Abgeschlossene Projekte

Österreichisches Literaturarchiv



Edition des frühen Romans "Charlatan und seine Zeit" aus dem Nachlaß von Manès Sperber

Projektleitung: Dr. Wilhelm Hemecker (ÖLA), Priv.-Doz. Dr. Mirjana Stancic
(Institut für Germanistik der Ruhr-Universität Bochum)
Telefon: (+43 1) 534 10 / 350
Fax: (+43 1) 534 10 / 340
E-Mail: wilhelm.hemecker@onb.ac.at
Teilfinanzierung: Österreichische Klassenlotterie
Laufzeit: 1. August 1999 bis Ende 2000

Kurzbeschreibung

Den Roman "Charlatan und seine Zeit" (1924) schrieb Manès Sperber als 19jähriger praktizierender Individualpsychologe. Das Romanmanuskript hat turbulente Zeiten überlebt, auch die des Exils, wurde aber nie veröffentlicht. Vor dem Hintergrund der Weltrevolution und des Untergangs der Donaumonarchie entstanden, enthält es ein breites Panorama moderner literarischer Themen und Erzähltechniken.

Der Text beginnt als fiktives Tagebuch des jungen russischen Revolutionärs Iwan (Vanja) Semjonowitsch Sacharzoff, der sich wegen staatsgefährdender Umtriebe in Haft befindet. Die Begegnung mit dem "Charlatan", einem 26jährigen Wiener Psychologen, der aus Kalkül und Abenteuerlust nach Rußland gereist ist, um Kommunisten psychotherapeutisch zu behandeln, verändert sein Leben. Der junge Wiener, der (Anti-)Held des Romans, ist ein Meister der Selbstpersiflage, das Produkt der verfeinerten Kultur nach dem Untergang der Doppelmonarchie, ein Mann, der in sich selbst den repräsentativen Typus seiner Zeit erkannt hat. Er liebe die Wahrheit nicht, lüge im Wichtigen, im Geistigen nie, er sei der Faust seiner Zeit, behauptet er. Das unverblümte Bekenntnis zu eigener Schwäche, die zu einer Tugend, nicht zuletzt zu gewinnbringender Profession umfunktioniert worden ist, auch dies ist ein sehr österreichischer Zug dieses charmant-dekadenten Charakters, dem der junge Autor einige autobiographische Züge einverleibt hatte. Der dritte Teil des Romans spielt in Wiener Kaffeehäusern, dem authentischen Milieu der Wiener Moderne, um deren Besuch der Charlatan / Marcel seinen Tagesablauf gestaltet. Gegen Ende des Werks, nach einer intensiven Liebesbeziehung zur Russin Ljisotschka, erfährt Charlatan eine tiefe innere Wandlung. Er kehrt dem Westen den Rücken zu und fährt nach Moskau, um seine psychologische Begabung Notdürftigen zur Verfügung zu stellen.

Der kommentierte Roman soll erstmals im Frühjahr 2001 beim Zsolnay-Verlag in Wien erscheinen.


© Nationalbibliothek, 2000
last update: 04.12.2000

Zum Seitenanfang Zum Seitenanfang