Am 1. Juni 2008 jährt sich der Todestag Ödön von Horváths zum siebzigsten Mal. Dies bietet den Anlass für eine Auseinandersetzung mit seinem berühmtesten Stück. Schon die Uraufführung der "Geschichten aus dem Wiener Wald" im Jahr 1931 in Berlin war eine Sensation. Unter der Regie von Heinz Hilpert agierte ein Starensemble mit stark österreichischem Einschlag. Horváth hatte es geschafft: Alfred Kerr bestätigte ihm, eine der stärksten Kräfte des gegenwärtigen Theaters zu sein. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten fand die Karriere des Autors in Deutschland jedoch schon wenig später ein abruptes Ende.
Nach 1945 entfalteten sich die Kräfte des Stückes zunächst zaghaft, bevor Horváth in den 1960er Jahren zu einem Lieblingsautor der kritischen Intelligenz avancierte. Die "Geschichten" verfilmte man mehrmals, darunter zweimal mit dem in beiden Rollen (als Fleischermeister Oskar und Zauberkönig) unvergessenen Helmut Qualtinger. Heute ist Horváth ein moderner Klassiker und "Geschichten aus dem Wiener Wald" eines der meistgespielten Stücke des deutschsprachigen Raumes - eine bissige Gesellschaftsanalyse, die oft in den scheinbar einfachsten Sätzen abgründige Wirkung zeigt.
Ab 2009 erscheint bei de Gruyter die "Wiener Ausgabe" Ödön von Horváths. Mit dieser historisch-kritischen Edition eröffnet sich zu den Texten des Autors ein neuer Zugang, denn erstmals werden alle Notizen und Vorarbeiten sowie revidierte Endfassungen geboten. Horváth erweist sich als ein Textmonteur, der mit hochmodernen Cut-und-Paste-Verfahren operiert. Auch überraschende Inspirationsquellen werden sichtbar. Im Falle der "Geschichten": Stoffe und Klischees der Weimarer Republik, die bis dahin eher in der Populärkultur als auf der Bühne zuhause waren.
Bis knapp vor der Premiere hat der Autor an den "irren Sätzen" (Peter Handke) seines Stückes gefeilt. Dabei reduzierte er den Text und präzisierte seine Wirkkraft. Am Schluss bleibt Marianne nur ein Stoßseufzer: "Ich kann nicht mehr, jetzt kann ich nicht mehr." Stumm steht sie auf der Bühne und wird von ihrem Verlobten heimgeführt - einer jener Momente einer gespenstischen "Stille", für die man Ödön von Horváth bis heute schätzt.
Verein Ödön von Horváth in Kooperation mit der Österreichischen Gesellschaft für Literatur, den Wiener Vorlesungen und der Wienbibliothek im Rathaus sowie dem Österreichischen Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek
Konzept: Klaus Kastberger
Programm:
Dienstag, 27.5.2008
16.00 Uhr
Lesesaal der Wienbibliothek im Rathaus
Begrüßung: Sylvia Mattl-Wurm
Einleitung: Klaus Kastberger
Helmut Lethen Die Anthropologie der "Geschichten aus dem Wiener Wald".
Konstanze Fliedl schweigt. Texte und Paratexte zur Stille
Diskussion, Moderation: Alfred Pfoser
19:00 Uhr
Wiener Vorlesungen, Volkshalle im Rathaus
Franz Schuh liest Ödön von Horváth
(Dank für die Überlassung der Rechte an den Thomas Sessler Verlag, Wien)
Wendelin Schmidt-Dengler: Kitsch, Klischee und Kunst. Menschentypen bei Ödön von Horváth
Moderation: Klaus Kastberger
Mittwoch, 28.5.2008
Österreichische Gesellschaft für Literatur, Herrengasse 5, 1010 Wien
16:00 Uhr
Begrüßung: Marianne Gruber
Klaus Kastberger Totenstille: Woher Horváth die Rede nimmt und wie er sie endet
Erwin Gartner Genetische Exkursionen in den Wiener Wald
Diskussion, Moderation: Manfred Müller
18:00 Uhr
Evelyn Annuß Schauplatz "Stille"
Claudia Benthien Durationen des Nichts. Zeiterfahrung und Negation in Horváths Dramen
Diskussion, Moderation: Erwin Gartner
20:00 Uhr
Podiumsdiskussion Praktiken der Inszenierung
Monika Meister (Theaterwissenschaftlerin, Wien), Daniela Strigl (Germanistin und Kritikerin, Wien), Franz Herzog (Regisseur Fischamender Spielleut), Ronald Pohl (Theaterkritiker, Wien), Moderation: Klaus Kastberger
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