedikt ist der Urenkel des ersten als Jude (ohne zu konvertieren) 1789 geadelten Mitbegründers und ersten Direktors (einer von dreien im Dreierdirektorium) des Vorläufers der Ö. Tabakregie, Israel Hönig Edler von Hönigsberg, Tabakpächter und Fabrikant aus Kuttenplan bei Pilsen/später Wien und einer der 12 Hofjudenfamilien am Habsburger Hof.
Ilse wurde möglicherweise auch gefördert von ihren Großtanten, den Schwestern ihres Vaters Benedikt, die in Gastein als Besuche erwähnt werden: Marie (1818 Prag - 188? Wien) verh. Kaufmann Alfred Tauber, 1010 Wien, Bäckerstr., Kuratorin des jüd. Blindeninstituts
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