Augustinerlesesaal, Deckenfresko - Zweites Feld

Die Philosophie

Die Naturwissenschaften

Die Rechtswissenschaft

Die Theologie - und das Herrschermedaillon

Das mittlere Feld gibt im Zentrum den Blick in die Unendlichkeit frei, die Ränder sind über einem gemalten Sims von vier Gruppen besetzt. An den Schmalseiten dominieren Architekturdarstellungen, die weit in den Raum greifen – die Philosophie ist der Theologie gegenübergestellt. An den Längsseiten beziehen sich mittels jeweils einem zentralen Architekturelement Natur- und Rechtswissenschaften aufeinander.

Die Philosophie thront, auf einen Globus gestützt, über einer unruhigen Gruppe von Gestalten, die jeweils ihre Attribute vorzeigen. Sie selbst hält eine Handschrift, wohl mit philosophischem Gedankengut und zu ihren Füßen stehen gedruckte Bücher. Atlas, der die Himmelskugel trägt, verweist auf die Antike und die realistischen „irdischen“ Gestalten verweisen auf die artes liberales und deren verwandte Fächer (die Freien Künste: Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie – die Grammatik, Rhetorik und Dialektik werden bereits im ersten Feld, in der Gruppe um den Kanzelredner vorgestellt). Nicht zufällig stehen Bildhauerei und davor die Malerei in der Mitte: Der erschöpft wirkende kleine Maler mit Palette ist Johann Bergl, der, als er diesen Auftrag ausführte, 56 oder 57 Jahre alt war. Zwei weitere Gestalten, die beiden Geistlichen an der rechen Seite, sind eindeutig als Portraits erkennbar: Der etwa 50jährige Fr. David a S. Cajetano (1726-1796) und vermutlich P. Angelus Obrist, der großen Einfluss auf das Programm des Deckenfreskos gehabt haben dürfte. Über der Komposition schweben Genien, welche Füllhörner mit Symbolen der weltlichen Macht (Gold, Ehrenketten, Mitra, Kronen etc.) entleeren.

Die Naturwissenschaften zeigen von links ein aufwändig inszeniertes chemisches Experiment, einen arabischen Wissenschafter bei der Betrachtung eines Uringlases und im Zentrum Hygieia, die Göttin der Gesundheit mit der Schlange, die auch Attribut ihres Vaters Äskulap ist, zu dessen Statue sie sich hinwendet. Der Gott der Heilkunst verweist den Betrachter wieder weiter auf eine Gruppe von Medizinern, die an einer Leiche forschen. Wohl um die Komposition abzuschließen, notiert ein Gelehrter deren Erkenntnisse. Dass der Chemiker auf der anderen Seite der Theologie den Rücken weist, ist nicht unbedingt symbolisch zu verstehen.

 
Ähnlich aufgebaut ist gegenüber das Bild der Rechtswissenschaft mit Justitia im Zentrum; sie hält die Waage der Gerechtigkeit und die Fasces, Symbol der höchsten Amtsinhaber der römischen Antike und Hinweis auf das Römische Recht als Grundlage der modernen Rechtswissenschaft. In dieser Darstellung fällt die große Menge an schriftlichen Dokumenten auf, die allen Schreibern, Studierenden und zum Teil sehr heftigen Diskutanten als Grundlage dienen. Auffällig ist allenfalls, dass konkrete Personendarstellungen fehlen – vielleicht gab es solche in der rechten, offensichtlich nachgemalten Gruppe.

 
Den größten Raum unter den vier Fakultäten nimmt die Theologie ein – die Gesamtkomposition entspricht der der Philosophie gegenüber. Über dem Dom mit dem dreifachen päpstlichen Kreuz schweben Wohlgerüche verbreitende Engel. Die Gestalt der Fides mit einem aufgeschlagenem Codex auf dem Buch mit den sieben Siegeln (Fides ist die Personifikation des Glaubens, oft mit Spes und Caritas auftretend – der Hoffnung und der Liebe, die sich als graue Statuen auf den Gebäuden über ihr befinden) bildet den Mittelpunkt zwischen mächtiger Architekturmalerei und den Personengruppen unter ihr. Links das Alte Testament, vertreten durch Moses mit den Gesetzestafeln und Hohepriestern sowie die vier Evangelisten mit aufgeschlagenen Büchern, Johannes nur mit einer Schreibfeder. Rechts das Neue Testament mit den Kirchenvätern Ambrosius (Bischof), Hieronymus als Kardinal mit seiner Bibelübersetzung, Gregor der Große mit Tiara, Papstkreuz und Feder sowie an vorderster Stelle, deutlich größer als die anderen, Augustinus nach dessen Regelwerk (daher Feder und Codex) die Klostergemeinschaft der Augustiner ihr Leben ausrichtet. Vor dieser Phalanx aus heiligen Vätern stürzen Häretiker (Bücher mit Irrlehren), die Ignorantia (Frau) und der Neid mit der Schlange (die letzteren stürzen auch von der Attika des Mittelrisalit der Hofbibliothek) dem Betrachter entgegen.

Darunter in der Mitte, in einer Linie mit der Fides und der Kirche, wieder ein Herrschermedaillon, darstellend Maria Theresia, die den Bau der Augustiner-Bibliothek finanzierte, und ihr Sohn Josef II., der zur Zeit der Ausführung des Freskos bereits Kaiser des Heiligen Römischen Reiches war. Die Macht des Saturn, der das Medaillon berührt, wird von dem Putto, der vielleicht auch ein Amor ist, in Form der Sense gebrochen – um den Ruhm der beiden Herrschenden unsterblich und zeitlos zu machen.
Von diesem Medaillon kann eine Verbindung zu jenem anonymen im ersten Feld hergestellt werden, das entweder den Vater Maria Theresias, Karl VI. oder ihren ebenfalls bereits verstorbenen Gatten, Franz I. Stefan, als Kaiser Vorgänger seines Sohnes Josef darstellt. Beide Interpretationen scheinen möglich, zumal beide Persönlichkeiten bei der Entwicklung förderlicher Grundlagen des Staates maßgebliche Rollen spielten. Vielleicht ist mit diesem Medaillon aber nur ein gütiger und weiser Pater Patriae gemeint.

Deckenfresko, 1. Feld

Deckenfresko, 3. Feld


last update 03.10.2011